Schraffirung

[1046] Schraffirung. (Zeichnende Künste)

In Zeichnungen, Kupferstichen und Gemählden nennt man die nebeneinandergesezten, sich auch bisweilen durchkreuzenden Striche, wodurch die Schatten ausgedrukt werden, Schraffirungen.

Weil die Schatten gemeiniglich von der dunkelsten Stelle gegen das Hellere nach und nach schwächer werden; so werden bey den Schraffirungen die Striche auch so gemacht, daß sie vom Dunkelsten gegen das Helle allmählig feiner werden und zulezt in die feinesten Spizen auslaufen. Starke Schatten werden durch breitere, und schwache durch schmälere oder feinere Striche ausgedrükt.

Die Schraffirung ist einfach, wenn auf einer Stelle die Striche parallel neben einander laufen; doppelt wenn sie sich durchkreuzen. Im ersten Falle erscheinet das Weiße oder Helle zwischen zwey Strichen, auch wie ein weißer Strich, der vom Dunkeln gegen das Helle immer breiter wird; im andern Fall aber wird der helle Grund zwischen den Schraffirungen in kleine, gerade, oder verschobene rautenförmige Viereke eingetheilt. Die leztere Art hat etwas angenehmeres und weicheres, als die erstere, die deswegen auch nur zu Schattirung harter Körper von matter Oberfläche, als Holz, Stein und Erde, gebraucht wird.

Es giebt auch eine Schraffirung, da das Weiße zwischen den Strichen noch mit ganz kleinen abgesezten Strichen, zu Verstärkung des Schattens, ausgefüllt wird.

Eine gute Schraffirung erfodert nicht nur freye, dreiste Striche, wie sich mancher junge Zeichner oder Kupferstecher einzubilden scheinet; sondern überhaupt eine sehr sorgfältige Behandlung, die die Frucht eines genauen Nachdenkens und feinen Gefühles ist.

Erstlich kommt viel darauf an, wie die Striche laufen, ob sie aufwärts, oder unterwärts, ob sie viel oder wenig gebogen seyen, weil dieses sehr viel beyträgt, die höhere, oder flächere Ründung, und die wahre Gestalt der Körper auf die natürlichste Weise darzustellen. Die besten Meister sehen allemal darauf, daß ihre Schraffirungen so laufen, wie die Ansicht des Theiles, der damit schattirt wird, und die abwechselnden Krümmungen es zum natürlichsten Ausdruk erfodern, bald in einförmigen Bogen, bald wellenförmig oder sich schlengelnd. So wie z.B. bey einem in Falten liegenden Gewande, die Faden des Gewebes in ihren verschiedenen Krümmungen laufen, so ändert auch ein Zeichner die Wendungen seiner Schraffirungen ab, selbst da, wo eigentlich kein Faden zu merken ist, wie in der Haut des menschlichen Körpers, wo man sich doch allemal etwas, dem Faden des Gewandes ähnliches vorzustellen pflegt.

Zweytens kommt das Harte und Weiche der Schatten, das von der Wahrheit oder Richtigkeit derselben ganz verschieden ist, größtentheils auf das engere oder weitere Schraffiren, auf die Stärke und Schwäche der Striche an. Nichts ist härter und unangenehmer, als etwas kernhafte, dabey kurz abgesezte Schraffirungen. Ganz feine und sehr enge einfache Schraffirung, hat etwas weichliches, daher sehen in einigen Kupferstichen von Albrecht Dürer, der, wie alle Kupferstecher der ersten Zeit, so fein zu schraffiren pflegte, alle Gegenstände so aus, als wenn sie mit feinem Seidenpapier überzogen wären. Ganz feine und zarte Striche zwischen starken und eng an einanderstehenden, verursachen etwas glänzendes, das für den Ausdruk der feinesten Haut der Gesichter doch zu glänzend ist. Die Stärke der Striche muß sich nicht nach der Stärke, oder Dunkelheit der Schatten, sondern nach der Größe der Masse, die der Schatten ausmacht, richten.

Wir zeigen hier blos einige Hauptpunkte an, ohne uns weiter darüber einzulassen, weil es ohne merkliche Schweerfälligkeit nicht möglich ist, dergleichen Dinge ausführlich zu beschreiben. Der größte Theil der Kunst des Kupferstechens kommt auf den guten Geschmak der Schraffirungen an, weil die Harmonie des Ganzen meistens davon abhängt. Daher es für die Aufnahm der Kunst zu wünschen wäre, daß ein Meister derselben diese Materie behandelte. Für junge Künstler wär es nöthig, daß man neu herausgekommene Kupferstiche in eigenen Wochen- oder Monat-Schriften mit der genauen [1046] Critik beurtheilte, wie in einigen französischen Schriften die Schreibart und die grammatische Richtigkeit des Ausdruks neuer Bücher beurtheilet werden. Noch nüzlicher wär es, wenn die verschiedenen Academien der zeichnenden Künste, sich angelegen seyn ließen, durch solche critische Beurtheilungen, der so häufig herauskommenden Kupferstiche, den jungen Künstlern an die Hand zu gehen.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1046-1047.
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