Hart

[519] Hart. (Schöne Künste)

Man braucht dieses Wort verschiedentlich in der Sprache der Kunst um gewisse Fehler damit auszudrüken. Ueberhaupt scheinet es den Mangel der völligen Verbindung zwischen zwey auf einander folgenden Vorstellungen auszudruken. Was das Rauhe oder Holprige eines Weges macht, das verursachet das Harte in allen Arten der Vorstellungen. Es ist also das Gegentheil des Sanften, in dem alles ohne die geringste Unterbrechung, ohne den kleinesten Sprung, zusammen hängt. Hart wird die Vorstellung durch wiederholte kleine Unterbrechungen, da man die auf einander folgenden Begriffe gleichsam an einander zwingen muß. So ist ein Wort dem Klange nach hart, wenn es aus Buchstaben besteht, die eine plötzliche und etwas schweere Verändrung der Gliedmaaßen der Aussprach erfodern, [519] und sanft oder weich, wenn diese Verändrung leicht und zusammenhangend ist. Es ist aber nöthig, daß der Begriff des Harten für die verschiedenen Zweyge der Kunst besonders entwikelt werde.

Die Töne können auf mehr als einerley Weise hart seyn. Ein Wort wird durch Zusammenstellung solcher Buchstaben hart, die nicht an einander passen, wovon man in dem Worte Hart selbst ein Beyspiel hat, da die Buchstaben r und t diese Härte verursachen. Es ist nicht möglich durch eine sanfte oder allmählige Veränderung in der Bewegung der Zunge von r unmittelbar auf t zukommen; der Uebergang geschieht plötzlich und dadurch wird die Aussprach hart. Man empfindet hier, wie bey allen plötzlichen Veränderungen, den Mangel des Zusammenhanges; denn diejenigen, die nicht gewohnt sind ein solches Wort auszusprechen, setzen allemal ein mehr oder weniger merkliches stummes e dazwischen, als wenn man Haret geschrieben hätte. Wo dergleichen gezwungene und plötzliche Verändrungen der Gliedmaaßen der Sprach ofte vorkommen, da wird der Ton der Rede hart; hingegen ist sie weich, wo die Buchstaben gleichsam in einander fließen, so daß der Gang der Rede etwas stätiges hat.

Eine andre Ursach der Härte entsteht aus einigen Fehlern gegen die Prosodie, da man die Wörter ihrem natürlichen Klange zuwider in das Metrum bringet. Denn da muß man sich schnell zwingen das Kürzere länger, und das Tiefere höher auszusprechen, als man würde gethan haben, wenn man dem gewöhnlichen Gange der Sprache, den man, noch ehe die Wörter ausgesprochen werden, fühlet, würde gefolget seyn.

In der Musik entsteht das Harte aus dem Unharmonischen der Töne, es sey daß sie zugleich, oder hinter einander gehört werden. Die unharmonischen Fortschreitungen, wovon anderswo gesprochen worden1, sind hart, weil die Kehle plötzlich sich, gegen den natürlichen Zusammenhang der Bewegung, bilden muß. In der Harmonie sind unvorbereitete und unaufgelößte, auch sonst alle die gewöhnlichen Verhältnisse überschreitende Dissonanzen, hart, weil auch da das Gehör gegen die Erwartung eine plötzliche Verändrung empfindet. So ist auch die Modulation hart, wenn die Uebergänge von einem Ton in einen andern, ohne die Veranstaltungen geschehen, die den genauen Zusammenhang zwischen die Töne bringen.

In den zeichnenden Künsten, besonders in der Mahlerey entsteht das Harte vornehmlich aus dem Mangel der Harmonie2 so wol in Farben, als in Zeichnung. Selbst da, wo ein Gegenstand gegen die andern nothwendig abstechen muß, wo folglich keine völlige Harmonie statt haben kann, entsteht eine Härte, wenn dieses Abstechen zu plötzlich oder zu stark ist. Der Mahler setzet in den verschiedenen Gründen des Gemähldes Gegenstände neben einander, die durch ihr Abstechen die Haltung und die verhältnismäßige Entfernung der Gründe bewürken sollen. Aber dieses Abstechen kann zu stark und übertrieben seyn; alsdann wird das Gemählde hart.

Je entfernter ein Gegenstand ist, je unbestimmter oder ungewisser werden die Umrisse, die seine Form bestimmen; und diese Ungewißheit betrifft auch die Farben, die Lichter und die Schatten. Wenn der Mahler diese Dinge genauer bezeichnet, als die Entfernung es verträgt, so wird er hart. Durch genaue Beobachtung dessen, was zur Haltung und zur Harmonie gehöret, wird das Harte vermieden. Es kömmt hiebey ungemein viel auf die Stärke des Lichts an: bey ganz starkem Lichte wird alles härter und bey gedämpftem Lichte weicher. Am schweeresten ist es also das Harte bey starkem Lichte zu vermeiden, weil sich da die Schatten hart abschneiden. Ohne die höchste Nothwendigkeit muß der Mahler keinen Gegenstand wählen, der bey hellem Himmel von der Sonne beleuchtet wird, und ein gedämpftes Licht ist überhaupt dem strengen allezeit vorzuziehen.

Auch in Vorstellungen, die nicht in die Sinnen fallen, kann das Harte vorkommen. Man nennt eine Metapher hart, wenn das Bild schweer an das Gegenbild paßt. Homer schreibet der Cicada ὄπα λειριόεσσαν, einen Lilienton zu.3 Dieses scheinet uns hart, weil wir den Zusammenhang zwischen dem Bild und dem Gegenbilde schweerlich entdeken. Diejenigen aber, denen das Wort λειριοεις, in der metaphorischen Bedeutung lieblich, geläufig war, fanden keine Härte in der homerischen Metapher.

Das Harte muß nicht nur deswegen vermieden werden, weil es die Werke der Kunst unangenehm, und die Vorstellungen holperig macht; sondern noch mehr darum, weil es überhaupt den Eindruk schwächt. Wenn ein Gegenstand seine volle Kraft auf das Gemüth haben soll, so leidet die Aufmerksamkeit auch[520] nicht die geringste Zerstreüung; die Würksamkeit der Seele muß ganz und vollständig auf ihm vereiniget seyn; denn durch die Zerstreuung der Gedanken wird der Eindruk sehr merklich geschwächet. Wenn wir uns an das Harte stoßen, so wird ein Theil der Aufmerksamkeit von der innern Natur des Gegenstandes auf sein Aeusserliches gerichtet, und dadurch verliehret er einen Theil seiner Kraft. Ein Werk der Kunst würket nur alsdenn alles, was es würken kann, wenn wir es so völlig allein gegenwärtig haben, wie ein in Gedanken vertiefter Mensch, der von dem, was um ihn ist, nichts sieht und höret, seine Gedanken gegenwärtig hat. Eine sanft fliessende und wolklingende Rede wieget das Ohr in einen leichten Schlaf ein, der alle Zerstreuung hemmet, und alsdenn ist die Aufmerksamkeit blos auf die Gedanken gerichtet. So bald die Rede hart oder holperig wird, so wacht das Ohr auf, hört mehr auf den bloßen Klang, als auf den Sinn der Worte, und dadurch wird der Eindruk geschwächt. Und so geht es auch in andern Fällen. Wenn man also dem Künstler die äusserste Sorgfalt empfiehlt, auch die geringsten Fleken auszuwischen, so geschieht es nicht aus Wollust, oder darum, daß wir gerne das höchste Vergnügen daran haben wollen; sondern aus einer höhern Absicht, damit wir die Kraft des Werks ganz empfinden. Dieses wird verständlicher werden, wenn man hier die Anmerkungen wiederholt, die an einem andern Orte von der Einförmigkeit sind gemacht worden.4

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 519-521.
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