Sie (2)

[82] 2. Sie, das persönliche Vorwort sowohl der dritten Person im weiblichen Geschlechte, da es in der zweyten Endung ihrer, in der dritten ihr und in der vierten wieder sie hat; als auch aller drey Geschlechter im Plural, Nom. sie, Gen. ihrer, Dat. ihnen, Accus. sie. Es ist auf doppelte Art üblich.

1. Als ein persönliches Vorwort im strengsten Verstande, und zwar, (1) Im Singular, da man solche Personen weiblichen Geschlechtes mit sie anzureden pfleget, welche man höher achtet, als daß man sie du und ihr nennen sollte, aber nicht so hoch, daß man sie im Plural mit sie anreden könnte. Jungfer, hat sie nichts gehöret? S. 2 Er, welches im männlichen Geschlechte auf eben diese Art üblich ist. (2) Im Plural, da es in der Sprache des Wohlstandes erst in den neuern Zeiten üblich geworden, solche Personen anzureden, für welche man zu viel Achtung hat, als daß man sie er und sie im Singular nennen sollte. Es ist in diesem Verstande von beyden Geschlechtern sowohl im Singular als Plural üblich. Sie weinen, mein Herr? Sehen sie, meine Freunde. Nein, Phillis, glauben sie es nicht. Da die Sprache des Wohlstandes so veränderlich ist, wie die Moden, so hält man auch dieses sie für hohe Personen schon für zu gemein, und gebraucht dafür oft das Demonstrativum dieselben.

2. Ein personale-relativum, welches sich im Singular auf eine vorher genannte Person oder Sache weiblichen Geschlechtes, im Plural aber auf Personen oder Sachen aller Geschlechter beziehet, und am liebsten bey Zeitwörtern stehet. Wo ist Phillis? – Sie ist hier. Unsere Freunde sind noch nicht da, ich weiß nicht, wo sie bleiben. Die Aufrührer weigerten sich, gehorsam zu seyn, auch wollten sie die Gebühren nicht bezahlen.


Und wie man sie gelegt, so lagen sie noch heute,

Zur rechten er, und sie zur linken Seite,

Gell.


Da es denn oft zu einem bloßen demonstrativo-relativo wird, für dieselbe, dieselben, selbige. Wenn man keine Noth in der Welt hat, so macht man sie sich selbst, oder sich sie selbst. Die Stellung beyder sie neben einander, macht Übellaut und oft Mißdeutung. Die Colonisten wurden erst recht erbittert auf die[82] Engländer, nachdem sie sie geschlagen hatten; das ist, entweder nachdem sie selbige, oder nachdem selbige sie geschlagen hatten. Die gemeinen Oberdeutschen Mundarten pflegen es, wenn es hinter dem Zeitworte stehen sollte, gerne mit demselben zusammen zu ziehen. Auch wolltens die Gebühren nicht bezahlen. In den Gedanken kamens dar, Theuerd. In der höhern Schreibart stehet das Hauptwort, worauf sich sie beziehet, durch eine zierliche Inversion, auch zuweilen hinten. Sie ist noch nicht ausgestorben, diese hohe, diese Ehrfurcht erweckende Tugend, für das mattere: Diese – Tugend ist noch nicht ausgestorben. Aber sie wird gemeiniglich zu theuer erkauft, die immer dauernde Glückseligkeit, Dusch.

Bey dem Kero, Ottfried u. so f. si, sie.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 82-83.
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