Bauart

[127] Bauart.

Der besondre Geschmak, wodurch sich die Gebäude verschiedener Völker von einander unterscheiden. In diesem Sinn sagt man: die griechische, römische, gothische, italiänische, französische, Bauart. Von der griechischen und römischen Bauart können wir eigentlich nur aus ihren Tempeln urtheilen. Das vorzüglichste daran, das den Charakter dieser alten Bauarten ausmacht, ist eine edle Einfalt und Größe in den Formen; eine Schönheit, die aus den einfachesten Verhältnissen der Haupttheile entsteht; eine nur aus großen Verzierungen durch Säulen entstehende Pracht; und eine Genauigkeit, die keine einzige Regel übertritt. Wiewol in den späthern Zeiten des Alterthums diese Pracht auch in kleinern Verzierungen gesucht worden.1 Die italiänische Bauart, so wie sie von Palladio, Barocchio, Vignola und andern ältern Meistern eingeführt worden, verbindet Größe und Pracht mit Einfalt, läßt aber viel Nachläßigkeit in einzeln Theilen sehen, und scheinet, die Nachläßigkeiten ausgenommen, der Bauart der Alten nahe zu kommen. Die französische Bauart hat weniger Größe und Einfalt, aber mehr Zierlichkeit und Annehmlichkeit, ist auch in kleinern Theilen genauer. Die Gothische zeiget eine mit Zierrathen und unendlichen Kleinigkeiten überhäufte Größe und Pracht, bey welcher die guten Verhältnisse gänzlich aus den Augen gesezt sind, und die nicht selten etwas Abentheuerliches hat.

Wenn man frägt, welche Bauart die beste sey; so könnte man antworten; für Tempel, Triumphbogen und große Monumente sey die alte Bauart die beste; für Palläste die italiänische, aber mit der griechischen Genauigkeit verbunden; zu Wohnhäusern aber die französische.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 1. Leipzig 1771, S. 127.
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