Epodos

[331] Epodos. (Dichtkunst)

Ein griechischer Name, der gewissen Versen oder auch ganzen Gedichten gegeben wird. So finden wir in den Gedichten des Horaz ein ganzes Buch, welches das Buch der Epoden genennt wird. Das Wort scheinet überhaupt etwas zu bedeuten, das als ein Zusatz zu den vorhergehenden Versen gehört. Einige Oden des Pindars, und viel Oden in den Chören der griechischen Trauerspielen, sind so eingerichtet, daß erst eine Strophe kommt, die vermuthlich von einem Theil des Chors, oder einer Person gesungen worden; auf diese folget eine in der Versart ihr vollkommen ähnliche Strophe, die ohne Zweifel von dem andern Theil des Chors oder einer andern Person gesungen, und Antistrophe genennt worden. Geht nun die Ode noch weiter, ohne daß wieder der erste Theil des Chors, eine der ersten ähnliche Strophe singt; so folget ein dritter Satz, als der Schluß, welcher wieder seine eigene Versart und folglich seine eigene Melodie hat, und vielleicht vom ganzen Chor ist gesungen worden. Dieser Satz heißt Epodos. Eine solche Ode wurd von den Alten Epodica, ein epodischer Gesang genennt.

Daher haben vermuthlich auch diejenigen Oden den Namen der epodischen Oden bekommen, welche, wie die horazischen Epoden, nach einem längern sechsfüßigen jambischen Vers, einen kleinern vierfüßigen zum Schluß des Metri haben. Ὅταν, sagt der Grammaticus Hephästion μεγάλῳ ςίχῳ περιττόν τι ἐπιφέρεταμ. Wenn einem längern Vers noch etwas (ein kleinerer) übriges, ungleiches hinzugethan wird. Er erläutert solches durch folgendes Beyspiel aus einer Ode des Archilochus auf den Lycambes.


Πάτερ Λυκάμβα, ποῖον ἐφράσω τόδε;

τισσὰς παρήειρε φρένας.


Von diesen beyden Versen, welche das Metrum der Ode ausmachen, ist der erste der Hauptvers, der andre aber das hinzugekommene, oder das Epodos, welches den Sinn des Distichons endet; daher eine Ode; welche aus diesem Metro besteht, eine epodische Ode genennt wird. Und so sind die Epoden des Horaz. Der angeführte griechische Dichter scheinet zuerst solche Oden gemacht zu haben; und da er sie meistentheils zur Beschimpfung und Bescheltung des Lycambes gemacht hat, der ihm seine Tochter zur Ehe verweigert hatte, so hat auch Horaz seinen Epoden meist den scheltenden Ton gegeben.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 331.
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