Stephan Bathori

[374] Stephan Bathori. Mit dem Tode Sigismunds II. Augusts 1572 erlosch der Jagellonische Mannsstamm1, welcher an die 186 Jahre den Pohlnischen Thron erblich besessen hatte; und von nun an wurde Pohlen in ein ordentliches Wahlreich verwandelt: bei welcher Verfassung es denn auch bis zu seiner gänzlichen Auflösung (1794) geblieben ist, so, daß die Nation bei Besetzung des Thrones, ohne auf das Geblüt seiner Regenten oder die Verwandten des vorigen Königs zu sehen, jederzeit gewählt hat. – Gleich der erste König, der unmittelbar auf Sigismund II. folgte, war ein Französischer Prinz, Heinrich, Herzog von Anjon, aus dem Hause Valois der Bruder Königs Carl IX. An Härte seinem Bruder ziemlich gleich, an Leichtsinn noch weit über ihn, wurde dieser Heinrich, auf Vorsprache des Papstes, und auf die thätigste Verwendung seines Bruders, Carl, – der aus Eifersucht auf jenen seinen Bruder, welcher lieber selbst König in Frankreich sein wollte, [374] jetzt, um nicht seine Gegenwart fürchten zu dürfen, für ihn die Mehrheit der Stimmen durch Geld und die größten Versprechungen zu erhalten suchte, – als König in Pohlen am 16. Mai 1573, wiewohl abwesend, ausgerufen. Man überschickte ihm sogar, sobald er die Pacta Conventa (Wahlcapitulation) an die Gesandten unterschrieben ausgehändigt hatte, das Wahl-Decret nach Frankreich. Jene Versprechungen des Französischen Königs nun (unter andern auch, daß eine Armee und Flotte zu ihrem Besten gehalten – ja, daß die Pohlen selbst in seinem Reiche den Franzosen gleich gehalten werden sollten etc.) mußten nothwendig auf die Wahl Heinrichs wirken, und den wählenden Theil für diesen Prinzen bestimmen, hätte auch ein anderer Kroncandidat noch mehrere Stimmen für sich gehabt. Wirklich war dieß der Fall mit dem Erzherzog Ernst von Oestreich, dem Sohne Kaiser Maximilians II., der wegen seiner edeln Grundsätze und Gesinnungen gegen die Protestanten – deren Anzahl damahls mit der der Katholiken in Pohlen wetteiferte – allgemein beliebt war, und welchen die Pohlnische Nation gewiß gewählt haben würde, hätten nicht der König von Frankreich und der heilige Vater (letzterer wohl darum damit die Protestanten nicht zu sehr sich vermehren sollten) kurz vor dem Wahltage das Uebergewicht zu erhalten gewußt. Kurz, Heinrich ward unter dem Namen Heinrich I. (wenn es gleich in Pohlen keinen Heinrich weiter gegeben hat) König von Pohlen. Allein, ohne sich zu übereilen, ließ er erst am 21. Febr. des folgenden Jahres, 1574, sich krönen. – Daß die Pohlen mit diesem Könige, der für das sinnliche Vergnügen mehr, als für die Geschäfte des Landes und das Wohl der Nation, geschaffen zu sein schien, äußerst unzufrieden und in kurzem seiner überdrüssig waren, ist sehr natürlich; und auch ihm kam daher, nach Verlauf von vier Monathen, die Nachricht von dem Tode seines Bruders, des Königs von Frankreich, so willkommen, daß er, ohne etwas zu hinterlassen, ohne die geringste Verfügung wegen der einstweiligen Regierung getroffen zu haben, eiligst nach Frankreich zurückkehrte, und daselbst unter dem Namen Heinrich III. sich zum König krönen ließ. Dieses Benehmen war nun wohl nicht geeignet, die Pohlen, die wohl eine bessere [375] Begegnung verdient hätten, sich wieder geneigt zu machen, und seine Erklärung, die er in einigen zurückgelassenen Briefen an wenige Magnaten gegeben hatte, dieses Königreich von Frankreich aus zu regieren, konnte den Pohlen, welche von Pohlen aus regiert sein wollten, nicht anders als zuwider sein. Die Reichsstände wendeten sich zu dem Ende schriftlich an ihn, luden ihn ein, wiederzukommen, oder, dafern er dieß nicht wollte, auf die Krone Verzicht zu leisten; als er aber nicht binnen der ihm bestimmten Zeit erschien, schritten sie zu einer andern Königswahl, welche auf Stephan Bathori fiel.

Die Leser möchten vielleicht diese kleine Ausschweifung in einen Theil der Geschichte Pohlens am unrechten Orte finden; allein, wenn man annimmt, daß mit dem Abgange des Jagellonischen Hauses in der Geschichte Pohlens eine Hauptepoche beginnt, in welcher Stephan Bathori einer der ersten, aber auch der besten Könige gewesen ist, welcher, der vielen Staatsgebrechen ungeachtet, immer noch Energie genug in sich fand, die Macht und das Ansehen der Pohlnischen Nation gegen das Ausland zu schützen, und dem es gewiß nicht zur Last gelegt werden kann, daß die Nachkommen jetzt, nach Verlauf von mehr als 200 Jahren, für die Sünden ihrer Vorfahren büßen und ihr Vaterland beweinen; so wird jene Ausschweifung um so eher Verzeihung erhalten, da unser Lexikon den Artikel Pohlen um deßwillen zu seiner Zeit noch nicht hat liefern können, weil eben damahls die Revolution von diesem Reiche in vollem Gange und noch kein Ausgang vorherzusehen war. Die Geschichte Pohlens selbst, so wie seine nähere Verfassung und Beschaffenheit, müssen wir uns für die Nachträge vorbehalten. Jetzt wieder zu

Stephan Bathori. Als, wie zuvor gedacht, König Heinrich außen blieb, so erklärten die Reichsstände (am 26. Mai 1575) den Thron für erledigt, und dachten nun darauf, denselben wieder zu besetzen. Allein dießmahl wurde die Wahl erst nach 19 Monathen und unter den heftigsten Debatten zu Stande gebracht, indem Kaiser Maximilian II. sich unter den Kroncandidaten befand, und als ein kluger, aufgeklärter, wohlwollender Fürst von der Pohlnischen Nation und auch einem großen Theile des Adels zum König gewünscht [376] wurde. Und wirklich hatte Maximilian die Mehrheit für sich; aber gerade der vornehmere und reichere Theil des Adels war wider ihn und sein erzherzoglich kaiserliches Haus, vermuthlich weil man glaubte, die Protestanten (nachherigen Dissidenten) würden auf den Reichstagen und in der Republik ein zu großes Gewicht und bei Hofe einen zu mächtigen Einfluß bekommen. Der Graf Zamoyski, ein großer Gelehrter und Staatsmann, aber auch ein eben so kluger und glücklicher Feldherr, überdieß das Orakel der ganzen Nation, begünstigte an der Spitze des Adels den Siebenbürgischen Fürsten Stephan Bathori in seinem Gesuche. Dieser, geb. 1532, stammte aus dem sehr alten und reichen gräflichen Hause Bathori in Ober-Ungarn. Durch Rechtschaffenheit, Edelmuth, Geschicklichkeit und Klugheit war es Stephan gelungen, sich bei erledigtem Throne zum Fürsten von Siebenbürgen zu machen, und dieses sehr bedeutende Fürstenthum an sich und seine männliche Descendenz zu bringen. Auch jetzt wußte er sich bei Erledigung des Pohlnischen Throns klug gegen die Pohlen zu benehmen: er hielt sich an den Alles vermögenden Grafen Zamoyski, der ihn der Nation bestens empfahl und alsdann thätigst unterstützte. Hierzu kam noch ein ganz besonderer Umstand, der ihnen die Sache sehr erleichterte. Es lebte nehmlich noch eine königlich Pohlnische Prinzessin, Anna, die jüngste Tochter Sigismunds I. und Schwester Sigismunds II. Augusts, der letzte Zweig aus dem Jagellonischen Hause. Dieß benutzte jetzt Bathori: er ließ es sich gegen Zamoyski merken, daß er zu einer Heirath mit der Prinzessin Anna – obgleich diese schon ein Alter von 54 Jahren hatte – entschlossen sei. Da nun auch Zamoyski der Prinzessin sehr ergeben war, und diese besonders unter dem vornehmern Adel noch großen Anhang hatte, so ward ihm seine Vorsprache und Verwendung bei den Reichsständen desto leichter. Am Wahltage selbst, den 14. Decbr. 1576, wurde zwar der Kaiser Maximilian II. von dem Primas Regni zum Könige in Pohlen ausgerufen, aber Zamoyski rufte den Bathori aus, und der vornehmere Adel, so wie die hohe Geistlichkeit, stimmten für ihn. Jetzt waren in Pohlen auf einmahl zwei Könige, und beide beschworen die ihnen [377] überschickten Pacta Conventa. Auch die Prinzessin Anna wurde von Zamoyski mit Stepban zugleich als Königin ausgerufen. Unter solchen Umständen nun kam es darauf an, welcher von den beiden Königen sich würde zu behaupten wissen. Gewiß würde es Maximilian vor Stephan gekonnt haben, wenn er thätiger gewesen wäre und ernsthaftere Maaßregeln ergriffen, das heißt, eine Armee von Oestreich oder Ungarn her in Pohlen hätte einrücken lassen. Aber das that er nicht, sondern ließ es bloß bei Drohungen damit bewenden. Hingegen Stephan kam gleich nach seiner Wahl nach Pohlen, sammelte eine Armee, so gut er konnte, und was ihm an Mannschaft abging, das ersetzte sein Muth und seine ausgezeichnete Entschlossenheit. Alles ging so, wie er es vermuthet und gewünscht hatte, nehmlich der ganze Adel trat nun für ihn auf, und auch der übrige Theil der Nation schlug sich gar bald auf seine Seite. Nur die Stadt Danzig hing an dem Kaiser, und wollte den König Stephan nicht anerkennen; als aber gegen diese Ernst gebraucht wurde, und Stephan sie völlig belagerte und einschloß, so mußte sie sich endlich auch ergeben. Ein neuer Glücksfall für Stephan war endlich dieser, daß Maximilian II., noch ehe er seine Truppen in Pohlen einrücken ließ, plötzlich starb. Nun war alles aus dem Wege geräumt, was ihm seine Krone hätte streitig machen können, und binnen Jahresfrist war alles ruhig.

Stephan gehört denn nun unter den Königen Pohlens mit unter die besten und vorzüglichsten. Hinlänglich für sein Zeitalter gelehrt, edel und klug, wußte er das Reich mit vieler Würde zu regieren; wußte, so große Einschränkungen er sich übrigens auch gefallen lassen mußte, sein königliches Ansehen gegen die Reichsstände zu behaupten, und gegen das Ausland Thron und Reich zu vertheidigen. Gleich nach Besteigung des Throns kündigte er den Russen, welche einige Jahre hindurch, seit dem Tode Sigismunds II. Augusts, Liefland unaufhörlich beunruhigt, und mehrere Einfälle dahin gewagt hatten, den Krieg an, in welchem er persönlich mit dem größten Glück commandirte, und dieselben in drei auf einander folgenden Feldzügen einmahl über das andere schlug, und endlich im J. 1582 zu dem Zapolischen zehnjährigen Waffenstillstande nöthigte, [378] in welchem der Zar Iwan II. alle Eroberungen in Liefland an die Krone Pohlen abtreten mußte. – Auch die Kosaken unterwarf er seinem Reiche, und nöthigte sie zur Annahme Pohlnischer Gesetze. – Wären seine Nachfolger eben so entschlossen und tapfer gewesen; hätten sie eben so viel Selbstständigkeit auf dem Throne gezeigt, als er: so würde das Königreich Pohlen gegenwärtig noch in Riesengestalt da stehen, und das Ausland dasselbe fürchten müssen. Aber nicht nur der Tapferkeit dieses Herrn hat die Pohlnische Nation sehr viel zu verdanken, sondern auch seinen zahlreichen guten und weisen Einrichtungen. So stiftete er drei hohe Reichsgerichte: das eine zu Wilna für Litthauen, das zweite zu Petrikan für Großpohlen, und das dritte zu Lublin für Kleinpohlen. Auch für eine bessere Rechtspflege sorgte König Stephan; er selbst aber gab für seine Person das beste Beispiel, indem er äußerst gerecht war. Merkwürdig ist in dieser Hinsicht auch seine Antwort, die er gab, so oft man ihn zur Ausrottung der Ketzer überreden wollte: Drei Dinge habe sich Gott vorbehalten, die ein Mensch sich nicht anmaßen dürfe: 1) aus Nichts – Etwas zu machen; 2) künftige Dinge vorher zu wissen; 3) über die Gewissen zu herrschen. – Nur Schade, daß dieser gute König nicht länger regierte; denn schon 10 Jahre nach seiner Thronbesteigung, den 12. Decbr. 1586, starb er schnell, vermuthlich durch Gift, das man ihm heimlich beigebracht hatte. Er ward nicht älter, als 54 Jahre, und starb ohne Kinder. Zum Nachfolger hatte er den Kronprinz von Schweden, Sigismund, der, von Stephans hinterlassener Gemahlin empfohlen und vom Grafen Zamoyski gleichfalls unterstützt, unter dem Namen Sigismund III. den Pohlnischen Thron bestieg.


Fußnoten

1 Das Jagellonische Haus kam 1386 auf den Pohlnischen Thron. Der erstere Jagello, Uladislaus, Herzog von Litthauen, heirathete, nachdem er zur christlichen Religion übergegangen war, die Königin Hedwig, die jüngere Enkelin der Schwester Casimir des Großen, des letzten Piasten, und vereinigte dadurch sein erbliches Herzogthum Litthauen mit der Krone Pohlen: von hier fangen die Litthauer erst an, Christen zu werden.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 5. Amsterdam 1809, S. 374-379.
Lizenz:
Faksimiles:
374 | 375 | 376 | 377 | 378 | 379
Kategorien:

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Die Akten des Vogelsangs

Die Akten des Vogelsangs

Karls gealterte Jugendfreundin Helene, die zwischenzeitlich steinreich verwitwet ist, schreibt ihm vom Tod des gemeinsamen Jugendfreundes Velten. Sie treffen sich und erinnern sich - auf auf Veltens Sterbebett sitzend - lange vergangener Tage.

150 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon