Fein

[84] Fein, -er, -este, adj. et adv. welches unter zwey Hauptbedeutungen bekannt ist, von welchen jedoch die zweyte eine bloße Figur der ersten zu seyn scheinet.

1. Ein gutes äußeres Ansehen habend, in der gemeinen und vertraulichen Sprechart. 1) Eigentlich. Dir zu geben große und feine Städte, 5 Mos. 6, 10. Ein feines, (ganz artiges) Haus. Ein feiner Garten. Eine feine Gestalt. Besonders von der Gestalt des Gesichtes. Saul war ein feiner Mann, 1 Sam. 9, 2. Eure feineste Jünglinge, Kap. 8, 16. Moses war ein feines Kind, 2 Mos. 2, 2; welches Ebr. 11, 23 durch ein schönes Kind erkläret wird. Eine feine Dirne, Esth. 2, 7. Es ist ein feiner Knabe. Ja lockig Haar steht fein, Gell. Fein sagt in diesem Verstande weniger als schön, ungefähr so viel wie ganz artig. 2) Figürlich. (a) Reinlich, wohl gekleidet, geputzt; eine nur im Niedersächsischen übliche Bedeutung, wo sich fein machen so viel ist, als sich putzen. Im Hochdeutschen sagt man in der vertraulichen Sprechart, er trägt sich ganz fein, er geht fein gekleidet, d.i. ganz artig, dem Wohlstande gemäß. (b) Der Absicht, den Bedürfnissen gemäß, einen geringern Grad des Vorzuges auszudrucken, als viel, schön u.s.f. anzeigen würden; in der vertraulichen Sprechart. Sie kriegt nach ihres Vaters Tode einen feinen Thaler Geld, Gell. Er hat ein feines Vermögen. Er hat ein feines Auskommen. Du schreibest einen feinen, (ganz artigen) Brief. Er hat feine Gaben. Ich war ein Kind guter Art, und habe bekommen eine feine Seele, Weish. 8, 19. Linden und Buchen, denn die haben feine Schatten, Hof. 4, 13.


Ein verhungert Hühnchen fand

Einen feinen Diamant,

Haged.


O welch ein schöner Kopf! wie fein die Miene ist!

Willam.


Wie mancher siegt durch eine feine Miene,

Der blöder ist als Holz und Stein!

Gell.


Oft auch höhnisch. Eine feine Frage! Ey das wäre fein! Wie fein zerbrichst du den Tempel? Marc. 15, 29. Wie fein hast du uns bracht in ein Land u.s.f. 4 Mos. 16, 14. S. auch den folgenden Artikel. (c) Dem Wohlstande, bey guten Sitten gemäß. Er ist ein recht feiner, artiger, Mensch. Es ist ein[84] ganz feiner Mensch, Gell. Das ist nicht fein. Die feine Lebensart, die den angenommenen Gesetzen des Wohlstandes gemäß ist. Es waren viel feine Leute da, von gutem Stande und von guter Lebensart. Die feinere Welt. Ingleichen den göttlichen und menschlichen Gesetzen gemäß, wo es besonders in der adverbischen Gestalt üblich ist. Euer Ruhm ist nicht fein, 1 Cor. 5, 6. Er wandelte, das nicht fein war, 2 Chron. 21, 20. Ey, das ist weder vom Junker noch von Lieschen fein, Weiße. Ihr Männer, dieses klingt nicht fein, Gell. Der Streich mit dem Lotteriezettel ist doch keine feine Sache, ebend. In dieser ganzen ersten Bedeutung braucht man fein als ein gemildertes Lob, entweder von Dingen, die an und für sich selbst weiter nichts als ihrer Absicht gemäß sind, oder auch von vorzüglichern Sachen, wenn man ihnen aus gewissen Absichten kein höheres Lob beylegen will.

2. Zart, dünne, subtil, mit dem Nebenbegriffe des guten Ansehens oder des daran gewandten Fleißes, im Gegensatze des Groben. 1) Eigentlich. Feiner Zwirn, feines Garn, feines Tuch, feine Leinwand. Der Zeug ist sehr fein. Feines Mehl, fein geriebene Farben. Etwas zu einem feinen Pulver stoßen. Ein feiner Hut, feine Strümpfe. Ein feiner Sandstein, der aus feinen Theilen bestehet, ein feines Korn hat. Eine Sache erst aus dem Groben, und dann ins Feine arbeiten. 2) Figürlich. (a) Von fremden Zusatze gereiniget, geläutert. Feiner Zucker. Der Zucker ist nicht sehr fein. Feines Gold, feines Silber. Eine Sache wieder in das Feine bringen, figürlich sie wieder in Ordnung bringen, wofür man auch sagt, sie in das Reine bringen. (b) Aus kostbaren Materien, dergleichen feines Gold u.s.f. sind, verfertiget. Der feine Leuchter, 2 Mos. 31, 8. Der Leuchter von feinem Golde, Michael. Der feine Tisch vor dem Herren, 3 Mos. 24, 6. Im gemeinen Leben verstehet man unter feinen Waaren oft solche, die aus Gold, Silber, Seide, und andern kostbaren und theuern Materien verfertiget sind. (c) Mit Kunst und besonderm Fleiße verfertiget. Er machte das Bild mit aller Kunst auf das feinste, Weish. 14, 19. Feine Stahlarbeit. Feine Waaren, im gemeinen Leben, auch künstliche Waaren. Feine Arbeit machen, im Gegensatze der groben. In noch weiterer Bedeutung, von der besten Art, in welchem Verstande die Krämer und Kaufleute ihr sehr fein, extra-fein und super-fein, von Waaren aller Art zu gebrauchen pflegen. (d) Was nur einen Theil des Gegenstandes vorstellet, und den andern mit Wohlgefallen errathen lässet. Ein feiner Gedanke. Ich sagte es ihm auf eine feine Art, mit einer feinen Manier. Das war eine sehr feine Antwort. Ein feines Lob, ein feiner Tadel. Eine feine Politik. Feine Vergnügungen. Was die Einbildungskraft auf eine feine Art reitzet und kitzelt. (c) Fähig, auch die verborgensten Eigenschaften einer Sache zu entdecken. Ein feiner Kopf, der tief in eine Sache eindringt. Ein feiner Geschmack, der auch die kleinsten Schönheiten und Fehler empfindet. Er ist von dieser Art von Schönheit eben nicht der feinste Kenner. Ein feines Gefühl für die Ehre. (f) Geschickt, bey seinen Handlungen seine wahre Absicht zu verbergen. Er ist sehr fein. Er ist ein feiner Fuchs. Wie fein! wie listig! In Niedersachsen nennet man einen Pietisten, so fern man ihn für einen Heuchler hält, einen Feinen.

Anm. Dieses Wort lautet in den meisten der obigen Bedeutungen im Nieders. und Dän. fiin, im Schwed. fin, im Engl. fine, im Franz. fin, im Ital. fino, im mittlern Lat. finus. Das Griech. φαεινος kommt in der ersten Bedeutung genau damit überein, daher auch die Bedeutung des guten Ansehens die erste zu seyn scheinet. Im Schwed. ist wän gleichfalls schön,[85] im Angels. bedeutet vine geliebt, und im Wallis. gwen weiß und schön. Die Lat. vinulus und venustus, kommen genau damit überein. In den ältesten Oberdeutschen Denkmählern hat sich dieses Wort bisher noch nicht wollen finden lassen. Da die ältern und neuern Sprachen die Hauch- und Blaselaute gar oft mit einander zu verwechseln pflegen, so scheinen schön und Schein durch Vorsetzung des Zischlautes aus fein enstanden zu seyn; S. diese Wörter, ingleichen Fenster und Funke. Herr Rect. Scheller handelt in seinen Gedanken von den Eigenschaften der Deutschen Schreibart, S. 42-64 auf eilf Blättern von dem was fein Deutsch ist, wirft aber daselbst mehrere Bedeutungen dieses Wortes unter einander, von welchen doch einige von der Sprache und Schreibart nicht einmahl üblich sind.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2. Leipzig 1796, S. 84-86.
Lizenz:
Faksimiles:
84 | 85 | 86
Kategorien:

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon