Gelenke

[447] Gelenke. (Zeichnende Künste)

Die Stellen, da ein bewegliches Glied an ein anders Glied anschließt. Das Wort wird zwar auch in metaphorischem Sinn genommen; denn man sagt auch von einer steifen Schreibart, sie sey ohne Gelenke. In so fern bedeutet dieses Wort eine leichte Verbindung verschiedener zu einem Ganzen gehöriger Glieder. Was zu diesem Begriff gehört, kömmt weiter unten in dem Artikel Glied, vor: also wird das Wort hier nur in dem eigentlichen Sinn, da von Gliedern des menschlichen und thierischen Körpers die Rede ist, genommen. Wie die Natur an den Gelenken eine große Kunst bewiesen hat, so ist auch die richtige Zeichnung derselben ein schweerer Theil der Kunst, der zwar kein Genie, aber desto mehr Studium, Fleiß und Uebung erfodert.

Der Zeichner, der nicht eine sehr richtige Kenntnis dieses Theils der Anatomie hat, der die Osteologie genennt wird, kann hier nicht fortkommen. Also sollte jeder Zeichner fleißig bloße Skellette abzeichnen, um sich diesen Theil der Kunst völlig geläufig zu machen. Dazu muß aber auch ein lang anhaltendes Zeichnen, nach lebendigen Modeln von verschiedenem Alter und von verschiedener Leibesbeschaffenheit kommen. Denn die äussere Form der Gelenke ist nach Beschaffenheit des Alters, und der magern oder fetten Leibesbeschaffenheit gar sehr verschieden. Eine Figur, darin, nach der Stellung und übrigen Beschaffenheit der Sache, die Gelenke mit völliger Richtigkeit ausgedrukt sind, bekömmt dadurch ein ungemeines Leben. Wo hingegen in diesem Stüke gefehlt wird, da ist alles übrige der Kunst verlohren. Der erste Eindruk, den eine gezeichnete Figur machen muß, ist das Gefühl der vollkommen natürlichen Form, ohne welches der Begriff der Schönheit nie statt haben kann. Das Mangelhafte der natürlichen Form aber empfindet man so gleich, wenn in der Zeichnung der Gelenke etwas versehen ist. Deswegen muß jeder Zeichner diesen Theil mit der größten Sorgfalt studiren.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 447.
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