Academien

[8] Academien. (Zeichnende Künste)

Oeffentliche Anstalten, in welchen die Jugend in allem, was zum Zeichnen gehört, unterrichtet wird. Sie werden insgemein Mahleracademien genennet, obgleich nicht das eigentliche Mahlen, sondern das Zeichnen darin fürnehmlich gelehrt wird. Diese Anstalten sind, so wie die Schulen der Gelehrsamkeit und der Wissenschaften, mit einer hinlänglichen Anzahl Lehrer versehen, die den Titel der Profeßoren haben. Diese unterrichten die Jugend in allen Theilen der Zeichnungskunst, vornehmlich aber in dem wichtigsten Theil derselben, der Zeichnung der Figuren oder der menschlichen Gestalt. Diese ist der wesentliche Theil der Kunst des Mahlers, des Bildhauers, des Stein- und Stempelschneiders und auch des Kupferstechers; deßwegen dienet die Academie den Schülern aller dieser Künste.

Ohne Kentnis der Knochen, und der vornehmsten Muskeln des menschlichen Körpers, kan die Zeichnungskunst deßelben nicht vollkommen seyn, und ohne die Wissenschaft der Perspective können weder historische Gemälde noch Landschaften ganz richtig gezeichnet werden; deßwegen hat die Academie auch einen Lehrer der Anatomie und einen für die Wissenschaft der Perspective. Zu diesen kommt endlich auch noch ein Lehrer der Baukunst, weil gar ofte ganze Gebäude, oder Theile derselben, auf den Gemälden vorgestellt werden.

Dieses sind die nothwendigsten Lehrer, welche nicht nur die Regeln der Kunst vortragen, sondern die Jugend auch zur Ausübung derselben anführen. Sollte eine solche Schule ganz vollkommen seyn, so müssten auch noch für andere, weniger mechanische Theile der Kunst, Lehrer vorhanden seyn. Dergleichen wären; ein Lehrer der Alterthümer, der die Gebräuche, die Sitten, und alles was zum üblichen gehört hinlänglich erklärte; ein Lehrer des Ausdrucks der Leidenschaften, dem auch zugleich der Unterricht über die Anordnung eines Gemäldes und über das, was zum Geschmack gehört, könnte aufgetragen werden. Diese Lehrer fehlen den Academien insgemein, und die Theile der Kunst, die ihnen hier zugeschrieben sind, werden auf den Academien nur beyläufig gelehrt.

Die Academie muß hiernächst mit einem guten Vorrath von Sachen versehen seyn, die zu Erlernung der Zeichnungskunst nothwendig sind. Diese bestehen vornemlich in folgenden Dingen: Zeichnungsbücher, in welchen zuerst die einzele Theile der Figuren, die Form und Proportion der Köpfe, der Nasen, Ohren, Augen, u. s. f. hernach ganze Haupttheile, endlich ganze Figuren zum nachzeichnen, in hinlänglicher Abwechslung befindlich sind. Das Nachzeichnen dieser Originale, ist das erste, worin die Jugend geübet wird. Auf diese Zeichnungsbücher sollten nun Zeichnungen von Figuren folgen, welche nach den vornehmsten Werken der Kunst gemacht sind; richtige Zeichnungen von Antiken; auserlesenen Figuren der grössten Meister, eines Raphael, Michelangelo, der Carrache u. a. bey deren Nachzeichnung die Jugend schon etwas von den höhern Theilen der Kunst lernt.[8] Das nächste, was auf diesen Vorrath von Zeichnungen folget, ist ein Vorrath von Abgüssen der vornehmsten Antiken und auch einiger neuerer Werke der bildenden Künste, so wol in einzeln Theilen, als in ganzen Figuren und Grupen, in deren Nachzeichnung die Jugend fleißig zu üben ist, weil dadurch nicht nur das Augenmaaß und der Geschmak an schönen Formen weiter geübt wird, sondern auch zugleich die Kunst des Lichts und Schattens, der mannigfaltigen Wendungen der Körper und der Verkürzungen kann erlernt werden.

Ferner muß die Academie lebendige Modele haben; Menschen von schöner Bildung, die von einem der ersten Lehrer, auf einem etwas erhabenen Gestelle oder Tisch, in veränderten Stellungen, aufgestellt werden, damit die Schüler aus verschiedenen Plätzen, und also in sehr mancherley Ansichten dieselben zeichnen können. Dabey können die Lehrer fast alles, was die Beobachtung des Lichts und Schattens in einzeln Figuren betrifft, vollkommen zeigen. Denn die Einrichtung des Saales, wo das Model gestellt wird, muß so seyn, daß selbiger so wol von dem Tageslicht, als durch Lampen auf das vortheilhafteste kann erleuchtet werden.

Endlich wird auch noch zu einer vollkommenen Academie ein beträchtlicher Vorrath von wichtigen Kupferstichen und Gemählden erfodert, an welchen die Jugend alles, was zur Erfindung, Anordnung, zum Geschmak, zur Haltung, zur Farbengebung gehört, gründlich studiren könne. Wo die Gemählde selbst der Academie mangeln, wär es doch sehr vortheilhaft, daß an dem Orte, wo die Academie ist, eine Bildergallerie wäre, zu welcher die Academie einen freyen Zutritt hätte.

Man begreift leichte, daß eine solche Veranstaltung in ihrer Vollkommenheit so wol zur Anlegung als zur Unterhaltung, einen Aufwand erfodert, den nur große und mächtige Fürsten bestreiten können. Doch kann auch mit mittelmäßigen Kosten eine Academie eingerichtet und unterhalten werden, welcher nichts von den nothwendigsten Stüken der Einrichtung fehlet.

In einigen Academien ist mit der eigentlichen Schule zugleich eine Künstleracademie verbunden. Nämlich eine Gesellschaft vorzüglich geschikter Männer, die von einem Fürsten so begünstiget werden, daß es einem Künstler zur Ehre und zum Vortheil gereicht, ein Mitglied der Gesellschaft zu werden. Diese Künstleracademie hat mit dem Unterricht der Jugend nichts zu thun; die Absicht ihrer Stiftung ist, einerseits, durch die Vorzüge große Künstler zu belohnen, anderseits, die Gesellschaft zu Untersuchungen über wichtige Theile der Kunst aufzumuntern. Sie sind für die Künste das, was die Academien der Wissenschaften für die Gelehrsamkeit. Von Zeit zu Zeit versammlen sich die Mitglieder, um über wichtige die Kunst betreffende Materien sich zu unterreden, um Untersuchungen, Bemerkungen, Aussichten über die Kunst, vorzutragen. Es ist aber bis itzt noch keine Künstleracademie vorhanden, die einen solchen Plan so befolgte, als einige Academien der Wissenschaften seit mehr als hundert Jahren zu thun gewohnt sind.

Die älteste Mahleracademie, von der man Nachricht hat, wiewol sie diesen Namen nicht geführt hat, ist die von Florenz, die Gesellschaft des heil. Lucas genennt. Sie nahm ihren Anfang schon im Jahr 1350, und wurd erst von der Regierung unterstützet, hernach von den Herzogen aus dem Hause Medicis in besondern Schutz genommen. Die ansehnlichste Academie der Künste und Künstler aber ist in Frankreich von Ludewig dem XIV. errichtet worden. Von andern Academien, die an verschiedenen Orten mehr oder weniger blühen, kann der Herr von Hagedorn nachgelesen werden.1

1Lettre à un amateur de la peinture. p. 323. f. f.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 8-9.
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