Württemberg

Bayern, Württemberg, Baden und Elsass-Lothringen. I. (Karten)
Bayern, Württemberg, Baden und Elsass-Lothringen. I. (Karten)
1977. Württemberg.
1977. Württemberg.

[1003] Württemberg (früher Wirtemberg), Königreich [Karte: Bayern etc. I], 19.514 qkm, (1900) 2.169.480 (1905: 2.300.330) E. [s. Beilage: Deutschland]; meist Hügelland (46 Proz.) und Bergland (29 Proz.), im N. fruchtbares Plateauland der Triasformation mit wein- und obstreichen Tälern, im S. höheres, rauheres Plateauland der Juraformation, durchschnittlich über 600 m, in der Hornisgrinde 1150 m hoch (der höchste Punkt auf bad. [1003] Gebiet 1164 m); bewässert vom Neckar mit seinen Nebenflüssen (Enz, Kocher, Jagst), der Donau, Tauber u.a.; Seen: Bodensee und Federsee. Ergiebiger Acker- und Gemüsebau, wichtige Viehzucht, ausgedehnte Forstwirtschaft sowie Wein- und Obstbau.

Industrie bes. lebhaft in Maschinen, Messing- und Bronzewaren, Gewehren, Galvanoplastik, Leinen-, Baumwoll-, Gold- und Silberwaren, Uhren, Papier, Leder, Buchdruck und graphische Gewerbe (Stuttgart, Eßlingen, Ulm), Rübenzucker, Brauereien (über 2500), Schaumweinfabriken (Stuttgart, Eßlingen) etc. Handel meist Speditions- und Durchgangshandel; neben der Ausfuhr von Vieh, Wolle, Getreide und Holz bes. wichtig der Buchhandel (Hauptsitz Stuttgart, nach Leipzig und Berlin in Deutschland am bedeutendsten); Zentralstelle für Handel und Gewerbe in Stuttgart, 8 Handels- und Gewerbe-, 4 Handwerkskammern, Reichsbankhauptstelle (Stuttgart); Württemb. Hypotheken-, Noten-, Vereinsbank, Stuttgarter Rentenanstalt, Stuttgarter Lebensversicherungs- und Ersparnisbank; bedeutender Schiffsverkehr auf dem Neckar und dem Bodensee.

Nach der Verfassung vom 25. Sept. 1819 ist W. konstitutionelle Monarchie, erblich im Mannsstamm, nach dessen Erlöschen in weiblicher Linie; die Landesvertretung besteht aus der Ersten Kammer (der Standesherren) mit (1906) 48 und der Zweiten Kammer (Kammer der Abgeordneten) mit 92 Mitgliedern. Vertretung im Bundesrat durch vier Stimmen, im Reichstage durch 17 Mitglieder. An der Spitze der Verwaltung das Staatsministerium, der Geheime Rat, die 4 Kreisregierungen und die 64 Oberämter; ferner 1 Oberlandesgericht (Stuttgart), 8 Landgerichte mit 8 Schwurgerichtshöfen, 64 Amtsgerichte. Einteilung in 4 Kreise (Neckar-, Schwarzwald-, Donau-, Jagstkreis) und 64 Oberämter; Hauptstadt Stuttgart. Nettoeinnahmen 1905/6: 82.863.402 M, davon 36.194.032 vom Kammergut, 21.431.260 direkte, 17.950.300 M indirekte Steuern, 7.287.810 Anteil an Reichsabgaben; Nettoausgaben: 82.921.253 M, davon 12.704.082 Matrikularbeiträge, 22.148.062 Verzinsung der Staatsschuld, 15.894.464 M Kirchen- und Schulwesen, Rechtspflege 5.987.405 M, Staatsschuld (1905) 535.665.475, Aktiva 8.481.054 M. Das Unterrichtswesen ist gut geregelt; an der Spitze die Universität Tübingen, die Technische und die Tierärztliche Hochschule in Stuttgart, 4 Seminarien für evang., 2 Konvikte für kath. Theologen, 12 Gymnasien, 2 Lyzeen, 63 Lateinschulen, 3 Realgymnasien, 5 Reallyzeen, 11 öffentliche höhere Mädchenschulen etc.; ferner: Baugewerkschule, Kunst- und Kunstgewerbeschule in Stuttgart, landw. Hochschule (Hohenheim), 4 Ackerbauschulen, 1 Weinbauschule, 8 landw. Winterschulen, Konservatorium für Musik (Stuttgart), 5 Staatsirrenanstalten, Staatsanstalten für Taube und Blinde (Gmünd, Bönnigheim) u.a. Vorherrschende Kirche ist die evangelische unter dem Konsistorium, dem Synodus, einer Landessynode von 57 Mitgliedern und den Diözesansynoden; die kath. Kirche untersteht dem bischöfl. Ordinariat zu Rottenburg. Das Heerwesen ist durch die Militärkonvention vom 25. Nov. 1870 geordnet. Die Truppen bilden das 13. Armeekorps des deutschen Heers (Generalkommando in Stuttgart) [s. Beilage: Deutschland]. Orden s. Beilage: Orden Wappen: im gespaltenen Schilde rechts 3 schwarze Hirschgeweihe, links 3 schwarze Löwen auf goldenem Grund [Abb. 1977]; Landesfarben: Rot und Schwarz.

Geschichte. W. wurde etwa 84 n. Chr. von den Römern besetzt, im 3. Jahrh. von den Alemannen erobert, die 496 von den Franken besiegt wurden; das Gebiet bildete dann (bis zum 13. Jahrh.) einen Teil des Hzgt. Schwaben. Die Reihe der Grafen von W. beginnt mit Ulrich (1241-65), der, wie seine Nachfolger, den Zerfall der Staufenschen Macht zur Erweiterung seiner Besitzungen im Neckartal benutzte. Unter Eberhard dem Erlauchten (1279-1325) wurde das Land um beinahe die Hälfte vergrößert und 1321 Stuttgart Residenz. Sein Enkel, Eberhard der Greiner (1344-92), brach die Macht der Reichsstädte bei Döffingen 23. Aug. 1388. Graf Eberhard IV. (1417-19) erwarb durch Heirat die Grafsch. Mömpelgard. Die Teilung des Landes unter seine Söhne Ludwig I. (gest. 1450) und Ulrich V. (1442) ward durch den Vertrag von Münsingen 1482 wieder aufgehoben, durch welchen Ludwigs Sohn, Eberhard im Bart (gest. 1496), alleiniger Besitzer wurde; er ward 1495 Herzog. Sein Vetter und Nachfolger Eberhard der Jüngere wurde schon 1498 abgesetzt und dessen Neffe Ulrich zum Herzog erhoben. Dessen schlechte Finanzwirtschaft rief 1514 einen Aufruhr hervor; die Wegnahme Reutlingens (1519) führte seine Vertreibung durch den Schwäb. Bund herbei, der W. an Österreich verkaufte. Im Bunde mit Philipp von Hessen 1534 bei Lauffen siegreich, ward Ulrich wieder eingesetzt, mußte aber im Vertrag von Kaaden (1534) die österr. Afterlehnschaft anerkennen; er führte die Reformation ein. Sein Sohn Christoph (1550-68) legte den Grund zu der polit. und kirchlichen Ordnung, die sein Sohn Ludwig (1568-93) weiter ausbildete und die zum Teil bis in die neuere Zeit fortbestand. Unter Ludwigs Vetter und Nachfolger Friedrich (1593-1608) wurde W. 1599 wieder Reichslehn. Unter dessen Nachfolgern Johann Friedrich (1608-28) und Eberhard III. (1628-74) hatte es viel vom Dreißigjähr. Kriege, unter Wilhelm Ludwig (1674-77) wie auch während der Minderjährigkeit Eberhard Ludwigs (1677-1733), für welchen (bis 1693) sein Oheim Friedrich Karl regierte, durch die Franzosen, endlich während der Selbstregierung Eberhard Ludwigs durch eine langjährige Maitressenwirtschaft zu leiden. Unter Karl Alexander (1733-37) wurde das Land durch den zum Geh. Finanzrat ernannten Juden Süß-Oppenheimer ausgesogen. Karl Eugen (1737-93) suchte die dem Lande durch Verschwendung und Gewalttätigkeit geschlagenen Wunden nach dem sog. Erbvergleich mit den Ständen (1770) durch Pflege der Wissenschaften und Künste, sowie Hebung des Ackerbaues zu heilen. Ihm folgten nacheinander seine Brüder Ludwig Eugen (1793-95) und Friedrich Eugen (1795-97). Des letztern Sohn Friedrich I. (1797-1816) erlangte 1803 die Kurwürde und als Entschädigung für das 1796 an Frankreich abgetretene Mömpelgard die Propstei Ellwangen, neun Reichsstädte etc. (2200 qkm, 124.688 E.), nahm 1. Jan. 1806 den Königstitel an und trat 12. Juli dem Rheinbund bei; er sagte sich erst 2. Nov. 1813 von Napoleon I. los, nachdem ihm der ungeschmälerte Besitz seines 1805 und 1809 abermals vergrößerten Gebietes verbürgt worden war, und trat 1. Sept. 1815 dem Deutschen Bunde bei. Seine Regierung war nach Aufhebung der alten Verfassung (1805) eine despotische; erst sein Sohn Wilhelm (1816-64) vereinbarte mit den Ständen 1819 eine neue Verfassung. Infolge der Februarrevolution 1848 sah sich dieser zur Gewährung der Preßfreiheit und anderer Reformen sowie zur Berufung der Oppositionsführer Pfizer, Römer, Duvernoy und Goppelt ins Ministerium genötigt; auch die Reichsverfassung mußte er 24. April 1849 anerkennen. Doch schon 28. Okt. trat dies Ministerium vor der hereinbrechenden Reaktion zurück. König Wilhelm starb 25. Juni 1864; sein Sohn und Nachfolger Karl berief Sept. 1864 Varnbüler an die Spitze des Ministeriums. Im Deutschen Kriege von 1866 besetzte ein württemb. Bataillon Hohenzollern, das übrige Bundeskontingent stieß bei Frankfurt zum 8. Armeekorps. Nach den Verlusten bei Tauberbischofsheim (24. Juli) aber schloß W. Frieden (13. Aug.) und einen vorläufig geheimen Allianzvertrag mit Preußen, dem es 8 Mill. Fl. Kriegskostenentschädigung zahlte. 1867 erfolgte der Beitritt W.s zum erneuerten Zollverein, 1868 die Umgestaltung des Kriegswesens nach preuß. Vorbild. Im Deutsch-Franz. Kriege kämpften die Württemberger unter dem Oberbefehl des Kronprinzen von Preußen. An Stelle des 31. Aug. 1870 zurückgetretenen Ministers Varnbüler schloß der Justizminister von Mittnacht den Verfassungsvertrag, wonach W. vier Stimmen im Bundesrat erhielt und sich die Verwaltung der Post, der Telegraphen, der Eisenbahnen und die besondere Besteuerung des Biers und Branntweins vorbehielt, sowie die Militärkonvention [1004] (s. oben) 25. Nov. in Berlin ab. Er wurde 1. Juli 1876 zum Ministerpräsidenten ernannt. Nach dem Tode des Königs Karl I. (6. Okt. 1891) folgte sein Neffe Wilhelm II. Unter ihm wurde 1903 die Reform der Einkommensteuer, 1904 und 1906 die der Gemeindeordnung und 1906 die der Kammern durchgeführt.

Vgl. »Das Königreich W.«, hg. vom königl. Statist. »Landesamt« (neue Ausg. 1903 fg.); Hassert, »Landeskunde« (1903); »Ortsverzeichnis« (1900); Bartens, »Wirtschaftliche Entwicklung« (1900), »Die Landwirtschaft in W.« (1902); Gaupp, »Staatsrecht« (3. Aufl. 1904); zur Geschichte: Pfaff (4 Bde., 1835-39), Chr. F. von Stälin (4 Bde., 1841-73), Fricker und Geßler (Verfassungsgeschichte, 1869), Schneider (1896), Belschner (1902), »Württemb. Geschichtsquellen« (Bd. 1-6, 1894-1904).

Quelle:
Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon, fünfte Auflage, Band 2. Leipzig 1911., S. 1003-1005.
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