Dithyramben

[271] Dithyramben. (Dichtkunst)

Diesen Namen führten bey den Griechen gewisse Lieder oder Oden, die dem Bacchus zu Ehren gesungen wurden. Da von dieser lyrischen Dichtart nichts auf unsre Zeiten gekommen ist, so läßt sich auch nicht ganz bestimmen, wodurch sie sich von andern verwandten Arten ausgezeichnet habe. Sie wurden bey den Opfern des Bacchus, in der phrygischen Tonart abgesungen, wenn die Sänger gut betrunken waren1; daher leicht zu urtheilen ist, daß sowol das Gedicht, als die Musik etwas ausschweiffendes und wildes müße gehabt haben. Vermuthlich hatten sie auch viel dunkles, das das Ansehen einer geheimen Bedeutung haben sollte; denn Aristophanes setzet die Dithyrambendichter mit den Sophisten, Wahrsagern und Marktschreyern in eine Classe, und hält sie für Windbeutel, die mit grossen und künstlich zusammen gesetzten Worten nichts sagen.2 Man weiß, daß die Religion des Bacchus viel Geheimnißvolles hatte, und da ohne dem betrunkene Leute weder ihre Ausdrüke noch ihre Gedanken genau abmessen, so war es natürlich, daß die Dithyramben in Gedanken und Ausdrüken etwas ganz besonders und zum Theil ausschweiffendes und verwegenes haben müßten. Horaz bezeichnet den Charakter der von Pindar verfertigten Dithyramben durch drey Züge.


–– per audaces nova Dithyrambos

Verba devolvit, numerisque fertur

Lege solutis.3


Er nennt die ganze Dichtungsart kühn oder verwegen, vermuthlich wegen des rasenden Tones derselben; denn schreibt er ihr neue Wörter zu, die in der That sehr häuffig müssen vorgekommen seyn, da der dithyrambische Ausdruk zum Sprüchwort worden; endlich sagt er, sie binden sich an kein Metrum. Ein alter Scholiast merkt hiebey an, daß der Gesang mit einerley Stimm oder Ton, vom Niederschlag bis zum Aufschlag fortgegangen. Aus diesem allem aber läßt sich doch die eigentliche Beschaffenheit dieser Lieder nicht genau erkennen. Pindar sagt, sie seyen in Corinth zuerst aufgekommen, und Aristoteles giebt den Arion für ihren Erfinder an.

Ein deutscher Dichter hat vor einigen Jahren Oden unter dem Titel Dithyramben herausgegeben, deren Inhalt aber nicht Bacchus, sondern Siege- und Kriegesthaten sind. Der Zwek des Dichters war, wie er selbst sagt; kühne lyrische Poesien zu liefern, die den höchsten Grad der Begeisterung hätten, und in einer de selben angemessenen rauschenden und volltönenden Sprach vorgetragen wären. Dieses sind also nur in ganz uneigentlichem Verstande Dithyramben.4

Ueberhaupt scheinet der gegenwärtige Gebrauch der Dichtkunst, nach welchem sie von öffentlichen Feyerlichkeiten, wenigstens von solchen, wo eine hüpfende Begeisterung statt hätte, ausgeschlossen ist, auch die eigentlichen und uneigentlichen Dithyramben von unsern Dichtungsarten auszuschliessen. Wir wollen nicht in Abrede seyn, daß eine etwas ausgelassene Freude bisweilen gute Würkung auf Leib und Gemüth haben könne, und also das Horazische Dulce est desipere in loco gern unterschreiben; aber dazu sind eben keine Dithyramben nothwendig.

1Athen L. XIV.
2In dem Lustspiel die Wolken 1 Aufz. 4 Auftr.
3Od. L. IV. 2.
4S. Briefe über die n. Litteratur XXI Theil S. 42 u.s.f.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 271.
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