Dante

[236] Dante.

Ein Florentiner. Er verwaltete in seiner Republik die vornehmsten Aemter, bevor er verwiesen ward. Er schrieb hernach sein grosses dreyfaches Gedicht la divina Comedia, das zwar unter die dogmatischen gehört, dem aber dieser ausserordentliche Geist eine ganz poetische Gestalt gegeben. Die Hölle hat bey ihm die unselige Grösse, noch der Himmel die erhabene Hoheit, welche sie bey Milton bekommen haben, eben so wenig, als seine Teufel und seine selige Geister, die Grösse der Miltonischen haben. Sein größtes Verdienst ist, daß er die Hölle, das Fegefeuer, das Paradies für Scenen gebraucht hat, auf welchen er die verschiedenen Charaktere aus allen Zeiten, Ständen und Welttheilen eingeführt hat. Sein Werk ist ein unerschöpflicher Schatz von Lebensarten und Sinnesarten der Menschen, voller Charakter, voller Reden, voller Lebensregeln. Die innersten Winkel der Seele werden da beleuchtet, und die nützlichsten Lehren mitgetheilt. Man muß sehr allegoriesüchtig seyn, wenn man verstektere Geheimnisse darin suchen will. Man beschuldiget dieses Werk der Dunkelheit und Härte; aber wenn man hier und da die abstrakte und scholastische Materie erlaubet, so muß man ihm das Dunkle und Harte verzeihen. Er wollte nicht allein für die grosse Welt, sondern auch für die tiefsinnige, und insbesondere für die Peripatetiker schreiben. Von diesen Stellen gilt, was Plato von des Heraklitus Naturlehre gesagt hat. Die Sachen, die ich verstehe, sind göttlich, und ich glaube, daß auch die es sind, die ich nicht verstanden habe. Eine andre Art der Dunkelheit und Härte ist durch die Nachläßigkeit der folgenden Schriftsteller entstanden, welche die Wörter, die in des Dante Tagen angenehm und geläufig waren, haben entweichen oder gar untergehen lassen.

Seine lyrische Gedichte verdienen nicht weniger Achtung,1 als sein grosses Werk. Es leuchten darin gewisse poetische Tugenden hervor, die in dem grossen Gedicht seltener sind. Was sich ihnen rohes angehängt hat, hindert uns nicht, daß wir nicht eine kernichte, edle und artige Denkungsart darin entdeken. S. Muratori Storia della lingua ital. Er starb 1321. Er hatte drey Söhne, und jeder von ihnen hat ein Werk über das dreyfache Gedicht geschrieben.

1Io per nie non ho minore stima delle sue liriche poesie etc. Muratori storia della lingua Ital.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 236.
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