Lichter (Mahlerey)

[708] Lichter. (Mahlerey)

So werden in einem Gemählde diejenigen Stellen genennt, auf welchen das einfallende Licht ohne einige Schwächung seine ganze Stärke behält. Auf einer Kugel, worauf das ganze Licht fällt, ist, wie im vorhergehenden Artikel gezeiget worden, nur eine einzige kleine Stelle, die dasselbe in seiner ganzen Stärke bekommt; also nur ein solches Licht: aber auf einem vielförmigen Körper, sieht man insgemein mehrere Lichter. Ein Gesicht, worauf ein streifendes Seitenlicht fällt, wird auf allen erhabenen Stellen, z. E. auf der Stirn, auf der Nase, auf dem Kinn und auf der höchsten Rundung der Baken Lichter zeigen, wenn diese Theile gegen die Fläche des einfallenden Lichts so hervorstehen, daß sie vom ganzen Lichte getroffen werden, da es vor den weniger hervorstehenden Theilen vorbeyglitschet.

Man muß sich das eingeschränkte Licht, als einen Strohm vorstellen, der seine bestimmte Ufer und Gränzflächen hat. So ist das Licht, das durch eine vierekige Oefnung, wie ein Fenster, in einen dunkelen Raum fällt, ein in vier gerade Flächen eingeschlossener Lichtstrohm. Steht ein Körper, an welchem Erhöhungen und Vertiefungen sind, so neben diesem Strohm, daß nur einige herausstehende Theile sich in denselben eintauchen, da andre außer ihm liegen, so erscheinen die Lichter auf diesen Theilen.

Die richtige Austheilung der Lichter in einem Gemählde ist eine Sache, wozu eine mathematische Genauigkeit erfodert wird, die, wie die Regeln der Perspektiv nur durch würklich geometrische Bestimmungen kann erreicht werden. Weil die Mahler selten das Licht mit dieser Genauigkeit behandeln, so siehet man gar ofte Lichter auf Gemählden verstreut, deren Daseyn aus dem einfallenden Hauptlicht unmöglich kann erklärt werden.

In einem Gemählde, wo nur einzele Theile von dem vollen Hauptlichte getroffen werden, da es auf allen andern mehr oder weniger durch Schatten gedämpft wird, können die Lichter ohne jene geometrische Genauigkeit nicht angebracht werden. Deswegen sollten die, welche Anleitungen zur Perspektiv für die Mahler schreiben, auch diese Materie etwas genau abhandeln. Um nur einigermaaßen eine Probe der Behandlung dieser Materie zu geben, wollen wir folgendes anmerken.

Vor allen Dingen muß bey eingeschränktem Lichte der Lichtstrohm nach seiner Größe, nach seiner Figur und nach seiner Richtung genau bestimmt werden. Er kann conisch, cylindrisch, prismatisch u.s.f. seyn. Nächst diesem muß die eigentliche [708] Lage des Lichtstrohms in Absicht auf die Scene, oder den ganzen Raum des Gemähldes bestimmt werden. Hat denn der Mahler einen richtigen Grundriß von seinem Gemählde, und ist die Höhe jedes Gegenstandes darauf bestimmt, so kann er genau sagen, welche Theile des Gemähldes in dem Lichtstrohm, und welche außer demselben liegen.

Hiernächst kommen sowol der Horizont des Gemähldes, als der dafür angenommene Augenpunkt in Betrachtung, weil alles was über dem Horizont ist, sein Licht niedriger hat, als was unter ihm steht, und das, was zur Rechten des Augenpunkts liegt, keine Lichter haben kann, als auf seiner linken Seite.

Wir berühren diese Sachen hier nur obenhin, weil ihre Ausführung, wie gesagt, in die Abhandlung der Perspektiv gehört. Wenn in einem historischen Gemählde alles nach dem Leben könnte gemahlt werden, so hätte der Künstler diese Theorie zur sichern Anbringung der Lichter nicht nöthig. Die bloße Beobachtung würde ihm dieselben zeigen. Aber der Historienmahler sezet seine meisten Figuren, entweder aus der Phantasie hin, oder nihmt sie aus gesammelten sogenannten Studien: da kann er blos der Zeichnung halber sicher seyn; aber Licht und Schatten muß er aus genauen perspektivischen Regeln bestimmen.

Ungemein viele Fehler, sowol gegen die Perspektiv, als insbesondere gegen die wahre Sezung der Lichter, entstehen daher, daß die Mahler ihre historischen Stüke aus Studien zusammensezen, davon jedes aus einem eigenen Gesichtspunkt, und in einem eigenen Lichte gezeichnet und schattirt worden, und dann glauben, sie können ohne genaue Bestimmung der perspektivischen und optischen Regeln, diese Studien, durch ohgefehre Schäzung so verändern, daß sie in die Perspektiv und Beleuchtung des Gemähldes passen.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 708-709.
Lizenz:
Faksimiles:
708 | 709
Kategorien: