Nähnadel

1. Mancher sieht die Nähnadel am Scheunenthor und fällt doch über einen Ochsen.

H.G. von Schubert (Altes und Neues aus dem Gebiete der innern Seelenkunde, Leipzig 1851, I, 71) sagt darüber Folgendes zur Erklärung und Anwendung, wenn nicht zur Geschichte der Entstehung: »Es geht mir, wenn ich manchmal am unrechten Orte so scharfsichtig thun will, gerade wie dem kurzsichtigen Bauermädchen, von der ich dir bildweise das Märlein erzählen will. Nach der Sage hatte ein reicher Bauer bei uns in Sachsen eine einzige Tochter, die sonst nicht übel, aber etwas kurzsichtig war. Das heisst bei hellem Sonnenschein in den Mittagstunden konnte sie es wol allerdings auf drei Schritte weit unterscheiden, ob ein Gegenstand, der auf sie zukam, ein Mensch oder ein Säugethier war, weiter aber und bei trübem Wetter gar nicht. – Nun war auch in der Nähe ein reicher Pachterssohn, der hatte Lust das Mädchen zu heirathen. Weil ihm aber die Leute sagten, das Mädchen sei gar zu kurzsichtig, er werde sie kaum in der Wirthschaft gebrauchen können, nahm er sich vor, das nächstemal doch recht aufzumerken, ob das wahr sei. Dieser Vorsatz wurde aber dem Mädchen verrathen, und sie nahm sich vor, auf eine recht auffallende Art zu beweisen, dass sie gar nicht kurzsichtig sei, wie die Leute sagten. Sie liess deshalb eine Nähnadel ins Scheunenthor stecken. Da sie nun ihren Geliebten beim Abschied hinaus vor die Thür begleitete, sagte sie auf einmal ganz wirthschaftlich: Ei, wer hat denn die schöne Nähnadel da drüben am Scheunenthor stecken lassen? Ueber diese grosse Scharfsichtigkeit wunderte und freute sich der Bräutigam im ersten Augenblick sehr, aber freilich im zweiten nicht mehr. Denn da das wirthschaftliche Mädchen hinüberlaufen wollte[866] nach dem Scheunenthor, um die schöne Nähnadel zu holen, fiel sie über ihres Vaters grossen Zugochsen, den sie nicht bemerkt hatte, weil er ganz ruhig vor dem Heuwagen lag.«


*2. Das ist mit der heissen Nähnadel genäht. Lohrengel, II, 73.


*3. Einen mit der Nähnadel aus dem Sattel heben.

»Wer sich vor einem Däumling fürchtet, den jagt auch jeder Däumling in die Flucht und hebt ihn mit der Nähnadel aus dem Sattel

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 3. Leipzig 1873, Sp. 866-867.
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