Philemon und Baucis

[239] Philemon und Baucis: ein paar Eheleute, die wegen ihrer zärtlichen Liebe zu einander bis ins höchste Alter zum Sprichwort dienten, und auch in der Götterfabellehre eine Stelle einnehmen. Als einst Jupiter und Merkur in Menschengestalt Phrygien durchwanderten, wollte niemand die Fremdlinge beherbergen; blos jene schon sehr betagten Ehegatten nahmen sie gastfreundlich auf, wuschen ihnen die Füße, setzten ihnen ein ländliches Mahl vor u. s. f. Hierauf nahmen die reisenden Götter ihre Wirthe mit auf einen benachbarten Berg, und als diese hinter sich blickten, sahen sie ihr ganzes Dorf überschwemmt, ihre Hütte aber in einen prächtigen Tempel verwandelt. Jupiter erlaubte ihnen nun, jede Bitte zu thun; allein die bescheidenen und zufriedenen Eheleute baten blos um die Vergünstigung, daß sie Diener seines Tempels sein, und dann,[239] daß keins von ihnen eher als das andre sterben mögte. So wurden sie denn auch endlich, in einem außerordentlich hohen Alter, als sie eben vor des Tempels Thüre saßen – Philemon in eine Eiche und seine Gattin, Baucis, in eine Linde verwandelt. Sie bemerkten allmälig ihre Verwandlung und nahmen, so lange sie sich noch sehen und sprechen konnten, den zärtlichsten Abschied von einander. Lange standen sie noch als höchst verehrte Baume vor jenem Tempel.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 8. Leipzig 1811, S. 239-240.
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