Schönheit

Schönheit.

Daß die menschliche Gestalt der schönste aller sichtbaren Gegenstände sey, därf nicht erwiesen werden; der Vorzug den diese Schönheit über andre Gattungen behauptet, zeiget sich deutlich genug aus ihrer Würkung, der in dieser Art nichts zu vergleichen ist. Die stärksten, die edelsten und die seeligsten Empfindungen, deren das menschliche Gemüth fähig ist, sind Würkungen dieser Schönheit. Dieses berechtiget uns, sie zum Bild oder Muster zu nehmen, an dem wir das Wesen und die Eigenschaften des höchsten und vollkommensten Schönen anschauend erkennen können.

Gelinget es uns die Beschaffenheit dieser Schönheit zu entwikeln, so haben wir eben dadurch zugleich den wahren Begriff der höchsten Schönheit gegeben, die das menschliche Gemüth zu fassen im Stand ist.

Bey der großen Verschiedenheit des Geschmaks und allen Wiedersprüchen die sich in den Urtheilen ganzer Völker und einzeler Menschen zeigen, wird man nach genauerer Untersuchung der Sache finden, daß jeder Mensch den für den schönsten hält, dessen Gestalt dem Aug des Beurtheilers den vollkommensten und besten Menschen ankündiget. Können wir dieses außer Zweifel sezen, so werden wir auch etwas Gewisses von der absoluten Schönheit der menschlichen Gestalt anzugeben im Stande seyn.

Gar viel besondere Bemerkungen über die Urtheile von Schönheit, beweisen den angegebenen allgemeinen Saz. Nach aller Menschen Urtheil sind erkannte physische Unvollkommenheiten des Körpers der Schönheit entgegen. Plumpe, zu schnellen und mannigfaltigen Bewegungen untüchtige Glieder, ein abgefallener schwacher Körper, Steiffigkeit in Gelenken, kurz, jede Unvollkommenheit, die die Verrichtungen, die jedem Menschen nöthig sind, schweer oder unmöglich machen, ist auch, nach dem allgemeinen Urtheil der Menschen, ein Fehler gegen die Schönheit. Daß diese Begriffe überhaupt in unser Urtheil über Schönheit einfließen, ist ferner daraus [1040] offenbar, daß die weibliche Schönheit andre Verhältnisse der Gliedmaaßen erfodert, als die männliche. Auch der unachtsameste Mensch empfindet es, daß das männliche Geschlecht zu schweerern, mühesamern, kühnern Verrichtungen gebohren ist, als das weibliche, und eben daher entstehet das Gefühl, daß zartere Gliedmaaßen, die etwas weichlicheres haben, zur weiblichen, und stärkere, etwas dauerhaftes und kühneres anzeigende, zur männlichen Schönheit gehören. Auch das Verschiedene in der Schönheit des Kindes, des Jünglings und des Mannes, das gewiß alle Menschen empfinden, bestätiget dieses. Ein Kind, es sey von dem einen, oder andern Geschlecht, das die Bildung des reifen Alters hätte, würde für häßlich gehalten wer den. Offenbar nicht deswegen, daß die Gestalt der Erwachsenen in der Größe des Kindes unangenehm sey. Der Mahler bildet sie uns noch kleiner vor und sie bleibet schön; also deswegen, weil das Aeussere mit dem innern Charakter, nicht übereinkommt, weil das Kind zu dem, was es seyn soll, solche Gliedmaaßen nicht braucht.

Ueberhaupt also wird nach der allgemeinen Empfindung dieses nothwendig zur Schönheit erfodert, daß die Form des Körpers die Tüchtigkeit so wol des Körpers überhaupt, als der besondern Glieder zu den Verrichtungen, die jedem Geschlecht und Alter natürlich sind, ankündige. Alles, was ein Geschlecht von dem andern, als der Natur gemäß erwartet, muß durch das Ansehen des Körpers versprochen werden, und die Gestalt ist die schönste, die hierüber am meisten verspricht.

Aber diese Anfoderungen beruhen nicht bloß auf äußerliche Verrichtungen und körperliche Bedürfnisse. Je weiter die Menschen in der Vervollkommung ihres Charakters gekommen sind, je höher treiben sie auch die Foderungen dessen, was sie erwarten. Verstand, Scharfsinn, und ein Gemüthscharakter, wie jeder Mensch glaubt, daß ein vollkommener Mensch ihn haben müsse, sind Eigenschaften, die das Aug auch in der äußern Form zur Schönheit fodert. Ein weibliches Bild das Wollust athmet, dessen Gestalt und ganzes Wesen Leichtsinn und Muthwillen verräth, ist für den leichtsinnigen Wollüstling, die höchste Schönheit, an der aber der geseztere und in dem Besiz seiner Geliebten mehr als muthwillige Wollust erwartende Jüngling, noch viel aussezen würde.

Auch die Urtheile über die Häßlichkeit bestätigen unsern angenommenen Grundsaz. Was alle Menschen für häßlich halten, leitet unfehlbar auf die Vermuthung, daß in dem Menschen, in dessen Gestalt es ist, auch irgend ein innerer Fehler gegen die Menschlichkeit liege, der durch äußere Mißgestalt angezeiget wird. Wir wollen der verwachsenen und ganz ungestalten Gliedmaaßen, die jedermann für häßlich hält, nicht erwähnen; weil es zu offenbar ist, daß sie überhaupt eine Untüchtigkeit zu nothwendigen Verrichtungen deutlich anzeigen; sondern nur von weniger merklichen Fehlern der Form sprechen.

Die Bildung eines Menschen sey im übrigen wie sie wolle, so wird jedermann etwas häßliches darin finden, wenn sie einen zornigen Menschen verräth: oder wenn man irgend eine andre herrschende Leidenschaft von finsterer übelthätiger Art darin bemerkt, und keine Gestalt ist häßlicher, als die, die einen ganz wiedersinnigen, mürrischen, jeder verkehrten Handlung fähigen Charakter anzeiget. Aber auch darin richtet sich das Urtheil, oder der Geschmak, nach dem Grad der Vervollkommung, auf den man gekommen ist. Unter einer Nation, die schon zu Empfindungen der wahren Ehre und zu einem gewissen Adel des Charakters gelanget ist, ist das Gepräg der Niederträchtigkeit, das man bisweilen tief in die Physionomie eingedrükt sieht, etwas sehr häßliches; aber es wird nur von denen bemerkt, die jenes Gefühl der Würde und Hoheit besizen.

Vielleicht möchte jemand zweifeln, daß jede Schönheit der Gestalt etwas von innerlicher Vollkommenheit oder Güte, oder jede Häßlichkeit etwas von dem Gegentheil anzeigte. Wir müssen diesen Punkt näher erwägen.

Jede Schönheit ist eine gefällige Gestalt irgend einer würklichen Materie, das ist, sie haftet in einem in der Natur vorhandenen Stoff. Dieser, wenn er auch leblos ist, hat seine Kraft, das ist, er trägt das seinige zu den in der Natur beständig abwechselnden Veränderungen bey, und hat seinen Antheil an dem, was in der Welt Gutes oder Böses geschieht, kann folglich nach der besondern Art seiner Würksamkeit, (nach den eingeschränkten menschlichen Begriffen zu reden) unter gute oder böse Dingen gehören. Ich getraue mir die kühne Vermuthung zu wagen, daß jede Art der Schönheit in dem Stoff darin sie haftet, etwas von Vollkommenheit oder Güte anzeige. [1041] Aber wir wollen ohne uns auf Hypothesen und Speculationen zu verlassen, den angeführten Zweifel, ob innere Fürtrefflichkeit und Verderbnis, sich durch äußere Schönheit und Häßlichkeit ankündigen, aus unzweifelhaften Erfahrungen, aufzulösen suchen.

Es kann gar nicht geläugnet werden, daß es verständige und unverständige; scharfsinnige und einfältige, gutherzige und boshafte, edle, hochachtungswürdige und niedrige, recht verworfene Physionomien gebe, und daß das, was man aus der äußerlichen Gestalt von dem Charakter der Menschen urtheilet, nicht blos aus den Gesichtszügen, sondern aus der ganzen Gestalt geschlossen werde. Die unleugbaren Beyspiehle, da entscheidende Züge des Charakters sich von aussen zeigen, sind völlig hinlänglich die Möglichkeit zu beweisen, daß die Seele im Körper sichtbar gemacht werde. Eben so unleugbar ist auch dieses, daß das, was in der äussern Gestalt gefällt, niemals etwas von dem inneren des Menschen anzeiget, was Mißfallen erwekte, es sey denn, daß dieses aus Irrthum oder Vorurtheil entstehe, wie wenn z.B. einer zärtlichen aber etwas schwachen Mutter die edle Kühnheit im Charakter ihres Sohnes mißfiele, ob sie gleich den Ausdruk derselben in der Gestalt mit großem Wolgefallen sieht. Dergleichen Ausnahmen schränken die Allgemeinheit des Sazes, daß hier auch das Zeichen gefalle, so ofte die bezeichnete Sache gefällt, nicht ein.

Also kann die äußere Gestalt, den innern Charakter des Menschen ausdruken, und wenn es geschieht, so hat das Wolgefallen, das wir an dem innern Werth des Menschen haben, den stärksten Antheil an der gefälligen Würkung, die die äußere Form auf uns thut; wir schäzen das an der äußern Gestalt, was uns in der innern Beschaffenheit gefällt. Wir sehen in dem Körper die Seele, den Grad ihrer Stärke und Würksamkeit, und


Unter dem Licht der Augen und unter den Rosen der Wangen

Seh'n wir ein höheres Licht ein helleres Schönes hervorgehen.1


Noch ehe sich der Mund öffnet, ehe ein Glied sich bewegt, sehen wir schon, ob eine sanftere oder lebhaftere Empfindung jenen öfnen, und diese bewegen wird. In der vollkommensten Ruh aller Glieder, bemerken wir zum voraus, ob sie sich geschwind oder langsam, mit Anstand, oder ungeschikt bewegen werden.

Hier können wir von der bloßen Möglichkeit der Sach auf ihre Würklichkeit schließen; weil sie allen übrigen wolthätigen Veranstaltungen der Natur vollkommen gemäß ist. Es war nothwendig, wenigstens heilsam, den Menschen ein Mittel zu geben, Wesen seiner Art, mit denen er nothwendig in Verbindung kommen mußte, und die so sehr kräftig auf seine Glükseeligkeit würken, schnell kennen zu lernen. Die Seelen der Menschen sind es, die unser Glük oder Unglük machen, nicht ihre Körper. Also mußten wir ein Mittel haben, diese schnell zu erkennen, zu lieben, oder zu scheuhen. Schneller, als durch das Anschauen der sichtbaren Gestalt, konnte es nicht geschehen. Da dieses möglich war, warum sollten wir länger daran zweifeln, daß der Körper nichts anders, als die sichtbar gemachte Seele, der ganze sichtbare Mensch sey? Kann es einem verständigen Menschen zweifelhaft seyn, daß die Natur durch die höchst liebliche und einnehmende Gestalt, die der Kindheit eigen ist, Wohlwollen gegen dieses Hülf- und Gunst-bedürftige Alter, habe erweken wollen? Hat sie nicht so gar in die sichtbare Gestalt der Thiere etwas gelegt, das den Verständigen vor ihnen warnet, oder sie suchen macht?

Freylich ist ein Mensch scharfsinniger, als der andere, in der äußern Form zu sehen, was er sehen sollte. Die Gewohnheit, in der wir von Kindheit auf unterhalten worden, von dem Menschen mehr aus seinen Reden und Betragen, als aus seinem Ansehen zu urtheilen, hat den angebohrnen Instinkt, ihn aus dem äußerlichen Ansehen zu schäzen, sehr geschwächt; und wir sind überhaupt in unsrer Denkungsart und in unsern Sitten, so vielfältig über die Schranken der Natur herausgetreten, daß unser Urtheil über Menschen, und unsre Ansprüche auf sie nothwendig in vielen Stüken willkührlich sind. Wenn aber diesem zufolge das Ideal, das sich jeder von dem vollkommenen Menschen macht, von dem wozu die Natur ihn hat machen wollen, abweicht, so werden nothwendig unsere Urtheile über die äussere Gestalt, in manchen Punkt unrichtig seyn.

Aber so sehr ist der Instinkt den ganzen Werth des Menschen aus dem Ansehen zu beurtheilen, nicht überall geschwächt, daß nicht selbst die ungeübte Jugend, sich desselben oft glüklich bediente. Wie oft ist nicht ein einziger Blik eines unerfahrnen, aber [1042] durch das Unnatürliche in den Sitten noch unverdorbenen Mädchens weit glüklicher und richtiger, als die Ueberlegung ihres Vaters, zu unterscheiden, ob ein Jüngling, sie glüklich, oder unglüklich machen werde? Selbst in diesem Punkt beweiset eine oft fehlgeschlagene Wahl nichts gegen unsern Saz; weil in unserm etwas unnatürlichen Zustande, das, wodurch die Menschen hätten glüklich werden sollen, bisweilen ihr Unglük am meisten befördert; und weil Vorurtheile, die allen Anschein der Wahrheit haben, uns ofte zu falschen Erwartungen und wiedernatürlichen Ansprüchen verleiten, die nicht erfüllt werden können.

Noch müssen wir eine Hauptanmerkung nicht übergehen, die zu richtiger Beurtheilung dieser Sache höchst nothwendig ist. So wol das äußere Ansehen des Menschen, als sein innerer Werth, zwischen welchen unserer Meinung nach, die Natur eine vollkommene Uebereinstimmung bewürkt hat, können durch Zufälle, oder vorübergehende Irrungen so verstellt werden, daß ein überaus scharfes Aug und mehr, als gemeine Urtheilskraft erfodert werden, wenn man sich in seinem Urtheil über die wahre Beschaffenheit der Sache nicht betrügen will. Krankheiten und andre unglükliche Zufälle, können die schönste Leibesgestalt entweder für eine Zeitlang verdunkeln, oder für immer verderben. Wie wenig Menschen sind in solchen Fällen im Stande die ursprüngliche Anlage zu einer vollkommenen Gestalt, unter der zufälliger Weise verdorbenen Form, noch zu erkennen? Wer aber dieses nicht kann, wie soll er die natürliche Harmonie der Gestalt mit dem innern Werth bemerken können?

Noch weit mehr betrügen sich nur zu viel Menschen in ihren Urtheilen über den innern Charakter. Wie ofte geschieht es nicht, daß ein Jüngling, den eine vorübergehende Leidenschaft, oder eine blos zufällige Verblendung, zu allerhand Ausschweifungen verleitet, die die Anlagen des edelsten Charakters so verdunkeln, daß schwache Beurtheiler ihn für einen schlechten Menschen halten, da er sich doch bald hernach in dem fürtrefflichen Charakter zeiget, den sein äußeres Ansehen, zu versprechen schien? Wie das schönste Gesicht durch Staub und Schweiß und eine vorübergehende Verunstaltung auf eine Zeitlang unkenntlich wird, so geschieht es auch in Ansehung des innern Charakters.

Und so kann im Gegentheil der Mensch von einem würklich schlechten Charakter durch Zwang, Verstellung und aus andern ebenfalls blos zufälligen, oder vorübergehenden Ursachen, von halben Kennern der Menschen für edel gesinnt und rechtschaffen gehalten werden, ob er gleich im Grunde nichts werth ist.

Diese Anmerkungen können den, dem es der Erfahrung entgegen scheinet, daß die äußere Gestalt mit dem inneren des Menschen harmonire, belehren, daß es bey den mannigfaltigen Vorurtheilen, die unnatürliche Sitten in uns veranlassen, und bey den vielfältigen zufälligen Verdunkelungen der äussern und innern Gestalt in manchem Falle gar keine leichte Sache sey, so wol über die Schönheit, als über den innern Werth der Menschen richtig zu urtheilen. Man muß sich deswegen hüten, jeden anscheinenden Wiederspruch in dieser Sache, für einen Beweis zu halten, daß das äußere Ansehen des Menschen keine Versicherung seines innern Werths gebe. Aber es ist Zeit wieder auf die Hauptsache zu kommen.

Da wir gezeiget haben, daß die mannigfaltig unrichtigen Urtheile und die betrogenen Erwartungen, denen zufolge man das äußere Ansehen für ein betrügerisches Kennzeichen des innern Werths hält, nicht vermögend sind, unsern allgemeinen Saz verdächtig zu machen; so halten wir uns, alles wol überlegt, berechtiget zu behaupten, daß die Gestalt, und das ganze äußere Ansehen des Menschen, denen, die zu fassen und zu urtheilen im Stande sind, seinen wahren Werth erkennen lassen, und ziehen daraus für den Begriff der Schönheit diesen Schluß: daß derjenige der schönste Mensch sey, dessen Gestalt den, in Rüksicht auf seine ganze Bestimmung, vollkommensten und besten Menschen ankündiget.

Diesem zufolge müssen die Urtheile über Schönheit nothwendig eben so verschieden seyn, als die Begriffe über den Werth des Menschen von einander abgehen: diejenigen, die über diesen Werth einseitig urtheilen, werden auch eben so einseitige Urtheile über Schönheit fällen, und indem einige blos auf Gesundheit, und eine athletische Gestalt sehen, werden andere blos auf den sittlichen Charakter des Gesichtes Achtung geben.

Sind wir nun gleich nicht im Stande die sichtbare Schönheit dem Bildhauer, oder dem Mahler weder zu beschreiben, noch vorzuzeichnen, so können wir [1043] ihm doch sagen, was sie ausdrüken müsse, und wie verschieden der Charakter der weiblichen Schönheit, von dem, der der männlichen eigen ist, seyn müsse. Wir können ihm sagen, daß er die höchste Schönheit nur in dem reifen männlichen Alter antreffen werde, in welchem jedes der beyden Geschlechter die höchste Stärke aller natürlichen Fähigkeiten erreicht. Wir können ihm ferner versichern, daß die männliche Gestalt nicht vollkommen schön seyn könne, wenn sie nicht die Begriffe von voller Gesundheit und Leibesstärke, von Tüchtigkeit zu mannigfaltigen Bewegungen der Gliedmaaßen; von Verstand, Muth und Kühnheit, doch ohne Wildheit, und von Wolwollen, ohne Schwachheit, erweket. Von der weiblichen Schönheit könnten wir ihm sagen, daß sie nothwendig die Vorstellung von Sanftmuth und Gefälligkeit; das Gefühl von der nicht mehr kindischen, sondern dem reifen Alter zukommenden Zartheit, oder Schwachheit, die vorsorgendes Wolwollen erwekt; die Empfindung von Zärtlichkeit und Ergebenheit des Gemüthes, ohne Schwachheit und andren dem schönen Geschlechte wesentlichen Eigenschaften, ausdrüken müsse.

Wir können ferner aus jenem Schluße noch diese wichtigen praktischen Folgen für den Künstler herleiten, daß zwey Dinge erfodert werden, um sich ein wahres Ideal der vollkommenen Schönheit zu bilden; erstlich vollkommen richtige und der Natur gemäße Begriffe von der Vollkommenheit des männlichen und weiblichen Charakters, und von allen äußern und innern Eigenschaften, die den vollkommenen Mann, und das vollkommene Weib ausmachen; zweytens, ein Aug und eine Seele, die fähig seyen, jeden Zug und jedes Lineament der Form, das jene Eigenschaften würklich anzeiget, zu sehen, und seine Bedeutung zu fühlen. Hat er denn bey diesen natürlichen Fähigkeiten das Glük gehabt, ofte fürtrefliche Menschen von beyden Geschlechtern zu sehen, und besizt er sonst die übrigen nöthigen Kunsttalente; alsdenn ist er im Stande ein wahres Ideal der vollkommensten Schönheit zu bilden, und das Bild selbst durch seinen Pensel, oder Meißel uns sichtbar zu machen, und dieses wird alsdenn das höchste und erste Werk aller schönen Künste seyn.

Es wär ein vergebliches Unternehmen, wenn wir die Zergliederung der Schönheit, zu vermeintem Unterricht des zeichnenden Künstlers weiter treiben wollten. Wer indessen glaubet, daß ihm diese Zergliederung noch dienlich seyn könnte, den verweisen wir auf die Anmerkungen und Beobachtungen die Mengs und Winkelmann hierüber gemacht haben2. Die Hauptsach ist, daß der Künstler sich bemühe, edle und richtige Begriffe von menschlicher Vollkommenheit zu erlangen, daß er die Spuhren und Zeichen derselben, überall in der Bildung der ihm vorkommenden Menschen, in den Werken der größten Künstler und besonders in den besten Werken der griechischen Kunst aufsuche, wol bemerke, und dem Aug richtig einpräge. Aber bey dem Studium der Antiken muß der Künstler wol merken, daß die griechischen Künstler nicht allemal auf absolute Schönheit gearbeitet, sondern ofte blos das Ideal eines besondern Charakters haben darstellen wollen, und daß sie ofte der Größe und Hoheit, etwas von der eigentlichen menschlichen Schönheit aufgeopfert, oder es dabey wenigstens aus der Acht gelassen haben. Darum muß er nothwendig die Beobachtung der Natur mit dem Studium der Antiken verbinden.

Ich komme wieder auf die allgemeinere Betrachtung der Schönheit zurük. Wenn von allem sichtbaren Schönen, die menschliche Gestalt das schönste ist, und wenn diese Schönheit außer der Annehmlichkeit der Form, die von Mannigfaltigkeit, Verhältnis und Anordnung der Theile herkommt, und dadurch dem Auge schmeichelt, noch das Gefühl von innerer Vollkommenheit und Güte erweket, deren Kleid die äußere Gestalt ist, so können wir uns daher ein allgemeines Ideal von der Schönheit überhaupt bilden. Sie wird durch blos sinnliche Annehmlichkeit die äußern Sinnen, oder die Einbildungskraft reizen, und die Aufmerksamkeit an sich loken, bey näherer Betrachtung aber wird sie durch innerliche, dem schönen Stoff inhaftende Vollkommenheit, den Verstand reizen, und ihm lebhafte Begriffe von Wahrheit, Weißheit und Vollkommenheit, empfinden lassen, an denen ein denkendes Wesen hohes Wolgefallen hat; denn wird sie auch das Herz mit Empfindungen des Guten erwärmen; sie wird einen Werth, [1044] eine auf Seeligkeit abziehlende Würksamkeit zeigen, die uns mit Liebe und inniger Zuneigung für sie erfüllet. Sie ist also gerade das, dessen Genuß uns von allen Seiten her auf einmal beseeliget, weil Sinnen, Einbildungskraft, Verstand und Herz zugleich ihre Nahrung daran finden. In welchem Werke der Natur oder der Kunst wir diese dreyfache Kraft, die Sinnen, den Verstand und das Herz einzunehmen antreffen, dem können wir vollständige Schönheit zuschreiben; und die Würkungen der vollkommenen Schönheit sind dieselben, wie verschieden auch sonst die Art des schönen Gegenstandes seyn mag. Wenn wir die Statue eines fürtreflichen Mannes von Phidias gearbeitet, betrachten könnten, so würden wir eben das dabey empfinden, was wir bey den vorzüglichsten patriotischen Reden des Cicero fühlen, nur mit dem Unterschied, das dort das Aug, hier das Ohr der Dollmetscher ist, der uns die Schönheit empfinden macht. Dort wird das Aug von einer höchst edlen, harmonischen Form, durch tausend liebliche Eindrüke geschmeichelt, hier vernihmt das Ohr einen höchst mannigfaltigen Wolklang. Aber Verstand und Herz werden in beyden Fällen gleich gerührt. In beyden sehen wir einen Menschen von hohem edlen Geiste, von scharfem Verstand und höchstrichtiger Urtheilskraft; von einem großen Herzen, das die edelsten Neigungen und die wolthätigsten Gesinnungen an den Tag legt. In beyden Fällen finden wir unter dem Genuß des süßesten Vergnügens, daß unser Geist und Herz sich mit innigstem Bestreben empor heben, größer zu denken und zu empfinden; und in beyden Fällen finden wir uns mit Hochachtung und Liebe für den schönen Gegenstand erfüllt.

Der Künstler kennt die wahre Schönheit nicht, dessen Werk, wie lieblich und einschmeichelnd auch das darin seyn mag, was die Sinnen und die Einbildungskraft schmeichelt, nicht zugleich auch den Verstand und das Herz einnihmt. Es ist, wie Ixions Juno, nur eine aus Dünsten gebildete Schönheit, eine bloße Larve, die nur so lange gefällt, als die Täuschung eines Traumes dauren kann. Die bloße Phantasie des Künstlers, wäre sie so lieblich, wie der schönste Frühlingstag, reicht nicht hin ein Werk von wahrer vollständiger Schönheit zu machen; es wird immer eine blos schöne Form seyn, deren Würkung sich auch nicht über die Phantasie hinaus erstrekt. Die vorzüglichsten Werke dieser Art dienen im Grunde doch nur zum Spiehl und zum Zeitvertreib in verlohrnen Stunden. Mit Werken von wahrer innern Schönheit vergliechen, sind sie bloße Zierrathen.

Darum, o Jüngling! dem die Natur ein feines Gefühl für die Schönheit der Form, eine lachende Phantasie gegeben hat, befleißige dich die Schönheit höherer Art kennen und fühlen zu lernen, damit du den schönen Formen, die dein feiner Geschmak entwirft, auch schöne Seelen einflößen könnest. Wie wenig hilft dir eine schöne Einkleidung, eine reizende Schreibart, wenn du dem Verstand und dem Herzen nichts zu sagen hast? Wie wenig die feineste Zeichnung, wenn du nichts, als leere Zierrathen darzustellen vermagst? Warum solltest du dich begnügen schöne Larven zu machen, die das Aug nur so lang reizen, bis man gewahr wird, daß kein Gehirn darin ist? Warum solltest du deine Ruhmbegierde darauf einschränken, daß du vermittelst deiner Werke nur denn ein Gesellschafter der Verständigen und Weisen seyest, wenn diese von der Höhe, worauf sie stehen, heruntersteigen, um sich zur Erholung an leichtern, weit unter ihnen liegenden Dingen zu beschäftigen, und zu scherzen, da du im Stande bist, sie auch denn, wenn sie sich in ihrem Stand und Range zeigen, nach deiner Gesellschaft begierig zu machen? Was würdest du von dem Menschen denken, der sich begnügte der Lustigmacher eines Fürsten zu seyn, da er sein Freund, sein Rath, oder sein Minister seyn könnte?

Vornehmlich aber hüte dich vor der Schmach, die Kinder deines Genies blos zum Muthwillen in Stunden der Trunkenheit, mehr gemißbraucht, als gebraucht zu sehen. Dies würde geschehen, wenn du ihnen blos die unzüchtigen Reize einer Buhldirne gäbest, die jeder leichtsinnige Kopf in seiner Ausgelassenheit zu mißbrauchen sich berechtiget hält. Hast du nicht bemerkt, daß Männer von einiger Würde, wenn sie sich in einer Stunde des Taumels vergessen, und zum Umgang einer reizenden Dirne erniedriget haben, sie durch eine Hinterthür entlassen, so bald bessere Gesellschaft sich zeiget, und daß sie sich so gar schämen, die niedrige Gesellschafterin öffentlich von sich zu lassen? Und du wolltest die Kinder deines Genies einer solchen Schmach aussezen?

Darum scheuhe dich deine Werke neben den Schriften eines Crebillons hinter dem Vorhang gesezt zu sehen, und trachte nach der Ehre ihnen auf dem [1045] vor jedermanns Augen stehenden Tischen großer Männer neben Cicero, Horaz, Rousseau oder Haller, einen Plaz zu verschaffen. Zu dieser Ehre wirst du gelangen, wenn du, nicht die blendenden Reizungen einer schlüpfrigen Venus, sondern die höhern Reize einer Liebe und Hochachtung zugleich einflößenden Person, dir zum Muster der Schönheit vorsezen wirst.

1Die Sündfluth 11. Ges.
2Mengs in dem kleinen, aber fürtreflichen Werk über die Schönheit und über den Geschmak in der Mahlerey; Winkelmann in seiner Geschichte der Kunst des Alterthums.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1040-1046.
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