Polonoise

[916] Polonoise. (Musik, Tanz)

Ein kleines Tonstük, wonach in Pohlen der dortige Nationaltanz getanzt wird, das aber dort auch vielfältig in Concerten unter andern Tonstüken vorkommt. Es ist in 3/4 Takt gesezt, und besteht aus zwey Theilen von 6, 8, 10 und mehr Takten, die beyde in der Haupttonart, die immer ein Durton ist, schließen. Man hat in Deutschland Tanzmelodien, unter dem Namen Polonoisen, deren Charakter von den eigentlichen Polonoisen, so wie sie in Pohlen gemacht und geliebt werden, völlig verschieden ist. Deswegen sie von den Pohlen gar nicht geachtet werden. Ich will den Charakter der wahren Polonoise, so wie er mir von einem geschikten [916] Virtuosen, der sich lang in Pohlen aufgehalten hat, beschrieben worden, hieher sezen.

Die Bewegung ist weit geschwinder, als sie in Deutschland vorgetragen wird. Sie ist nicht völlig so geschwind, als die gewöhnliche Tanzmenuet; sondern ein Menuettentakt macht die Zeit von zwey Viertel eines Polonoisentaktes aus, so daß eine Menuet, dessen erster Theil von 8, und der zweyte von 16 Takten wäre, einer Polonoise, dessen erster Theil von 6 und der zweyte von 10 Takten ist, der Zeit nach gleich ist. Sie fängt allezeit mit dem Niederschlag an. Der Schluß eines jeden Theiles geschieht bey dem zweyten Viertel, das von dem Semitonio modi vorgehalten wird, nemlich so:

oder

Polonoise

Dieser Tanz hat viel Eigenthümliches in seinen Einschnitten, im Metrum, und in seinem ganzen Charakter. Die Polonoisen, die von deutschen Componisten gesezt, und in Deutschland bekannt sind, sind nichts weniger, als wahre polnische Tänze; sondern werden in Polen unter dem Namen des Deutschpolnischen allgemein verachtet. In einer ächten Polonoise sind niemals zwey Sechzehntel an eine Achtelnote angehängt, auf folgende und ähnliche Art:

Polonoise

Und dieser Gang ist der deutschen Polonoise eigenthümlich. Eben so wenig vertragen die Polen folgende halbe Cadenz:

Polonoise

sondern ihre halbe Cadenzen sind auf folgende und ähnliche Art:

oder

Polonoise

Sie verträgt übrigens alle Arten von Noten und Zusammensezungen; nur Zweyunddreyßigtheile können, wegen der ziemlich geschwinden Bewegung, nicht viele auf einander folgen. Die Einschnitte sind von 1 oder 2 Takten, und fallen, die größeren auf das lezte Viertel des Taktes, die kleinern hingegen in die Mitte des Taktes, wie hier:

Polonoise

oder

Polonoise

Der wahre Charakter ist feyerliche Gravität. Man pflegt sie mit Waldhörnern, Hoboen u. d. gl. Instrumenten, die bisweilen obligat sind, zu sezen. Heut zu Tage kömmt dieser Tanz durch die vielen welschen Kräuseleyen, die darin von den Ausländern angebracht werden, von seiner Majestät herunter. Auch die Trios, die nach Menuettenart piano auf die Polonoise folgen, und izo in Polen so gebräuchlich sind, sind eine Erfindung der Ausländer.

Uebrigens ist auch die deutsche Polonoise von einem angenehmen Charakter, nur macht sie eine besondere Art aus, der man auch einen besondern Namen geben sollte.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 916-917.
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