Sommerzeit

[74] Sommerzeit (summer time; heure d'été; tempo da estate). Der Gedanke, die Lebensweise während der Sommermonate oder während der Gültigkeitsdauer des Sommerfahrplans an die Zeit des Tageslichts besser anzupassen, konnte sich wegen der großen Schwierigkeiten eines einheitlichen Vorgehens der am europäischen Eisenbahndurchgangsverkehr beteiligten Länder bisher keine Geltung verschaffen. Durch den Ausbruch des großen Krieges sind diese Schwierigkeiten für die mitteleuropäischen Staaten im wesentlichen beseitigt, während das Bedürfnis, Brenn- und Beleuchtungsstoffe durch möglichste Ausnutzung des Sonnenlichts zu sparen, sich mehr als sonst geltend machte. Der Eisenbahnverkehr nach den feindlichen Staaten wurde durch den Krieg gänzlich unterbrochen. Auch nach den neutralen Staaten mußte der Durchgang der Personenwagen in Rücksicht auf die aus militärischen Gründen notwendige Überwachung des Grenzverkehrs eingeschränkt oder ganz eingestellt werden. Unter diesen Umständen beschloß der deutsche Bundesrat, einer Anregung des preußischen Herrenhauses folgend, am 6. April 1916, als gesetzliche Zeit die mittlere Sonnenzeit des 30. Längengrades östlich von Greenwich vom 1. Mai bis 30. September 1916 an Stelle der durch Reichsgesetz vom 12. März 1893 in Deutschland eingeführten mitteleuropäischen Zeit anzunehmen. Es sind also für diesen Zeitraum die Uhren um 1 Stunde vorzustellen. Der 1. Mai beginnt bereits am 30. April 11 Uhr nachts und der 30. September wird um 1 Stunde verlängert. Österreich und Ungarn entschlossen sich zu einer gleichen Maßnahme. Auch die neutralen Staaten, Luxemburg, Dänemark, Schweden und Norwegen folgten dem Beispiel, ja sogar in den feindlichen Ländern Frankreich, England und Italien wurde die S. eingeführt. Nur die Schweiz konnte sich bisher nicht entschließen, die alte Zeiteinteilung aufzugeben. Sie befürchtet eine weitere Verschiebung der bei der Eigenart des Landes ohnehin schon früh beginnenden Tagesverrichtungen in die Morgenstunden hinein. – Der Übergang zur S. und die Rückkehr zur mitteleuropäischen Zeit haben sich anstandslos vollzogen. Schwierigkeiten bestanden nur in der Durchführung der Eisenbahnzüge, deren Lauf sich über die Nacht hinaus erstreckt. Ein Teil dieser Züge mußte bereits am 30. April nach dem neuen Fahrplan abgelassen oder am 1. Mai mit Verspätung befördert werden, wobei nicht alle Anschlüsse eingehalten werden konnten. Im übrigen sind ungünstige Einwirkungen der S. nur von landwirtschaftlichen Betrieben, insbesondere von Milchwirtschaften und Obstzüchtern geltend gemacht. Sie müssen aber zurücktreten gegen die erreichten Vorteile, insbesondere die erheblichen Ersparnisse an künstlicher Beleuchtung. Gelegentlich der Fahrplankonferenz in Stuttgart am 18. und 19. Juli 1916, auf der die Eisenbahnverwaltungen Deutschlands, Österreichs, Ungarns und der Schweiz vertreten waren, wurden die Vorteile der S. anerkannt und für den Übergang zur Winterzeit vereinbart, die Uhr in der Nacht zum 1. Oktober von eins auf zwölf zurückzustellen. Die dann abgelaufene Stunde soll den Zusatz A, die folgende den Zusatz B erhalten.

Der Übergang in die S. wird erleichtert, wenn er in der Nacht nach einem Sonntag stattfindet, weil dann ein großer Teil der Güterzüge nicht gefahren wird (s. Sonntagsruhe). Es war deshalb in Aussicht genommen, den Übergang zur S. nicht auf den 1. Mai, sondern in die Nacht nach dem ersten Sonntag im April zu verlegen. Im Jahre 1919 ist von der Einführung der S. allgemein Abstand genommen worden.

Breusing.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 9. Berlin, Wien 1921, S. 74.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: