Luft

[722] Luft. (Mahlerey)

Der Landschaftmahler hat in Absicht auf die Luft, oder den hellen Himmel, zu glüklicher Ausführung seiner Arbeit verschiedenes zu beobachten. Je reiner die Luft ist, je weniger von der Erde aufsteigende Dünste darin schweben, je dunkler und schöner ist ihre blaue Farbe; die unsichtbaren Dünste geben der Farbe der Luft eine Mischung von grau, und wenn sie in Ueberfluß vorhanden sind, so verwandelt sich das Himmelblau völlig und wird hellgrau.

Diese unsichtbaren Dünste sind nahe an der Erde am häufigsten: daraus folget, daß die Farbe des Himmels vom Scheitelpunkt an, bis an den Horizont durch unmerkliche Grade allmählig geschwächt und mit grau vermischt wird. Denn die aus der obern Luft in das Aug fallenden Strahlen, müssen durch mehr und durch dichtere Dünste dringen, je näher der Punkt, aus dem sie kommen am Horizont liegt, wovon sich jeder ohne langes Nachdenken versichern kann. Doch wird der Beweiß davon im folgenden Artikel gegeben werden. Darum muß das Blaue des Himmels in der Landschaft so gemahlt werden, daß es vom höchsten Punkt an, bis an den Horizont immer etwas heller werde, am Horizont selbst ist es ofte ganz ausgelöscht und der Himmel ist hellgrau.

Aus eben diesem Grunde hat Leonh. da Vinci schon angemerkt, daß ferne Gegenstände, die sich hoch in die Luft erheben, wie Berge, in der Höhe heller und weniger duftig müssen gehalten werden, als tiefer gegen die Erde. Alle weitentfernten Gegenstände, die nahe am Horizont sind, erfahren dieselbe Veränderung, als das Blaue des Himmels; nachdem die Luft reiner, oder von Dünsten mehr erfüllt ist, bekommen alle Farben der Gegenstände am Horizont eine geringere oder stärkere Mischung des Grauen. Davon wird im nächsten Artikel ausführlicher gesprochen werden.

Die Farbe der Luft kann vortheilhaft gebraucht werden, die Tages- und Jahreszeiten zu bezeichnen. Des Morgens ist, bey gleich hellem Wetter, die Farbe der Luft frischer, als am Mittag, und am Abend ist sie am schwächsten; weil des Morgens die Luft am wenigsten mit Dünsten angefüllt ist, die den Tag über beständig von der Erde aufsteigen, folglich am Abend in größter Meng da sind.

So ist im Winter die Luft heiterer und die Farbe des Himmels schöner, oder härter, als im Sommer; im Herbst aber ist sie am meisten mit grau vermischt, und am sanftesten. Darum wird eine Landschaft am vortheilhaftesten im Herbst gemahlt. Wer an [722] einem recht hellen Frühlingstage nach der Natur Landschaften mahlt, wird ihnen nie die sanfte Harmonie geben können, die sie im Herbst haben.

Der Landschaftmahler kann aus fleißiger Beobachtung des Einflusses, den die in der Luft schwebenden Dünste auf alle Farben der in der Natur verbreiteten Gegenstände haben, sehr viel lernen. Er hat eben so nöthig bey den verschiedenen Abänderungen der Luft, blos sein beobachtendes Aug zu brauchen, als sich mit der Reißfeder und dem Pensel zu üben.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 722-723.
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