Die Gothen

[122] Die Gothen waren zu den Zeiten der spätern Römischen Kaiser, unter denen sie erst merkwürdig zu werden anfangen, ein sehr ausgebreitetes, kriegerisches und mächtiges Volk. Im vierten Jahrhundert erstreckte sich ihr Gebiet von der Theis bis an den Don, und nordwärts bis an die Ostsee und das heutige Curland; und sie theilten sich in zwei Hauptstämme, die Ostgothen und Westgothen. Letztere, die in der Moldau, Wallachei und Siebenbürgen wohnten, und anfänglich Freunde der Römer waren, dann aber Feinde derselben wurden, setzten sich in dem zerrütteten Italien unter Alarichs Anführung im fünften Jahrhundert fest, wurden aber von andern wandernden Völkerstämmen verdrängt, und stifteten dann zwei Reiche, eins in Gallien zu Toulouse, welches von den Franken zu Anfang des sechsten Jahrhunderts zerstört wurde, und eins in Spanien, welches die Araber im achten Jahrhundert überwältigten. Die Ostgothen, die sich bis an den Don ausgebreitet hatten, machten den Griechischen Kaiserhof von sich abhängig, und eroberten mit dessen Bewilligung unter ihrem König Theodorich zu Ende des fünften Jahrhunderts Italien nebst mehrern nordwärts angränzenden Provinzen; ihr neues daselbst gestiftetes Reich wurde aber in der Mitte des sechsten Seculums von den siegreichen Heeren des Griechischen Kaisers Justinian zerstört. Die Gothen haben sich zwar in Künsten und Wissenschaften sehr wenig hervorgethan; jedoch rühren von ihnen die ältesten Deutschen oder so genannten Gothischen Buchstaben her, die einer ihrer Bischöfe, Ulphilas, gegen den Ausgang des vierten Jahrhunderts erfunden haben soll, und, nebst einigen mechanischen Künsten, auch die Gothische Baukunst. S. den Art. Bauart.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 122.
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