Steuern

[363] Steuern, verb. regul. & act. und in einigen Fällen auch Neutr. in welchem letztern Falle es das Hülfswort haben erfordert. Es war ehedem ein Wort von einem sehr großen Umfange der Bedeutung, und ist es zum Theil noch, indem es ursprünglich verschiedene Arten heftiger Bewegungen bezeichnete, in welchen Fällen es größten Theils ein Intensivum oder Iterativum von stauen, steuen, stehen, u.s.f. ist, von welchen das mittlere unter die veralteten gehöret. Es bedeutet, 1. * Ungestüm, mit Heftigkeit verlangen; eine nur im Niedersächsischen übliche Bedeutung, wo es stüren lautet. Auf etwas steuern, erpicht seyn. Daher Upstür, eine plötzlich entstehende heftige Begierde, verstüred, auf etwas erpicht, balstürig, frevelhaft, unstür, heftig u.f. lauter nur in Niedersachsen gangbare Wörter. Es scheinet hier eine Onomatopöie der brausenden heftigen Begierde, und mit Sturm, stören u.s.f. verwandt zu seyn. 2. Wehren, abwehren, Einhalt thun, mit der dritten Endung der Person oder Sache. Dem Verderben steuern, Es. 10, 22. Du lässest dir nicht steuern, Jer. 3, 5. Daß Gott den Sündern steuret, daß sie nicht fortfahren, 2 Maccab. 6. 23. Warum steuern sie diesen schreyenden Grobheiten nicht? Gell. Im Nieders. gebraucht man es mit der vierten Endung; Gott steuert die Bäume, daß sie nicht in den Himmel wachsen. Welches auch wohl von einigen im Hochdeutschen nachgeahmet wird. Im Nieders. stüren, Angels. stiernan, Schwed. styra. Die beyden letzten bedeuten auch züchtigen, daher ist im Angels. Stiernesse, die Zucht, und Storre, die Züchtigung. Ohne Zischlaut ist in einigen Niedersächsischen Gegenden törren, dem Laufe Einhalt thun, im Holländ. deren, überwinden, und bedaren, zähmen. 3. Regieren, und zwar, (1) in mehr eigentlichem Verstande, die Richtung einer Bewegung bestimmen; wo es noch von den Schiffen und Fahrzeugen üblich ist, ihren Lauf bestimmen. Kähne und ähnliche kleine Fahrzeuge werden mit einer Stange, größere aber mit dem Steuerruder gesteuert. Der Steuermann steuert das Schiff. Wo es auch absolute und als ein Neutrum gebraucht wird. Nach London, nach Cadix, gegen Osten, gegen Westen steuern, den Lauf des Schiffes dahin richten, dahin segeln. Auch von den Schiffen sagt man, das Schiff steuert gut, schlecht, wenn es sich gut oder schlecht steuern lässet. Bey Windstillen steuern die Schiffe schlechter, als sonst. (2) * Figürlich, das freye Verhalten vernünftiger Geschöpfe bestimmen, regieren; eine im Hochdeutschen veraltete Bedeutung, welche aber ehedem sehr gangbar war, und überaus alt ist. Bey dem Ulphilas stiuran, im Angels. steoran, steyran, im Engl. steer, Holländ. stieren, Nieders. stüren, im Slavon. staram, ich steuere, im Schwed. styra, im Ißländ. stiorna; welche alle sowohl von den Schiffen, als auch überhaupt für regieren gebraucht werden. Auf ähnliche Art bedeutete auch schalten, ehedem sowohl ein Schiff regieren, als regieren überhaupt. Im Nieders. ist bestüren, einrichten, das Veränderliche an einem Dinge bestimmen. 4. * Schicken, senden; eine nur im Niedersächsischen übliche Bedeutung. Ich habe darnach gesteuert, geschickt. Einen Bothen absteuern, Waaren, Güter absteuern, abschicken, absenden. 5. Stützen; eine nur noch in den gemeinen Sprecharten einiger Gegenden übliche Bedeutung, wo auch eine Stütze die Steuer heißt. Ein Haus steuern. Ingleichen als ein Reciprocum. Sich auf seinen Stab steuern. Sich auf jemanden steuern,[363] stützen, verlassen. Sich mit dem Arm aufsteuern, sich an etwas ansteuern. Steuern ist hier unstreitig ein Intensivum von stauen, stehen machen, wohin mit andern Endlauten auch stauchen, stämmen, stützen u.s.f. gehören. 6. Helfen, unterstützen, Beystand leisten; eine im weitesten Verstande veraltete Bedeutung. Man gebraucht es nur noch im engern, einen Beytrag an Geld oder andern Bedürfnissen geben oder entrichten. Den Armen steuern, ein Allmosen geben, im Oberdeutschen, wo man auch wohl die Bettler sagen höret, steuern sie uns etwas. Einem etwas zu einem Baue steuern, ihm einen Beytrag zu den dazu nöthigen Erfordernissen thun. Zusammen steuern, einen Beytrag zum Behufe eines dritten zusammen schießen. S. auch Aussteuern. 7. Am häufigsten gebraucht man dieses Zeitwort im Hochdeutschen von der Entrichtung der Steuern an die Obrigkeit, S. die Steuer 3 (2). Der Herrschaft, der Obrigkeit steuern, ihr Steuer entrichten. Dieses Gut steuert nach Felsenburg, entrichtet seine Steuer dahin. Ein Gut versteuern, die Steuer davon entrichten. Hingegen hat es in besteuern und übersteuern, eine mehr thätige Bedeutung, mit Steuern belegen. Daß diese Bedeutung eine Figur von der Bedeutung des Stützens ist, erhellet unter andern auch aus dem Schwedischen, wo Stod, welches unstreitig von stützen abstammet, auch Hülfe, und besonders Geldhülfe, Beytrag bedeutet. Vielleicht gehören ohne Zischlaut auch das Griech. δωρον, eine Gabe, und das Latein. Dos, dotis, hierher. So auch das Steuern.

Anm. Aus diesen und mehrern entweder längst veralteten, oder noch in andern Sprachen üblichen Bedeutungen erhellet, daß dieses Wort anfänglich eine Onomatopöie verschiedener ähnlicher Arten heftiger Bewegungen gewesen, worauf es eine Benennung solcher Handlungen geworden, welche mit diesem oder einem ähnlichen Laute verbunden sind; woraus zugleich die Verwandtschaft mit Sturm, stören, zerstören, Stern, Stirn, Sterz, sterzen, stürzen und andern mehr erhellet. Die Schreibart steuren ist in diesem so wie in andern ähnlichen Fällen nur harten Mundarten eigen; die Hochdeutsche gelindere behält das erste e, verbeißt aber das letzte, steuern, für steueren, wie es eigentlich heißen müßte. S. -Ern.

Quelle:
Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 4. Leipzig 1801, S. 363-364.
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