Orpheus

[320] Orpheus, (alte Gesch. und Mythol.) ein alter Griechischer Fürst von Talenten, welchem Griechenland einen großen Theil seiner ersten Cultur verdankt, und welcher etwa vierzig Jahre vor dem Trojanischen Kriege lebte. Er ging auf Reisen, um sich Kenntnisse zu erwerben, von danen er nachher bei der Regierung seines Landes den glücklichsten Gebrauch machte. Die Fabel hat viel von ihm gedichtet. Wahrscheinlich auf Veranlassung seiner großen Talente zur Poesie und Musik macht sie ihn zum Sohn des Apollo und der Kalliope: sie erzählt von ihm, daß er durch seine Leier Löwen und Tieger bezähmt, Felsen und Steine zum Tanzen gebracht habe – wahrscheinlich eine Anspielung auf die Cultur von rohen Menschen, die ihm durch die Künste gelang. Orpheus wird auch für den Vater der Religion, der Sternkunde und der Medicin gehalten. Merkwürdig ist noch seine Reise in das Reich der Todten. Der Tod hatte ihm seine Gemahlin Euridice geraubt; er nahm seine Leier, stieg mit derselben in das Reich der Todten hinab, und rührte durch seine Musik die höllischen Gottheiten so sehr, daß er von denselben Euridiceʼ;s Rückkehr erhielt. Sie machten ihm jedoch zur Bedingung, sich nicht eher nach ihr umzusehen, bis er wieder auf der Oberwelt angelangt sei; allein Orpheus war zu ungeduldig, um nicht nach ihr zu blicken, und Euridice verschwand vor seinen [320] Augen. Aus Schmerz hierüber soll er sich selbst getödtet haben. Doch wird sein Tod auch anders erzählt. Mehrere sagen, Orpheus sei bei einem Bacchusfest von den Weibern zerrissen worden, weil es sie verdrossen, daß er nach dem Tode seiner Gemahlin kein Weib mehr geachtet habe.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 320-321.
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