Entfernung

[323] Entfernung. (Mahlerey)

Der scheinbare Abstand eines Gegenstandes im Gemählde von denen, die auf dem vodersten Grund desselben stehen. In der Natur selbst ist diese Entfernung [323] würklich, im Gemähld aber ist alles gleich weit von dem Aug entfernet. Dennoch aber muß nach Beschaffenheit der Vorstellung eines weit und das andre nahe scheinen. Die Kunst das Auge in diesem Stük zu betrügen, und einen Gegenstand weit von einem andern zurük weichen zu machen, ist ein wesentlicher Theil der Kunst zu zeichnen und zu mahlen.

Die Entfernung eines Gegenstandes, so weit nämlich das Aug davon urtheilet, wird in der Natur aus drey Umständen erkennt; aus der scheinbaren Verkleinerung, welche die Entfernung nothwendig mit sich bringt; aus der Undeutlichkeit der Umrisse, und aus der Schwäche des Lichts und Schattens. Ueber den ersten Punkt kann der Mahler, wenn er sein Werk nach der Natur zeichnet, nicht wol fehlen. Setzet er aber die Arbeit nach seiner eigenen Erfindung zusammen, so muß er die Entfernung der verschiedenen Gründen erst fest setzen, und hernach jedem Gegenstand die Größe geben, welche die Regeln der Perspektiv erfodern.

In Ansehung des zweyten Punkts müssen zwey Dinge in Betrachtung gezogen werden. Der Mahler muß nämlich aus der Optik wissen, was für Theile eines Gegenstandes in einer gegebenen Entfernung noch sichtbar sind, z. E. auf was für eine Weite man in einem Gesicht die Augen, oder in einem Haus die Fensterscheiben noch unterscheiden kann oder nicht. Daraus erkennt er, was für einzele Theile in einer gewissen Entfernung noch anzuzeigen sind oder nicht; allein die Hauptbetrachtung muß von der Beschaffenheit der Luft und der hellen oder dunklern Farbe des Grundes, der hinter dem Gegenstand ist, hergenommen werden. Beyde Punkten erfodern eine nähere Erläuterung.

In Gegenden, wo man weit entfernte Gegenstände entdekt, wie in bergichten Ländern, hat man oft Gelegenheit wahrzunehmen, daß nach Beschaffenheit der Luft, entfernte Gegenstände einmal sehr viel näher, als andere mal scheinen. Bey einer sehr hellen und harten Luft, die insgemein ein Vorbote des den Tag darauf kommenden Regens ist, scheinen die entferntesten Gegenstände, z. E. Berge sehr viel näher zu seyn, als wenn die Luft voll aufsteigender Dünste, oder mit einem unsichtbaren Nebel angefüllt ist, der alles weich macht. Was man das eine mal zwey Meilen weit von sich schätzet, erscheint im andern Fall gewiß acht Meilen weit.

Der Mahler hat demnach zuvoderst auf den Ton, oder den Grad der Duftigkeit, den er der Luft geben will, acht zu haben. Denn nach diesem richtet sich die scheinbare Entfernung in Absicht auf die härtere oder weichere Umrisse, und des schwächern oder stärkern Lichts. Je dunkler und lebhafter das Blaue des Himmels ist, je weniger ist die Luft duftig, und je härter die Umrisse. Wenn demnach alle Theile der Landschaft nach ihrer scheinbaren Größe gezeichnet worden, und der Mahler dabey nöthig findet, die hintern Theile derselben noch weiter zu entfernen, als ihre Verjüngung nach der Linienperspektiv mit sich bringt, so muß er wissen seiner Luft einen duftigen Ton zu geben. Dieses geschieht, wenn er das Blaue des Himmels stark mit Weißem vermengt, so daß es besonders gegen dem Horizont zu beynahe ganz verschwindet. Da nun bey einer solchen Luft die Umrisse der entferntesten Gegenstände ungewiß werden, so muß er die weißliche Farbe der Luft über die schwachen Umrisse der letzten Gegenstände hereinspielen lassen.

Hiernächst müssen alle Farben der Gegenstände den Einfluß dieser duftigen Luft fühlen. Jede Farbe wird undeutlicher als mit einem weißlichten Staub überstreut. Die Schatten werden überall schwächer. Was sonst die würkliche Entfernung thäte, das thut jetzo blos die dichtere Luft zwischen dem Aug und den Gegenständen. Man weiß, daß so wol durch die große Entfernung, als durch die duftige Luft das Schwarze bläulicht, und das Bläulichte weiß wird. Hätte ein Mahler genaue Beobachtungen über die Einmischung der Farben, welche bemeldte Umstände in den eigenthümlichen Farben der Körper verursachen, so könnte er jeden Gegenstand nach seiner Entfernung färben.

Gegenstände, die nah am Horizont sind, verlieren so wol die eigenthümliche Farbe, als das Licht und den Schatten in geringerer Entfernung, als hohe Gegenstände, welches da Vinci schon angemerkt hat. Es läßt sich nicht bestimmen, in welcher Entfernung die Körper von jeder Farbe dieselbe ganz verlieren; weil dieses auf die mehr oder weniger helle Luft ankommt. Es ist also nothwendig, daß der Mahler die Natur unaufhörlich zu allen Tageszeiten, und in allen Abwechslungen des Wetters und der Jahrszeiten genau beobachte. Dabey ist ihm noch zu rathen, die scharfsinnigen Beobachtungen [324] des da Vinci über diese Materie wol zu studiren.1 S. Luftperspektiv.

1S. Traitté de la peinture par L. de Vinci. Chap. 68. 102. 106. 107.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 323-325.
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