Daktylus

[234] Daktylus. (Dichtkunst)

Ein dreysylbiger Fuß, dessen erste Sylbe lang, die andern beyden kurz sind, wie in den Wörtern: mächtige, sterbliche. Dieser Fuß kommt in der deutschen Sprache, sowol in der ungebundenen als gebundenen Rede, sehr häufig vor; aber zu einer ganzen Versart, in der kein andrer, als dieser Fuß vorkäme, nach Art des jambischen oder trochäischen Verses, schiket er sich nicht, weil der Vers durch seinen klappernden Gang gar bald ekelhaft wird. Einzele ganz daktylische, nämlich aus fünf Dactylen und einem Spondäus bestehende Hexameter,[235] trift man sowol bey den lateinischen als deutschen Dichtern an. Jederman kennt den Virgilischen Vers:


Quadrupedante putrem sonitu quatit ungula campum.1


Aber ein ganzes Gedicht in dieser Versart würde nicht erträglich seyn. Zum Affekt einer ströhmenden Freude schiket sie sich sehr wol, und kann sogar, wenn man nur mit einem andern Vers abwechselt, zur lyrischen Versart dienen, wie in dieser Strophe:


Bist du die Freude? du bist es! dich meldet ein lächelnder Morgen;

Die Fittige thauen unsterblichen Glanz.

Ströme von Wollust ergiessen sich nach mir, schon sterben die Sorgen.

Sie hauchet mich an, ich fühle mich ganz.2

1Aen. VIII. vs. 596.
2S. Schlegel Vermischte Schriften der Verfasser der neue Beyträge, 1. B. 6. St. S. 449.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 234-236.
Lizenz:
Faksimiles:
234 | 235 | 236
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika