Ton (Mahlerey)

[1160] Ton. (Mahlerey)

Ist der Charakter, das ist das Sittliche oder Leidenschaftliche des farbichten Lichts, das in einem Gemählde herrscht. Daß in dem Colorit eines Gemähldes solche Charaktere statt haben, fällt auch dem unachtsamesten Menschen in die Augen. Der fürchterliche Himmel, der ein nahes Gewitter verkündiget, und der liebliche Frühlingsmorgen, beweisen dieses allzudeutlich. Jener würkt Ernst, und dieser Fröhlichkeit. Die sanft in einander fließenden Farb einer Landschaft bey schönem duftigen Herbstwetter, kommt mit dem Sanften und Gefälligen einer Gemüthsart; hingegen die helle und etwas harte Haltung derselbigen Landschaft im Sommer, mit dem runden und geraden Wesen eines Charakters ohne Zärtlichkeit überein.

Wenn dieses nicht bloße Hirngespinste sind, so liegt blos in der Farbenmischung etwas, das mit dem Sittlichen und Leidenschaftlichen in moralischen Gegenständen einige Aehnlichkeit hat. Dieses [1160] ist ohne Zweifel das, was man in dem Gemählde den Ton der Farben nennt, mit einem Ausdruk, den schon die Griechen gebraucht haben.1 Denn wie in der Musik eine Tonart von der andern sich ebenfalls durch etwas Sittliches oder Leidenschaftliches unterscheidet, indem eine streng, ernsthaft, wild, eine andre sanft, gefällig, zärtlich ist, so ist es auch in der Farbenmischung.

Es ist sehr schweer die Gattungen des Tons, oder die Tonarten des Colorits zu beschreiben; ein fühlendes Aug, das gewohnt ist, ländliche Gegenden zu allen Jahreszeiten und in allen Arten des Wetters aufmerksam zu betrachten, kennt sie; aber noch weit schweerer ist es zu sagen, wie der Mahler jeden Ton erreiche. Ohne Zweifel wird der Ton überhaupt durch den Charakter bestimmt, den die gebrochnen Farben, von der Hauptfarbe, von welcher sie ihre Temperatur bekommen, annehmen. In der Natur sehen wir offenbar, daß der Ton der Landschaft bald von dem blauen Lichte des Himmels, das sich mit den eigenthümlichen Farben der Körper, worauf es fällt, vermischt, bald von dem weißlichten blaßen Lichte desselben, bald von dem rothen Lichte der Morgen- und Abendwolken, herkommt.

Bedenkt man hiebey noch, daß gewisse Farben der Kleider mit dem, was die Physionomie der Personen uns von ihrem Charakter zeiget, übereinkommen, oder dagegen streiten, so wird man geneigt zu glauben, daß der Mahler den Ton in der Herrschaft, oder dem Einfluß einiger Hauptfarben in die Mischung des ganzen Colorits zu studiren habe. Folgende Betrachtung wird vielleicht etwas beytragen, die gemachten Anmerkungen zu erläutern. Das eigentliche Licht, oder das Element, dessen Einfluß uns die Körper sichtbar macht, ist von verschiedener Farbe. Es giebt ein weißes Licht, wie das Licht der im heftigsten Feuer geschmolzenen Metalle; ein rothes Licht, wie das Licht einer brennenden Kohle, oder eines nicht heftig glüenden Metalls; ein gelbes Licht, wie das Licht der Sonne; ein blaues Licht, wie das Licht des Himmels u.s.f. Stellt man sich eine Landschaft in der Natur vor, in welcher jeder Gegenstand schon seine eigenthümliche Farbe hat, so begreift man, daß dieselbe von jeder Art Licht, das sie sichtbar macht, ein anderes Colorit bekömmt, wenn man gleich sezt, daß jede Art des Lichts in gleicher Menge und von derselben Seite her auf die Landschaft falle. Jede Art theilt dem Colorit der Landschaft etwas von seiner Art mit. Daher scheint das zu kommen, was man den Ton des Gemähldes nennt.

Demnach muß der Mahler, der verschiedene Tone in seine Gewalt bekommen will, auf die Art des Lichts studiren, das in seinem Colorit herrscht. Dieses kann er dabey anfangen, daß er eine ländliche Gegend in allen möglichen Arten der Beleuchtung, in allen Tages- und Jahreszeiten und bey jeder Art der Witterung auf das genaueste betrachtet. Hernach wird er auch wol thun, wenn er auf die Würkung des wiederscheinenden Lichts Acht hat. Vielleicht könnten folgende Versuche hiezu etwas beytragen.

Man hänge ein gut, aber etwas hartgemahltes Gemählde in einem Zimmer an eine Wand etwas in Schatten. Gegen ihr über, an einer Stelle, worauf eine helle Sonne scheinet, seze man eine mit rothen, oder blauem, oder gelben, oder weißen Taffet überzogene Tafel, auf welche man das Sonnenlicht ganz auffallen, und durch eine gehörige Wendung von da auf das Gemählde abprellen läßt, und bemerke jedesmal die Würkung dieses Lichts auf das Gemählde. Auf diese Art könnte man vielleicht auf eine gute Kenntnis der Tone kommen, und daher auch Anleitung nehmen, dieselbe zu erreichen.

Das Leichteste in dieser Sache ist die Bemerkung der Regel, daß es zur Vollkommenheit eines Gemähldes nothwendig ist, ihm den Ton zu geben, den der Charakter des Gemähldes fodert. Eine traurige Vorstellung erfodert einen Ton, der den Eindruk des Inhalts unterstüzt, und eine reizende Vorstellung macht auch die Lieblichkeit in dem Ton nothwendig.

1Plin. XXXV. 5.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1160-1161.
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