Uebliche, das; Costume

[1197] Das Uebliche. Costume. (Schöne Künste)

Ist in Vorstellungen, die aus der Geschichte der Völker genommen sind, das Zufällige, in so fern es durch die allgemeine Gewohnheit des Volks und der Zeit, woraus der Gegenstand genommen ist, bestimmt wird; oder das, was mit den Moden und Gebräuchen der Völker und der Zeiten übereinkommt: wenn Römer, als Römer, Griechen, als Griechen, gekleidet sind, römische und griechische Gebräuche beobachten, und überhaupt in dem wahren Charakter ihrer Zeit vorgestellt werden, so sagt man, das. Uebliche sey dabey beobachtet.

Die Beobachtung des Ueblichen ist bisweilen nothwendig, allezeit aber schiklich. Nothwendig kann sie in Gemählden werden; weil sie ofte das beste Mittel ist, den Inhalt des Stüks genau zu bezeichnen. Man erkennt oft aus dem Ueblichen sogleich das Volk, die Zeit, den Stand der Personen, und dadurch den Inhalt. Schiklich ist es überall, weil es der Vorstellung hilft, wenn man sich in die Sitten der Zeiten sezet, und weil auch die Neuigkeit, die das Uebliche einer Vorstellung aus entfernten Zeiten, oder Orten giebt, die Aufmerksamkeit reizet. Grobe Fehler gegen das Uebliche sind sehr anstößig. Unter den Mahlern hat keiner schweerer dagegen gesündiget, als Paul der Veroneser, der die Jünger Christi allenfalls in Kleidern, die den späthern Mönchsorden eigen sind, vorstellt. Selbst der große Raphael, der sonst in allen Stüken so viel Verstand zeiget, ist nicht von Fehlern gegen das Uebliche frey. Er hat eine heilige Familie in einem Stall gemahlt, der mit corinthischen Säulen ausgeziehrt ist.

Der Mahler ist aber nicht der einzige Künstler, der sich an das Uebliche zu halten hat; sie müssen es alle thun, wo sie Dinge aus der Geschichte fremder Völker vorstellen. Es ist eben so anstößig, wenn die französischen Trauerspiehldichter einem König von Spartha, oder Mycene den Pomp und die Sprache eines persischen, oder eines heutigen großen Monarchen beylegen, als wenn ein Mahler ähnliche Fehler begeht.

In der Aufführung der Trauerspiehle ist es ungereimt, die alten Helden Roms und Griechenlandes in der gothischen Tracht, aus den Zeiten der irrenden Ritter, oder ihre Gemahlinnen in großen Fischbeinröken zu sehen. Ich möchte zwar hierin keine pedantische Genauigkeit empfehlen; denn die Schaubühne hat nicht den Zwek uns in alten Moden und Gebräuchen zu unterrichten: aber das Uebliche muß doch nicht bis zur Beleidigung übertreten werden; weil in diesem Falle die Zuschauer, die Kenntnis der Sachen haben, in ihrer Aufmerksamkeit auf die Hauptsachen gestöhrt werden.

Es gehöret aber weitläuftige historische Kenntnis dazu, wenn der Künstler das Uebliche überall beobachten soll. Doch werden auch die Hülfsmittel dazu nach und nach allgemeiner verbreitet. Die Kenntnis der griechischen, römischen und andrer Nationalalterthümer hat sich bereits ziemlich weit in das lesende Publikum ausgebreitet, und es würde gegenwärtig keinen sehr großen Aufwand erfodern, zum Gebrauch der Kunstschulen fast alles zusammen zu bringen, was zum Unterricht in dem Ueblichen der berühmtesten alten Völker erfodert wird.

Der Hr. von Hagedorn hat in seinen Betrachtungen über die Mahlerey eine artige Wendung gewählt, seine Gedanken über die Wichtigkeit dieses Punkts an den Tag zu legen, da er den Abschnitt, der davon handelt, Erinnerungen an das Uebliche überschrieben hat. Dadurch scheinet er anzuzeigen, daß man dem Künstler hierüber keine strenge Geseze vorschreiben soll. Es ist freylich nicht alles, was zum Ueblichen gehöret gleich wichtig, und man kann dem Künstler darin immer mehr übersehen, als dem Gelehrten, der in einer todten Sprache schreibt, und gegen das Uebliche darin anstößt. Angenehm muß es aber allemal für Kenner seyn, wenn sie es auch in Kleinigkeiten genau beobachtet finden.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1197.
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