Expreßgesellschaften

[420] Expreßgesellschaften (Express-Companies; compagnies de messageries), sind eigenartig in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgebildete Speditionsgesellschaften, die sich mit der Ansammlung und Abfertigung von Paketen, Eilgut, Wertsendungen und hauptsächlich Reisegepäck in Verbindung mit den Eisenbahnen beschäftigen. Außerdem betreiben sie Kommissionsgeschäfte aller Art, Geldgeschäfte, hauptsächlich für den Reiseverkehr, sie stellen Kreditbriefe aus u. dgl. Ihre Entstehung geht zurück bis auf die Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Das älteste derartige Geschäft soll im Jahre 1839 William F. Harnden begründet haben, der die Beförderung von Wertsachen, Geld und kleinen Paketen zwischen New York und Boston besorgte. Nach einer anderen Quelle soll schon im Jahre 1836 die heute noch bestehende Firma Davenport & Mason ein ähnliches Geschäft betrieben haben. Die Eisenbahnen der Vereinigten Staaten bildeten damals kein geschlossenes Netz, sie waren verteilt unter eine Reihe von einzelnen Gesellschaften, deren Schienen vielfach nicht aneinander anschlössen, und standen in keinerlei Verkehrsbeziehungen. Es lag daher das Bedürfnis vor, für die durchgehende Beförderung von Gütern auf verschiedenen Eisenbahnen und von Eisenbahnen in Verbindung mit Landfuhrwerk oder Schiffen besondere Einrichtungen zu treffen und zu diesem Zwecke bildeten sich besondere Gesellschaften. Da ferner die Eisenbahnen keine Eilgüter und die Post keine Pakete beförderten, so beschäftigten sich die Gesellschaften hauptsächlich mit der schleunigen Beförderung dieser Gegenstände. Dazu kam dann die Mitwirkung bei der Beförderung des Reisegepäcks. Dieses wird von den E. auf vorherige Bestellung von der Wohnung des Reisenden abgeholt und in die Wohnung am Ankunftsort geschafft. Beamte der E. finden sich vor Ankunft des Zugs in den Wagen ein und fragen die einzelnen Reisenden nach ihrem Gepäck und wohin dieses zu schaffen ist. Der Reisende hat sich dann um sein Gepäck weiter nicht zu kümmern; er erhält es einige Zeit nach seiner Ankunft in seiner Wohnung. Die Entwicklung der E. hängt zusammen mit den der sog. Fast freight Lines, d.h. Gesellschaften, die sich zur Beschleunigung des Güterverkehrs zwischen anschließenden Eisenbahnen auch schon gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts gebildet haben.

Ob die Gesellschaften rechtlich als gemeine Frachtführer (common carriers) galten und als solche den gesetzlichen Bestimmungen über die Eisenbahnen zu unterwerfen seien, war zweifelhaft. Durch die Novelle vom 29. Juni 1906, zum Bundesverkehrsgesetz (s. Interstate Commerce Act), ist diese Frage in bejahendem[420] Sinne entschieden worden. Der § 1, Abs. 1 u. 3 des Gesetzes, ist durch diese Novelle dahin ergänzt worden, daß die E. ausdrücklich zu den gemeinen Frachtführern gerechnet werden. Sie sind demgemäß, soweit sich ihre Geschäfte auf den zwischenstaatlichen Verkehr erstrecken – und das ist bei der überwiegenden Mehrzahl der Fall – auch allen Bestimmungen des Bundesverkehrsgesetzes unterworfen, haben insbesondere über ihre Tätigkeit regelmäßig an das Bundesverkehrsamt zu berichten, und ihre Berichte werden von dem Amte veröffentlicht.

Über die Organisation und die Geschäftstätigkeit der E. liegen zurzeit 2 amtliche Berichte vor. Der eine ist erstattet von dem Handelsamt (Department of Commerce and labor) auf Grund der für das Jahr 1907 vom Zensusamt eingeforderten Berichte. Er bezieht sich auf die Jahre 1890 und 1907. Es wird darin u.a. bemerkt, daß die E. sich früher geweigert hätten, Angaben über ihre Tätigkeit zu machen, und daß erst ein besonderes Gesetz sie dazu veranlaßt habe. Der zweite Bericht ist herausgegeben von dem Bundesverkehrsamt auf Grund der vorstehenden gesetzlichen Bestimmungen. Er behandelt nur die 13 größeren E. im einzelnen und bezieht sich auf das Jahr vom 1. Juli 1908 bis 30. Juni 1909. Er unterscheidet sich hauptsächlich darin von dem erstgenannten Berichte, daß die Angaben der E. nach einheitlichen, vom Bundesverkehrsamt erlassenen Vorschriften gemacht worden sind. Aus diesem Berichte sei folgendes hervorgehoben.

Die größeren E. haben nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch im Auslande Geschäftsstellen. Die American Express Company, die United States Company und Wells Fargo and Company sind in Europa durch eigene Agenturen vertreten, während die Adams Express Company ihre auswärtigen Geschäfte durch eine Hilfsgesellschaft, bekannt als die Morris European and American Express Company, besorgen läßt. In europäischen Ländern werden die Sendungen, deren Beförderung in den Vereinigten Staaten durch die E. besorgt wird, der Post oder der Eisenbahn zur Beförderung als Eilgut übergeben.


Der Vertrag zwischen einer E. und einer Eisenbahngesellschaft bestimmt in der Regel, daß die E. das ausschließliche Recht haben soll, auf den im Vertrage genannten Linien ihre Geschäfte für eine gewisse Reihe von Jahren zu betreiben, daß alle Güter, die zur Beförderung mit Personenzügen gelangen, ausgenommen Gepäck, Leichen, Milchkannen, Hunde und einige andere Sendungen, der E. von der Eisenbahngesellschaft überwiesen werden müssen, daß die Eisenbahngesellschaft alles Expreßgut für Rechnung der E. zu befördern hat, daß erforderlichenfalls besondere Züge nur für den Expreßverkehr vorzusehen sind, daß die Eisenbahn die erforderlichen Wagen stellen, heizen und beleuchten muß und daß sie die Bediensteten der E. frei zu befördern hat. Die Eisenbahn muß ferner auf den Bahnhöfen die für die E. erforderlichen Räume zur Verfügung stellen. Die Eisenbahnbediensteten müssen für die E. mit tätig sein, die insoweit auch für sie haftet.

Die E. gewähren den Eisenbahnen einen bestimmten Prozentsatz ihrer Roheinnahmen; den größeren Eisenbahngesellschaften ist in der Regel ein Mindestbetrag zugesichert. Die E. verpflichten sich, ihren Tarif auf bestimmter Höhe zu halten. Sie schlagen auf die von ihnen an die Eisenbahn zu zahlende Fracht einen mit der Eisenbahn vereinbarten Betrag auf, der gewöhnlich 50% der Fracht beträgt. Sie befördern Geld, geldwerte Papiere und gewöhnliches Expreßgut der Eisenbahngesellschaft tariffrei, sie halten die Eisenbahn für alle Entschädigungen schadlos, die diese beim Tode oder bei Verletzungen von Bediensteten der E. zu zahlen hat, sie übernehmen allein die Verantwortung für Verlust und Beschädigung von Expreßgut, die E. erstatten der Eisenbahngesellschaft einen Teil der Besoldungen der Eisenbahnbediensteten, die für die E. mittätig sind. Die Eisenbahngesellschaft hat das Recht, die Bücher u.s.w. nachzuprüfen. Die rechtlichen und vertraglichen Beziehungen der Eisenbahnen zu den E. sind hiernach sehr innige. Dies Verhältnis findet weiterhin seinen Ausdruck darin, daß ein großer Teil des Anlagekapitals der E. im Besitz der Eisenbahngesellschaften ist, die hiernach in der Lage sind, auf den Betrieb der E. einzuwirken.

Alle von den E. beförderten Gegenstände werden in zwei Klassen, »Money« und »Freight«, eingeteilt. Unter »Money« werden nicht nur Sendungen von Bargeld, sondern auch von geldwerten Papieren verstanden. »Freight«-Sendungen werden eingeteilt: a) in eine große allgemeine Klasse »Merchandise«, b) in eine Klasse von Gütern, deren Beförderung besondere Sorgfalt verlangt: »General special« und c) in drei Sonderklassen, Sektion A, D und E. Zu der »General special«-Klasse von Gütern gehören z.B. Brot, Butter, Käse, Eier, Fische, Früchte, Fleisch, Geflügel, Gemüse. Sendungen der Sonderklasse A sind Drucksachen, die umsonst verteilt werden, wie Almanachs, Kalender, Kataloge; Sendungen der Klasse D sind Bücher, Zirkulare, Rechnungen, Lithographien, Journale, Flugschriften u. dgl. Zur Klasse E gehören Warenpakete oder Warenproben. Die Fracht für die drei Sonderklassen muß im voraus entrichtet werden.

Die Fracht wird nach Gewichts- und Stationstafeln berechnet. Der Tarif ist nach fallender Gewichtsskala gebildet. So beträgt z.B. bei einem Grundfrachtsatz von 2∙50 Dollars für 100 Pfund (New York-Chicago) der Tarifsatz für 1 Pfund 25 Cents, für 5 Pfund 60 Cents, für 10 Pfund 75 Cents, für 16–20 Pfund 100 Cents, für 26–30 Pfund 115 Cents, für 31–50 Pfund 125 Cents. Neben dem Frachtsatz nach dem Gewicht wird noch ein Frachtsatz nach dem angegebenen Wert des Gutes erhoben, wobei »Money« und »Freight«-Sendungen nicht gleichmäßig behandelt werden.

Die 13 großen Gesellschaften, auf die sich der Bericht bezieht, sind folgende: Adams Express Company in New York, N. Y.; American Express Company in New York, N. Y.; Canadian Express Company in Montreal, Can.; Canadian Northern Express Company in Toronto, Can.; Globe Express Company in Denver, Colo.; Great Northern Express Company in St. Paul, Minn.; National Express Company in New York, N. Y.; Northern Express Company in St. Paul, Minn.; Pacific Express Company in St. Louis, Mo.; Southern Express Company in Chattanooga, Tonn.; United States Express Company in New York,[421] N. Y.; Wells Fargo & Company in New York, N. Y.; Western Express Company in Toronto, Can.

Sie haben im Jahre 1908/09 ihren Betrieb erstreckt:


auf 238.961 Meilen Eisenbahnen,

auf 6.414 Meilen elektrische Linien,

auf 14.138 Meilen Wasserstraßen,

auf 994 Meilen Postlinien,

im ganzen auf 260.507 Meilen.


Nicht berücksichtigt sind Ozeanfahrten und Fahrten in fremden Ländern, ausgenommen Kanada und Mexiko. Die größte Meilenzahl betrieb Wells Fargo & Co. (65.698 Meilen) und die kleinste die National Express Co. (1714 Meilen).


Das Anlagekapital betrug am 30. Juni 1909:


für Gebäude u.s.w.14,932.170 Dollars,
für Betriebsgegenstände
(Wagen, Pferde u. dgl.) 7,381.406 Dollars,
im ganzen 22,313.576 Dollars.

Das finanzielle Ergebnis des Betriebes der 13 E. im Jahre 1908/09 war folgendes:


Betriebseinnanhmen68,567.064 Dollars
Betriebsausgeben56,273.055 Dollars
Reineinnahmen12,294.099 Dollars
Hiervon ab Steuern 906.520 Dollars
Bleibt Betriebseinkommen11,387.489 Dollars
Dazu anderes Einkommen 5,232.468 Dollars
Gesamteinkommen16,619.957 Dollars
Davon gehen ab (an
Hilfsgesellschaften, Zinsen) 1,237.403 Dollars
bleibt Reineinkommen15,382.554 Dollars

Hiervon sind verwendet:


als Dividenden4,326.939 Dollars
für Ergänzungen
und Verbesserungen34.920 Dollars
zu verschiedenen
Zwecken3.000 Dollars 4,364.859 Dollars
bleibt mithin ein Überschuß von11,017.695 Dollars
Die Zahl der ausgeführten
Geldgeschäfte betrug18,525.085 Dollars
mit einem Geldumsatz von374,312.924 Dollars

Die meisten Expreßgutsendungen haben nur ein Gewicht bis zu 100 Pfund, es werden aber auch schwerere Güter befördert.

Das Durchschnittsgewicht aller Sendungen betrug 31 Pfund, die durchschnittliche Einnahme für 1 Pfund betrug 1∙64 Cents.

Demgegenüber betrug nach der Statistik der Deutschen Reichs-Post- und Telegraphenverwaltung für das Kalenderjahr 1908 im Deutschen Reich das Durchschnittsgewicht bei Postpaketen bis 10 kg: 4 kg und bei Postpaketen über 10 kg: 14 kg. Stellt man das gewöhnliche Paketporto in Deutschland (ohne Abtragegeld) in Vergleich zu der Durchschnittseinnahme für Sendungen bis zu 100 Pfund, so kostet 1 Pfund in Deutschland 5 Pf., 1 (deutsches) Pfund in Amerika etwa 9 Pf. Porto.


Die seit einiger Zeit in den Vereinigten Staaten angestellten Ermittlungen darüber, ob nicht die Paketbeförderung der Post zu übertragen sein möchte, haben im Sommer 1912 zu einem vorläufigen Ergebnis geführt. In einem Anhang (Abschnitt 8) zu dem Gesetz vom 24. August 1912 betreffend die Festsetzung des Etats der Bundespostverwaltung wird bestimmt, daß zu der vierten Klasse1 der von der Post zu befördernden Gegenstände auch kleine Pakete gehören sollen, mit einem Gewicht von höchstens 11 amerikanischen Pfunds (= rund 5 kg). Die Beförderungspreise richten sich nach der Entfernung, die nach Zonen abgestuft ist. Das Gebiet der Vereinigten Staaten ist in 8 Zonen eingeteilt. Diese Bestimmungen sind am 1. Januar 1913 in Kraft getreten. Durch sie ist den E. schon ein nicht unerheblicher Teil ihrer Geschäfte entzogen. In dem Gesetz ist ferner vorgesehen, daß ein aus 6 Personen bestehender besonderer Ausschuß eingesetzt wird, der zu prüfen hat, ob nicht die gesamte Paketbeförderung an die Bundespostverwaltung zu übertragen sein wird.

Quellen und Literatur: Department of Commerce and Labor: Express business in the United States 1907 (Washington 1908). – First annual report on the statistics of Express Companies in the United States for the year ending June 1909, bearbeitet von der Interstates Commerce Commission (Washington 1911). – A. L. Stimson, History of the express business. New York 1858, 1881. – Johnson and Huebner, Railroad traffic and rates (1911). Band I, S. 240 ff. Band II, S. 259 ff.

v. der Leyen.

1

Nach amerikanischem Recht werden die von der Post zu befördernden Gegenstände nach ihrer Beschaffenheit in 4 Klassen eingeteilt. (Briefe, Zeitungen, Warenexporte u.s.w.).

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 4. Berlin, Wien 1913, S. 420-422.
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