Iphigenia

[237] Iphigenia, (Gesch. und Mythol.) die Tochter Agamemnons, Königs von Aegos in Griechenland, welcher im Trojanischen Kriege (der zwischen den Griechen und den Trojanern, einem Volke in Asien, geführt wurde, und sich nach einer zehnjährigen Belagerung von Troja mit dem Untergange dieser Stadt endigte) zum Oberbefehlshaber der vereinigten Griechischen Flotte erwählt worden war. Zu Aulis, dem Versammlungsort dieser Flotte, erlegte Agamemnon auf der Jagd einen der Diana geweihten Hirsch, worüber die Göttin so aufgebracht wurde, daß sie durch widrige Winde das Auslaufen der Schiffe verhinderte. Die mißvergnügten Griechen fragten den Priester Kalchas um Rath, und erhielten die Antwort, daß der Zorn der Diana nur dadurch besänftigt werden könne, wenn sich Agamemnon seine Tochter Iphigenia zu opfern entschlösse. Lange kämpfte in ihm der Vater mit dem Könige, bis er endlich mit stummen Schmerze die Einwilligung zur Aufopferung seiner Tochter gab. Schon war diese, begleitet von einer zahllosen Menge mitleidiger Griechen, zum Altar hingeführt, wo der Opferstahl sie durchbohren sollte, als plötzlich Diana in einer Wolke erschien, [237] die unglückliche Iphigenia mit sich fortführte und Statt ihrer ein junges Reh zum Opfer zurückließ. Iphigenia wurde in das Heiligthum der Göttin zu Tauris (der heutigen Halbinsel Krim) versetzt und daselbst als Oberpriesterin angestellt. Hier mußte sie alle ankommende Fremde opfern, bis sie endlich von ihrem Bruder Orestes entführt wurde, welcher, nachdem er seine Mutter Klytemnestra wegen ihrer Untreue gegen seinen Vater ermordet hatte, aus Verzweiflung über seine That weit und breit umher geirrt und auch nach Tauris gekommen war. – Die wabre Geschichte, die allen diesen Begebenheiten zum Grunde liegt, ist, wie man leicht sieht, durch ein fabelhaftes Gewand sehr verschönert worden. Dichter und Künstler aus der alten und neuen Zeit haben diesen Gegenstand oft bearbeitet. Unter den ersten darf ich wohl Göthen nicht erst nennen, dessen Iphigenia in Tauris ein anerkanntes Meisterstück der dramatischen Dichtkunst ist.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 2. Amsterdam 1809, S. 237-238.
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