Säule

[1001] Säule. (Baukunst)

Ohne Zweifel hat die älteste Art zu bauen den Gebrauch der Säulen eingeführt. Allem Ansehen nach bestunden die ältesten Gebäude blos aus etlichen in die Ründe oder in ein Vierek herumgesezten Stämmen von Bäumen, über welche man ein Dach gemacht hat. Also waren die ältesten Säulen Stämme der Bäume; und von diesen haben hernach die Säulen sowol die Verjüngung, als auch die Verhältnisse der Dike zu der Höhe bekommen. Der Gemächlichkeit halber, haben die ersten, noch von keiner Kunst unterrichteten Baumeister, eben nicht die dikesten Bäume zu Unterstüzung ihres Daches ausgesucht. Bäume von einem Fuß dik, waren ihnen mehr als hinlänglich, und das Dach über diese Stämme ist ohne Zweifel nur so hoch gewesen, als der Arm, um es zu sezen, reichen konnte; sechs bis sieben Fuß. Daher nachgehends das älteste Verhältnis der Säulenhöhe zur Dike, wie 5 bis 6 zu 1 entstanden ist1. [1001] Nur die gothischen Baumeister, die einen Geschmak am übertriebenen und erstaunlichen hatten, haben hernach dieses Verhältnis geändert und die Höhe der Säulen vier und noch mehr mal größer genommen, als andre der Natur näher folgende Völker gethan haben.

Der überlegte Geschmak hat der Säule Theile gegeben, die sie anfänglich nicht hatte: einen Kopf (Knauff, Capiteel) und einen Fuß. Vielleicht ist aber auch dieser Theile Ursprung mehr in dem Zufall, als in dem Geschmak gegründet. Der Knauff ist älter, als der Fuß. Vermuthlich sind die Baumstämme in die Erde eingegraben worden; oben aber war ein Brett nöthig, damit der Unterbalken fester auf der Säule aufläge. Man findet deshalb an ganz alten griechischen Gebäuden wol einen Knauff, aber keinen Säulenfuß. Aber der Geschmak hat beyde nothwendig gemacht; denn ohne diese Theile ist man ungewiß, ob man eine ganze Säule, oder nur einen Theil davon sehe. Der Geschmak fodert schlechterdings, daß das Schöne ein Ganzes ausmache: dieses aber muß ausgezeichnete Schranken haben2. Eine Säule ohne Fuß könnte für einen verschütteten, oder in die Erde gesunkenen Theil des Gebäudes angesehen werden, und ohne Capiteel, würde man nicht gewiß seyn, ob das Gebälke nur darauf ruhet, oder wie in einen Zapfen eingesiekt wäre. Also gehören der Fuß und das Capiteel als ganz wesentliche Theile zur Säule.

Der Haupttheil der Säule ist der Stamm oder Schaft3, der sich deswegen so auszeichnen muß, so daß die beyden andern Theile gegen ihn in keine Betrachtung kommen und nur als seine beyden Enden erscheinen. Durchgehends ist der Fuß die halbe Stammdike hoch, das Capiteel oder der Knauff aber ist etwas und bis zweymal höher, als der Fuß. Die genaueren Verhältnisse zeigen wir in andern Artikeln an.

Die Art der Säule wird vornehmlich durch die Verhältnisse, und die Form des Knauffes bestimmt. Von allen Arten die eingeführt worden, haben sich nur die erhalten, welche die Griechen, die Tuscier und die Römer eingeführt haben und sind an der Zahl fünf. Vielerley Arten egyptischer und syrischer Säulen, auch einige, welche die gothischen Baumeister eingeführt, nebst einigen Einfällen neuerer Baumeister, sind entweder ganz in Verachtung gerathen, oder doch nicht durchgehends angenommen. Und es ist um so viel weniger nöthig mehrere Arten einzuführen, da die erwähnten fünf Arten, hinlängliche Mannigfaltigkeit geben.

Die schlechteste und ungezierteste Säule, die der rohen Natur am nächsten kommt, ist die tuscanische. Ihr Fuß besteht aus drey schlechten Gliedern, der Knauff hat ebenfalls nur wenige einfache Glieder und ist mit einer ganz schlechten Platte bedekt. Der Stamm ist siebenmal höher, als er unten dik ist. Nächst dieser folget die dorische Säule, die einen zierlichen und aus mancherley Gliedern bestehenden Fuß und Knauff hat, sonst aber nach denselben Verhältnissen gemacht ist. Die jonische Säule hat einen schon künstlicher verzierten Knauff und ist durch die großen Voluten oder Schneken desselben kennbar. Die römische Säule hat ihrem höhern Knauff, außer den jonischen Voluten, noch Laubwerk gegeben und ist überhaupt höher; die corinthische, als die zierlichste und feineste, hat einen mit schön ausgezakten Akanthusblättern und vielen kleinen Schnörkeln ausgeziehrten Knauff und dabey ein feines und schlankes Ansehn.

Der älteste Gebrauch der Säulen war vermuthlich bey offenen Gebäuden, deren Dach nothwendig durch Säulen oder Pfeiler müßte unterstüzt werden, welches bey verschlossenen Gebäuden nicht nöthig ist, wo alles auf den Mauren ruhet. Hiernächst wurden sie zu Unterstüzung solcher Theile, die weit über die Mauer hervorspringen, gebraucht; daher die Säulenlauben ihren Ursprung haben, die bey allen prächtigen Gebäuden der Griechen und hernach auch der Römer angebracht wurden.

Bey den Tempeln der Griechen waren die Säulen unentbehrlich, weil diese Gebäude allemal so angelegt wurden, daß eine, oder mehrere der Aussenseiten derselben, mit einem Vordache versehen waren, welches durch Säulen getragen wurde. Vitruvius bestimmt die Bauarten der alten Tempel hiernach.4 Die Tempel, welche nur an der Vorderseite eine mit einem Vordach bedächte Vorhalle (Porticus) hatten, welches die älteste Art zu seyn scheinet, wurden Prostyli genennt, und bekamen, nach der Anzahl der Säulen an der Vorhalle, noch ihre besondere Namen, als z.B. Prostylos tetrastylos, und Prostylos Hexastylos, waren die Namen der Tempel, deren einzige Vorhalle vier, oder sechs Säulen hatte. Wenn auch die hintere Seite des Tempels einen Eingang mit einer Vorhalle hatte,[1002] so wurd er Amphiprostylos genannt. Die dritte Gattung machten die Tempel, die auf allen vier Seiten mit Säulen umgeben waren, die ein um das ganze Gebäude herrschendes Vordach unterstüzten, so daß ein bedekter Spaziergang, oder eine Säulenlaube um den ganzen Tempel herumgieng. Diese Gattung bekam nach der Anzahl und Stellung der Säulen wieder besondere Namen. Ueberhaupt passet der Name Peristylium auf eine solche Anordnung. Diejenigen, die sechs Säulen an der voderen, und eben so viel an der hintern Seite hatten, an den beyden andern aber eilfe, (die beyden Eksäulen, die auch zur Vorder- und Hinterseite gehörten, mitgerechnet) wurden Peripteri genannt. In diesen stunden die Säulen so weit auseinander, als sie von den Mauren des Tempels abstunden; folglich war die Säulenweite, auch das Maaß der Breite der Laube. Wenn aber die Vorder- und Hinterseite acht, und die längern Nebenseiten funfzehn oder siebzehn Säulen hatten, der Tempel aber nur so breit war, als die Länge von drey Säulenweiten, so daß die Laube an den längern Seiten zwey Säulenweiten breit wurde, so gab man ihm den Namen Pseudodipteros. Die Erfindung dieser Anordnung schreibt Vitruvius dem Hermogenes zu. Das Wesentliche derselben besteht darin, daß die Säulenlauben an den beyden langen Seiten des Pseudodipterus bey gleich enger Säulenweite noch einmal so breit werden.5

Wollte man noch größere Pracht anbringen, so sezte man zwey Reyhen Säulen um den ganzen Tempel herum. Diese wurden Dipteroi genennt; und so war der Tempel der Diana zu Ephesus, den nach des Vitruvius Bericht, der Baumeister Ctesiphon angegeben hat. Wenn ein solcher Tempel, auch innerhalb seiner Manern ringsherum eine Säulenlaube von doppelt übereinanderstehenden Säulen hatte, so daß der innerste Hauptraum, dem man auch izt in unsern Kirchen den Namen des Schiffes giebt, ohne Dach blieb, so kam ihm der Name Dipteros Hypæthros, oder schlechthin Hypæthros zu, welches so viel bedeutet, als ohne Dach. Denn da waren blos die Säulenlauben bedekt. Von dieser Art war der Tempel des Olympischen Jupiters in Athen. Dieses giebt uns überhaupt einen Begriff von dem Gebrauch, den die Griechen von den Säulen gemacht haben. Sie stellten sie immer frey zu Unterstüzung eines Vordaches. Dem in der Baukunst der Alten unerfahrnen Leser einigen Begriff von der Bauart der griechischen Tempel und der Anwendung der Säulen zu geben, füge ich hier folgende Grundrisse bey. Wobey zu merken, das die Punkte die Stellen der Säulen, die Striche aber die Mauren vorstellen. I. Ist ein Tempel der Prostylos genennt wurd, II. ein Amphiprostylos. III. ein Peripteros. IV. ein Pseudodipteros. Wenn bey diesem zwischen den Mauren und der äußersten Reyhe Säulen, noch eine Reyhe stünde, so wie vorne beym Eingange; so wär es ein Dipteros.

Säule
Säule

[1003] Die neuern Baumeister haben den Gebrauch der Säulen, als bloße Zierrathen eingeführt; sie tragen ofte nichts, sondern haben nur den Schein, als trügen sie ein Gebälk. Man vermauert sie, so daß sie nur um die Hälfte ihrer Dike über die Mauren vorstehen. Die Säulen auf diese Art anzubringen, ist ein Mißbrauch, den der gute Geschmak niemals rechtfertigen wird. Eben so wenig hat der richtige Geschmak der Griechen Bogen oder Gewölber auf Säulen gestellt, wie die Römer in den späthern Zeiten und auch die neuern gethan haben. Die Säule ist ein Körper, der seiner Natur nach nicht so feste sieht, daß er nicht leichte könnte umgestossen werden, wenn er von oben einen Stoß bekommt. Er steht nur feste, wenn der Druk der Last welche er trägt, Bleyrecht auf den Knauff gerichtet ist. Ein mit beyden Enden auf dem Knauff ruhender Bogen, drükt, oder scheinet immer etwas auf die Seite zu drüken, und macht in der Baukunst eine wesentliche Unschiklichkeit. Eine Reyhe Säulen bekommt ihre Festigkeit von dem darübergelegten Gebälke; daher sollte es natürlicher Weise eine allgemeine Regel der Baukunst seyn, keine Säulen anzubringen, als wo sie ein Gebälke zu tragen haben. Es ist auch sehr zu zweifeln, daß der richtige Geschmak der Griechen ganz freystehende Säulen, als Monumente, wie Trajans Säule in Rom, würde gut geheißen haben. Zu solchem Behuf würden die Griechen vermuthlich den ägyptischen Obeliskus vorgezogen haben.

Gewundene oder schnekenförmig ausgedrähte Säulen, sind ein Einfall des verdorbenen Geschmaks, und es ist ein bloßes Mährchen, daß die gewundenen Säulen in der Peterskirch in Rom aus dem ehemaligen Tempel von Jerusalem herrühren. Vignola hat die Zeichnung derselben gelehrt, und damit sich eine sehr unnüze Mühe gegeben. Verschiedene Formen der ältesten noch sehr rohen Säulen, hat Pokok im I Theile seiner Beschreibung der Morgenländer abgezeichnet.

1An einem sehr alten Tempel in Corinth waren die dorischen Säulen so kurz, daß sie nicht völlig vier mal höher, als dik waren. S. Les plus beaux Monumens de la Grèce par Mr. le Roy. Part. II. p. 6.
2S. Ganz.
3S. Schaft.
4L. III c. 1.
5S. Die IV Figur.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774.
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