Steiff

Steiff. (Schöne Künste)

Es wird im eigentlichen Sinn von Menschen und Thieren genommen, denen ein Theil der Gelenkigkeit fehlt. Also braucht man es in den zeichnenden Künsten von den Figuren, welche so gezeichnet sind, daß man ihnen die Unbeweglichkeit, oder den Mangel der Leichtigkeit der Bewegung ansehen kann.

Hernach kann der Begriff auf alle Dinge, in denen Bewegung, oder etwas der Bewegung ähnliches ist, angewendet werden. Steiffe Schreibart, ein steiffer Vers, eine steiffe Melodie. Man braucht es auch von der ganzen Gemüthsart, die man steif nennt, wenn der Mensch nie, wo es seyn sollte, nachgeben, oder sich auf eine andere, als ihm gewöhnliche Seite lenken kann.

Daß das Steiffe des Körpers der Schönheit entgegen sey, fühlt Jedermann, und der Grund davon ist auch anderswo von uns angezeiget worden.1 In den zeichnenden Künsten hat man sich also sorgfältig vor allem Steifen zu hüten, es sey denn, daß man nach der Absicht des Werks einen häßlichen und ungeschikten Menschen vorzustellen habe.

In redenden Künsten wird man steiff, wenn man entweder seine Materie nicht vollkommen besizt, und etwas sagen will, was man selbst nicht mit voller Klarheit sich vorstellt; oder wenn man sich zwingt kürzer zu seyn, als es der Gedanken verträgt, oder endlich auch, wenn man die Sprach nicht völlig in seiner Gewalt hat. Aehnliche Ursachen bringen auch das Steiffe in der Musik hervor. Eine steiffe Modulation, ein steiffer Gesang, entstehen gemeiniglich daher, daß der Tonsezer keine hinlängliche Kenntnis der Harmonie hat, und deswegen Töne, oder Harmonien auf einander folgen läßt, zwischen denen die genaue Verbindung fehlet.

Eine sehr genaue und vertraute Bekanntschaft mit der Materie, die man zu behandeln hat, ist das sicherste Mittel das Steiffe zu vermeiden. Wer von Sachen spricht, die ihm selbst noch etwas neu und unbekannt sind, muß sich nothwendig bisweilen etwas steiff ausdrüken. Man versteht insgemein das Horazische nonum prematur in annum nur von der Ausarbeitung der Werke des Geschmaks; es ist aber noch wichtiger, es auf das Ueberdenken der Materie, oder des Stoffs, anzuwenden. Zwar haben leichtsinnige Köpfe die Gabe, von Dingen, die sie nur halb erkennen, mit Dreistigkeit und einer scheinbaren Leichtigkeit zu sprechen, so daß man sie keiner Steiffigkeit beschuldigen kann. Aber denn fehlet es an Richtigkeit und Wahrheit. Es ist nicht wol möglich ohne Steiffigkeit sehr bestimmt und gründlich zu seyn, wenn man nicht zugleich seine Materie lang und vollkommen überdacht hat.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774.
Lizenz:
Kategorien: