Kupferstecher

[635] Kupferstecher.

Man giebt diesen Namen im eigentlichen Verstand nur den Künstlern, welche vornehmlich mit dem Grabstichel arbeiten. Denn wenn man auch die, welche die Kupferplatten äzen, so nennen wollte; so [635] würde der Name einer großen Anzahl Mahler müssen gegeben werden, und Rembrandt wär unter die Kupferstecher zu sezen. Das Aezen ist eine Kunst, die jeder gute Zeichner ohne Anleitung eines Meisters bald lernt; aber die Kunst des Grabstichels erfodert weit mehr Uebung, und würde ohne Anleitung schweerlich so zu lernen seyn, wie die berühmten Meister dieselbe besizen.

Der Kupferstecher sollte, so wie der Mahler und der Aezer, ein guter Zeichner seyn. Nicht blos deswegen, damit er im Stande sey ein Gemählde, das er stechen soll, erst zu zeichnen; denn die Zeichnung könnte er sich allenfalls von einem andern machen lassen; sondern vornehmlich, damit er in Auftragung der Zeichnung frey und ungezwungen verfahren könne. Besonders ist ihm derjenige Theil der Zeichnungskunst nöthig, der die Haltung, Licht und Schatten, und den Ausdruk des äusserlichen Charakters der sichtbaren Gegenstände betrift. Das Glatte muß anders gezeichnet werden, als das Rauhe, das Glänzende anders, als das Matte, und bald jede besondere Gattung der Gegenstände erfodert eine ihr besonders angemessene Manier des Zeichners. Eben dieses scheinet das schweerste der Kunst zu seyn, und einen Mann von Genie zu erfodern.

Die ersten Studia hat der Kupferstecher mit allen andern zeichnenden Künstlern gemein. Er muß ein so guter Zeichner seyn, als der Mahler. Wenn es berühmte Kupferstecher gegeben hat, die in diesem Theile schwach gewesen sind, so haben sie nach vollkommen ausgearbeiteten Zeichnungen gestochen, und dadurch ihr Unvermögen bedekt. Vorzüglich muß der Kupferstecher sich im Zeichnen nach der Natur üben, damit er eine Fertigkeit in den mannigfaltigen Arten der Charaktere natürlicher Dinge erlange. Da es aber ein Haupttheil der Kunst ist, nach Gemählden zu arbeiten, indem sie vorzüglich zur Nachahmung der fürtreflichsten Werke des Pensels gebraucht wird; so muß der künftige Kupferstecher sich fleißig im Zeichnen nach Gemählden üben, damit er lerne das Charakteristische in der Behandlung des Mahlers ausdrüken. Es würde ihm so gar vortheilhaft seyn, sich im Mahlen zu üben. Denn nur ein Mahler bemerkt im Gemählde jeden Penselstrich.

Wenn er sich in allen diesen Theilen fleißig geübt hat, so wird ihm auch dieses sehr vortheilhaft seyn, daß er Kupferstiche von schönen Gemählden mit ihren Originalen vergleicht; nur dadurch kann er die Kunst ein Gemähld in den Kupferstich gleichsam zu übersetzen, in ihrer höchsten Vollkommenheit fassen.

Die Führung des Grabstichels, ist also der kleinste Theil der Kunst. Ein Mahler, der ein großer Zeichner ist, kann den Kupferstecher um mehr als dreyviertel seiner Kunst ausbilden. Das ihm fehlende Viertel giebt ihm hernach der Kupferstecher und die Uebung. Ein angehender Kupferstecher muß sich durch die Beyspiele der Künstler, die ohne viel Zeichnung zu besizen, blos durch die Fertigkeit im Grabstichel Ruhm erworben haben, nicht irre machen lassen. Der sicherste Weg in seiner Kunst groß zu werden, ist doch der, der durch die ganze Kunst der Zeichnung geht. Wer gelernt hat, mit dem Bleystift, oder der Feder jeden Gegenstand in seinem natürlichen Charakter auszudrüken, dem wird hernach die Arbeit mit dem Grabstichel nicht mehr große Schwierigkeiten machen.

Eine einzige Anmerkung wird hinlänglich seyn die Nothwendigkeit einer langen Uebung im Zeichnen zu beweisen. Man kann als ausgemacht annehmen, daß der Kupferstecher, der ein Gemähld in Kupfer bringen will, fast keine einzige Stelle desselben so behandeln kann, wie die andere. Die Betrachtung eines einzigen guten Kupferstichs, wird jeden hinlänglich davon überzeugen. Will der angehende Künstler die Art der Behandlung, die jedem Gegenstand vorzüglich angemessen ist, durch Führung des Grabstichels lernen, der sehr langsam und zum Theil mit Furcht arbeitet; so wird sein ganzes Leben kaum hinreichen, das zu finden, was er sucht. Mit dem Bleystift und der Feder geht die Arbeit geschwind von statten; sieht man, daß eine Behandlung für gewisse Gegenstände nicht schiklich genug ist, so kann man funfzig andre versuchen, ehe man mit dem Grabstichel zweyerley Manieren versucht hat.

Währender Zeit, daß der künftige Stecher sich im Zeichnen übet, kann er auch schon die ersten Uebungen mit dem Grabstichel vornehmen, um sich eine feste Hand und einen freyen Stich anzugewöhnen. Mit den Uebungen, die vorzüglich bestimmt sind, nach Gemählden und nach der Natur zu zeichnen, kann das Lernen aller Arten der geraden und krummen Stiche, aller Schrafirungen, aller Gattungen des tiefen und flachen, des harten und weichen Stichs, [636] die gleichsam das Alphabet der Kupferstecherkunst ausmachen, verbunden werden.

Ein höchstwichtiger Vortheil zur Erlernung der Kunst wär es, wenn man eine von einem guten Meister oder Kenner gemachte Sammlung der besten Kupferstiche derjenigen Künstler bey der Hand hätte, durch welche die Kunst würklich eine Vermehrung, oder Vervollkommnung erhalten hat. Diese Sammlung müßte so gemacht seyn, daß jedes Blatt etwas Neues enthielte, das bey der gegenwärtigen Vollkommenheit der Kunst durchgehends angenommen worden. Diese Stüke müßten dem Schüler erklärt werden, damit er begreifen lernte, daß z. E. diese Behandlung am besten sey das Nakende in Figuren; die, das Glänzende der Metalle und seidenen Stoffe; diese eine leichte und warme, jene eine schweere und kalte Luft auszudrüken, u.s.f. So bald die Hand des Schülers durch Führung des Grabstichels, Aug und Hand aber durch fleißiges Zeichnen eine gewisse Fertigkeit erlanget haben; alsdann kann er anfangen nach erwähnten Kupferstichen zu arbeiten.

Wenn man bedenkt, daß der Kupferstecher zur Vorstellung der unendlichen Verschiedenheit natürlicher Dinge kein ander Mittel hat, als schwarze Striche oder Punkte auf einem weißen Grunde; so wird man begreifen, was für erstaunliche Schwierigkeiten die Kunst hat, und was für Genie ist erfodert worden, die mannigfaltigen Mittel auszudenken, wodurch es den Erfindern gelungen ist, jede Sache natürlich darzustellen, und beynahe die Farben der Gegenstände errathen zu lassen.

In diesen großen Schwierigkeiten liegt der Grund, warum selten ein Kupferstecher in allen Theilen der Kunst zugleich groß seyn kann, und warum es gut ist, daß sich jeder auf einen Zweyg derselben; dieser auf das Portrait; ein andrer auf das historische Gemähld; ein dritter auf Landschaften, einschränke. Denn es wäre würklich zu viel gefodert, daß ein Mensch in allen Arten stark seyn sollte.

Man kann aus dem angeführten auch erkennen, daß der große Kupferstecher, in welcher Art er sich hervorthut, weder in Ansehung des Genies und der Talente, noch in Absicht auf die durch Uebung erworbenen Geschiklichkeiten, dem Mahler, oder einem andern Künstler könne nachgesetzt werden. Wer wird z.B. sich unterstehen zu leugnen, daß zu einem Kupferstich, wie Massons Jünger zu Emaus nach Titian,1 weniger Genie und Kunst erforderlich gewesen seyen, als zur Verfertigung des Gemähldes selbst? Ein kühner Stich und zierliche Schrafirungen machen so wenig den guten Kupferstecher aus, als es zum guten Poeten hinlänglich ist, einen wolklingenden Vers zu machen.

1In der Sammlung der Kupferstiche, die der französische Hof unter Ludwig den XIV, nach den in dem Königl. Cabinet befindlichen Gemählden hat verfertigen lassen. Cabinet des estampes du Roy de France. Diese Sammlung ist selten zu haben, weil der Hof sie blos zu Geschenken bestimmt hatte.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 635-637.
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