Matt

[746] Matt. (Schöne Künste)

Bezeichnet überhaupt einen Mangel der Lebhaftigkeit. An einem glänzenden Körper werden die Stellen, die keinen Glanz haben, matt genennet. Matte Farben sind ohne Glanz und ohne Lebhaftigkeit. Auch in der Rede wird dasjenige matt genennet, dem es an der nöthigen Lebhaftigkeit, und dem erforderlichen Reiz fehlet.

[746] In den bildenden Künsten ist gar ofte die Abwechslung des Glänzenden und des Matten zur guter Würkung nothwendig. Auf Schaumünzen thut es sehr gute Würkung, daß der Grund glänzend und die in den Stempel eingegrabenen Gegenstände matt gemacht werden. Eben so wird an verguldeten Zierrathen einiges polirt, anderes matt gemacht, damit die Haupttheile durch das Matte sich besser heben, oder auszeichnen.

Nur in den Künsten der Rede wird das Matte überall verworfen. In der Schreibart entsteht es aus allzuvielen, den Sinn langsam ausdrükenden Worten, wie wenn Racine jemand sagen läßt:


Et le jeur a trois sois chassé la nuit obscure,

Depuis que votre corps languit sans nourriture.1


Wenn hier ein Beyspiel des Matten aus einem grossen Schriftsteller angeführt wird, da man leichter tausend andere aus geringeren hätte geben können; so geschieht es zu desto nachdrüklicherer Warnung. Ein matter Gedanke erwekt durch viel Begriffe nur eine geringe, wenig reizende Vorstellung.

Das Matte in Gedanken und in der Schreibart ist dem Zwek der Beredsamkeit und Dichtkunst so gerad entgegen, daß es unter die wesentlichsten Fehler der Rede gehört, und mit großem Fleiße muß vermieden werden. In der Dichtkunst besonders wird man allemal das Unrichtige, wo es mit einiger Lebhaftigkeit verbunden ist, eher verzeihen, als das Matte, mit der höchsten Richtigkeit verbunden. Die unmittelbaren Ursachen des Matten scheinen darin zu liegen, daß man zum Ausdruk mehr Worte braucht, als nöthig ist, oder vielerley unbeträchtliche und auch unbestimmte Begriffe in einen Gedanken zusammenfaßt. Sein Ursprung aber liegt in dem Mangel deutlicher Vorstellungen, und lebhafter Empfindungen. Es giebt von Natur matte Köpfe, die keinen Eindruk lebhaft fühlen, die also nothwendig sich immer matt ausdrüken. Sie sind gerade das Gegentheil dessen, was der Künstler seyn soll, der sich vorzüglich durch die Lebhaftigkeit der Empfindungen von andern Menschen unterscheidet. Die Mittel nicht ins Matte zu fallen sind – nichts zu entwerfen, als bis man es mit gehöriger Lebhaftigkeit empfunden hat, oder sich vorstellet; nie bis zur Ermüdung zu arbeiten; immer mit vollen Kräften an die Arbeit zu gehen, und sie wieder weglegen, ehe diese Kräfte erschöpft sind; gewisse Sachen, die man nicht mit gehöriger Wärme empfindet, lieber ganz wegzulassen, als sich zum Ausdruk derselben zu zwingen.

Da die besten Köpfe, und nach Horazens Beobachtung selbst der feurige Homer nicht ausgenommen, schläfrige Stunden oder wenigstens Augenblike haben; so kann nur eine öftere und sorgfältige Ausarbeitung gegen matte Stellen in Sicherheit sezen. Obgleich zur Befeilung eines Werks das Feuer womit er zu entwerfen ist, mehr schädlich, als nüzlich wäre; so muß sie doch nur in völlig heitern und muntern Stunden unternommen, und ofte wiederholt werden. Denn es ist nicht möglich bey jeder Ueberarbeitung auf alles Achtung zu geben. Sehr nüzlich ist es, um das Matte in seinen Werken zu entdeken, wenn man einen Freund hat, dem man seine Arbeit vorließt.

1in der Phädra.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 746-747.
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