Beschluß

[153] Beschluß. (Beredsamkeit)

Ist in einer Rede eine kurze Zurükführung auf den Inhalt, wodurch dasjenige, was weitläuftig vorgetragen worden, in eine Hauptvorstellung vereiniget wird, durch welche man den Endzwek der Rede unmittelbar zu erreichen sucht. Von der Nothwendigkeit der Zurükführung vieler verbundenen Vorstellungen, auf eine einzige, haben wir in einem besondern Artikel gehandelt. Bey einer weitläuftigen Rede ist dieselbe am allernöthigsten und erfodert, wegen der Menge der Sachen, die größte Kunst. Daher Quintilian wol anmerkt, daß hier mehr, als in irgend einen andern Theil einer Rede, die ganze Stärke der Beredsamkeit nöthig sey,1 und Cicero berichtet, daß bey den Gelegenheiten, wo verschiedene Personen, verschiedene Theile der Reden verfertiget haben, ihm insgemein der Beschluß aufgetragen worden. Der Beschluß muß so viel möglich ist, das ganze Wesen der Ausführung ins kurze fassen: alles, was durch die Rede stükweise das Gemüth gerührt hat, oder der Einbildungskraft vorgestellt worden, muß darin auf einmal würken. Die nachdrüklichsten Worte, die kräftigsten Wendungen, die bündigsten Vorstellungen, müssen dabey angeweudet werden.

Eigentlich ist der Beschluß der Rede, dasjenige, um dessentwillen die ganze Rede gemacht worden ist. Diese enthält einen Hauptsatz z. B. Titius ist des Hochverraths schuldig, weil er dieses oder jenes gethan hat. So bald die Sache einer weitläuftigen Ausführung bedarf, so wird der Satz nur nach und nach, oder stükweis bewiesen. Keine von den besondern Abhandlungen der Rede beweist ihn ganz, oder hinlänglich. Nur alle besondere Theile derselben, in eine einzige Hauptvorstellung gesammelt, machen den Hauptsatz nebst dessen Beweis aus. Daher ist klar, daß der Beschluß das wesentlichste Stük der Rede sey. Ohne ihn ist sie wie ein Vernunftschluß, dem der Hintersatz fehlt.

Hieraus läßt sich überhaupt abnehmen, wie der Beschluß jeder Rede müsse beschaffen seyn. Er muß einer Landcharte gleichen, welche in einem kleinen Raum, alle die Länder und Oerter, wodurch man auf einer langen Reise gekommen ist, jedes nach seiner Lage und Verbindung, dem Auge [153] auf einmal darstellt. Cicero verlanget in dem Beschluß einer gerichtlichen Rede drey Dinge die er enumerationem, indignationem, conquestionem nennt, oder die kurze Wiederholung der Beweise, die Vermehrung ihrer Wichtigkeit durch die Verabscheuung dessen, was der Gegentheil verlangt, und die Klage über die Ungerechtigkeit desselben.

Der pathetische Theil, oder die zwey leztern, durften vor den atheniensischen Gerichten nicht vorkommen. Die Richter sollten blos unterrichtet und nicht gerührt werden. Daher wurden eigene Herolde bestellt, die den Redner schweigen hießen, so bald er ins pathetische verfiel. Aus eben dieser Ursache saßen die Richter des Areopagus im finstern, weil sie sich durch die klägliche Gebehrden der Beklagten nicht wollten von der Unpartheylichkeit abreißen lassen.

1At hic, si usquam, totos eloquentiae aperire fontes licet. Inst. L. V I. gegen das Ende des I. Cap.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 153-154.
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