John Brown

[155] John Brown, 1735 oder 36 zu Buncle in der Grafschaft Berwick geboren. Seine schon früh erwachenden Talente bewogen seine Eltern, über deren eigentliches Gewerbe man nichts zuverlässiges weiß, ihn von dem Weber, bei welchem er die Lehrjahre stehen sollte, wegzunehmen und in die lateinische Schule zu Dunse zu schicken. (Auch John Hunter, ebenfalls ein Schottländer, und nachher gleich berühmt, hatte, eine ähnliche Bestimmung zu Erlernung des Zimmermanns- oder Rademacherhandwerks.) Gleich stark am Geist, wie am Körper – er soll in seiner Jugend, um sich Mittel zur Erweiterung seiner Kenntnisse zu erwerben, als Tagelöhner gearbeitet haben – machte er schon im 15ten Jahre eine Fußreise von 15 engl. Meilen, und bei dieser sowohl, als bei mehreren nachher wiederholten Fußreisen pflegte er nie auf der Landstraße zu bleiben, sondern durchstrich alle Wälder, und faßte dabei alle Naturdinge genau ins Auge. Durch seinen anhaltenden Fleiß erwarb er sich bald die Stelle eines Schullehrers, nahm dann 1755 eine Hofmeisterstelle in der Nähe von Dunse, jedoch nur auf kurze Zeit, an, und ging hierauf nach Edinburgh. Hier studirte er den vollständigen Cursus der Philosophie, widmete sich aber besonders der Theologie, so daß er, als akademische Uebung, die der Ordination eines Geistlichen von der schottischen Kirche vorhergeht, eine öffentliche Predigt hielt. Aber hier stand er still, kehrte (1758) nach Dunse zurück, nahm daselbst auf ein Jahr die Stelle eines zweiten Schullehrers an, begab sich wieder nach [155] Edinburgh, und erhielt von den Professoren, die von seinen ausgezeichneten Kenntnissen der alten klassischen Sprache schon unterrichtet waren, in alle Vorlesungen freien Zutritt. Bald wurde er als Lehrer der lateinischen Sprache berühmt, und ging nun zum Studium der Medicin über. Er errichtete, da er nun auch 1765 geheirathet hatte, ein Institut für Studirende als Kostgänger, um sich in den Stand zu setzen, ein ansehnlicheres Haus führen zu können Auch entsprach der Erfolg seiner Erwartung völlig; allein er ward ein schlechter Haushalter und machte 1770 bankerott. Hierauf suchte er, und fand auch bald Eingang beim berühmten Professor Cullen, der ihm das Geschäft eines Privatlehrers in seiner eignen Familie übertrug, andern empfahl und auch endlich Erlaubniß ertheilte, Abendvorlesungen zu halten, wo Brown das, was der Lehrer früh vorgetragen hatte, erklärte, auch wohl Erläuterungen hinzufügte. Indessen verwandelte sich, aus nicht ganz bekannten Ursachen, die große Freundschaft zwischen diesen beiden in die bitterste Feindschaft. Nach einigen soll Brown, als er sich um eine Stelle der theoretischen Medicin beworben, durch Cabalen von Cullen, und weil er es unter seiner Würde glaubte, Empfehlungen geltend zu machen, hintenangesetzt worden sein, so daß er die Stelle nicht bekam. Bild nach diesem Bruche mit Cullens Hause ersann Brown die neue Theorie der Heilkunde, welche die Ausgabe seiner Elementorum medcinae zur Folge hatte. Der Beifall, den dies Werk unter seinen Anhängern fand, munterte sie auf, Vorlesungen über sein System zu halten. Hieraus aber entstanden die größten Erbitterungen unter den Professoren zu Edinburgh, und Brown sah sich genöthigt, Edinburgh zu verlassen. 1776 wurde er zum Präsident der medicinischen Societät erwählt, und unter Begleitung vieler Freunde, die diese Reise als Triumphzug ansahen, ging er nach St. Andrews, um die Doctorwürde zu erlangen. In den Jahern 1782 oder 83 wurden die Professoren, Aerzte des Spitals, und die ganze medicinische Societät mit harten Angriffen von Brownʼs Schülern (Anhängern) überladen, so daß sogar die dadurch entstandenen Duelle öffentlich [156] verboten werden mußten. 1784 stiftete er, um sich Proselyten zu erwerben, eine Freimauergesellschaft, die Loge zum Römischen Adler genannt. Da seine Vorlesungen sehr besucht wurden, bemühete er sich, mit vieler Anstrengung seiner Stimme, seinen Vortrag deutlich und lebhaft, und die Argumente seiner Theorie seinen Zuhörern ganz eigen zu machen. Um die Lebhaftigkeit zu vermehren – erzählen einige – nahm er besonders wenn er sich matt fühlte, kurz vor der Vorlesung 40 bis 50 Tropfen Opiumtinctur, mit einem Glase Whisky vermischt, zu sich, welche Dosis er während der Vorlesung vier, auch fünf Mal wiederholte; dadurch gerieth er in seinem Vortrage, freilich auf Kosten seiner Gesundheit, oft in die höchste Ekstase. Jones, ein Arzt seines Zeitalters, erzählt, daß er endlich Schulden halber ins Gefängniß gekommen, worin ihn seine Schüler, welchen er daselbst Unterricht ertheilte, fleißig besucht haben sollen; hierauf habe er nichts als Wasser getrunken. Späterhin, da er sah, daß, ungeachtet der größten Enthaltsamkeit, dennoch das Podagra wiederkam, kehrte er auch zur Flasche zurück, und entsagte ihr in der Folge nie wieder. – Seinen schon längst projectirten Plan, sich von Edinburgh wegzubegeben, führte er 1786 aus und ging nach London. Da indessen hier seine Vorlesungen über sein System nicht zu Stande kamen, so gab er ohne Vorsetzung seines Namens Observations on the old Systems of Physic (Bemerkungen über die alten Systeme der Physik) 1787 heraus – diese und die Elementa medicinae sind die einzigen Schriften, welche er für die seinigen anerkennet – lebte nach der gewohnten Weise fort, bis ihm 1788 im 52sten Lebensjahre ein Schlagfluß das Leben raubte. Kurz vor seinem Tode soll er noch eine sehr große Dosis Opiumtinctur zu sich genommen haben. Der Edinburgher Staat nahm sich der Brownschen Familie an: durch Privatmildthätigkeit wurden Mutter und Kinder (er hinterließ zwei Söhne und vier Töchter) dem Elende entrissen.

Was nun das so viel Aufsehen erregende Brownsche System anlangt; so nahm er – um nur weniges[157] davon anzuführen – in jedem belebten Wesen ein Principeigner Art an, welches er Erregbarkeit nannte, und von welchem die Lebensäußerungen abhängen. Das Leben ist das Product der Wirkung der erregenden Potenzen (oder äußern Eindrücke) auf die mit einer zweckmäßigen Organisation verbundene Erregbarkeit. Jene erregenden Potenzen sind zweierlei Art: äußere: als Wärme, Nahrung, Getränke, Gifte etc. innere: als die Verrichtungen des Körpers und des Geistes: Muskelbewegungen, Denken, Gemüthsbewegungen etc. Das Leben ist blos erzwungener Zustand, und kann nur, wenn eine angemessene Menge erregender Kräfte auf den Organism einwirken, bestehen; fehlen diese ganz, so erfolgt der Tod. – Doch wir übergehen hier eine weitere Auseinandersetzung, mit Verweisung auf den Artikel Sthenie (Th. V. S. 393.), da jene ohnehin ganz zwecklos sein würde, und erwähnen nur noch, daß, so wie alle Systeme, auch dieses Anfangs auf einer Seite blinde Anhänger genug fand, die seine Grundsätze nicht einmal verstanden, und auf der andern Seite wieder zu heftige Gegner, die das ganze System verwarfen, ohne das viele Gute zu prüfen, was unstreitig in demselben lag.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 7. Amsterdam 1809, S. 155-158.
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