Muße, die

[328] Die Muße, plur. inus. die von ordentlichen Beschäftigungen, von Berufsgeschäften übrige oder freye Zeit, Befreyung von ordentlichen Geschäften. Die Poesie will Muße haben. Meine Berufsgeschäfte lassen mir nicht viele Muße übrig. Gute Muße haben, hinlängliche von pflichtmäßigen Geschäften freye Zeit. Seine Muße gut anwenden. Die gelehrte Muße, gelehrte Anwendung der von Berufsgeschäften freyen Zeit. Wenn ich mehr Muße bekommen werde. Junge Leute muß man immer beschäftigen, und ihnen zu Thorheiten keine Muße lassen, Sonnenf. Etwas mit Muße verrichten, sich hinlängliche bequeme Zeit darzu nehmen. Ingleichen die völlige Freyheit von allen pflichtmäßigen Beschäftigungen. Die Ehre wohnet nicht auf dem Rosenbette der weichlichen Muße. Zur Trägheit in den Armen einer wollüstigen Muße gewöhnt, findet er (der Zärtling des Glücks) die Tugend und die Verdienste zu mühsam, Dusch.

Anm. Dieses alte Wort lautet schon bey dem Kero und Ottfried Muaze. Der letzte gebraucht es auch für Zeit überhaupt, in themo muaze, in dieser Zwischenzeit, indessen. In den Monseeischen Glossen ist Muozu so wohl otium als licentia; Muozigi wird daselbst durch vacuitas, und muozigero Slaffi durch lenti torporis erkläret. Bey dem Notker ist Vnmuozzeeheit Beschäftigung, und bey dem Willeram muozegan, gemuozegan, sich einer Sache entschlagen, sich Muße von ihr verschaffen, und im Kero muozzan Zeit seyn. Im Ital. ist musare und im Franz. muser müßig seyn, müßig gehen, daher in der letztern Sprache amuser die Zeit, die Muße und deren unangenehme Empfindung vertreiben. Im mittlern Lateine ist Musardus und im alten Französ. Musar ein müßiger, träger, dummer Mensch. Aus allem erhellet, daß der Begriff der Ruhe, des Mangels der Bewegung, in diesem Worte der herrschende ist, welcher durch dessen Seitenverwandte noch mehr bestätiget wird. Im gemeinen Leben einiger Gegenden ist müsseln so wohl als nüsseln zaudern, und müsselig zauderhaft, langsam in seinen Verrichtungen. Im Nieders. bedeutete musen ehedem in tiefem Nachdenken versunken seyn, wie noch jetzt das Engl. to muse und das Holländ. muisen, muiseneren, wovon noch unser Duckmäuser und Kalmäuser herstammen. S. auch 2 Maus und 2 Mausen, wo zugleich der verwandte Begriff der Heimlichkeit, der Verborgenheit mit eintritt. Es kann seyn, daß die Bedeutungen des Wortes Muße und aller seiner Verwandten bloße Figuren von dem veralteten musen, flistern, murmeln, sind, wovon das Lat. mussitare und das Nieders. musseln, mustern in eben dieser Bedeutung noch als Intensiva[328] oder Frequentativa üblich sind. Papias erkläret das mittlere Lat. musare durch dubitat in loquendo, murmurat. Musen würde also eigentlich eine Nachahmung des musselnden Lautes seyn, zu welcher sich alle übrige Bedeutungen als Figuren verhalten würden. Übrigens ist das Wort Muße mit den folgenden Ableitungen und Zusammensetzungen bloß den Hoch- und Oberdeutschen Mundarten eigen. Die Niederdeutschen und mit ihnen verwandte Sprachen kennen es nicht.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 328-329.
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