Turniere

[241] Turniere. In jenen Zeiten, wo das Faustrecht oder doch wenigstens die physische Kraft in dem Leben der Völker wie der Einzelnen das Scepter führte, im Mittelalter, war der Ritter der natürliche Repräsentant der Freiheit, des schönen Lebensgenusses, der feinern Lebensweise, der Inhaber aller irdischen Herrlichkeit und der überwiegenden Macht durch Kraft und Gewandtheit des Einzelnen und eine gewisse Standeseinigung Aller. Der Wunsch, sich hierin zu erhalten und zu glänzen, diese Vortheile zu genießen und andere genießen zu lassen, führte zu jenen prunkenden Kampfspielen und Festlichkeiten, den Turnieren, welche nach sinnreicher Regel mit unverletzlichem Gesetz und fast abenteuerlicher Heiligkeit angeordnet und immer lebendiger ausgebildet wurden. Zu Roß und zu Fuß, Mann gegen Mann, oder Schar gegen Schar, mit Lanze, Schwert oder Kolben gingen nach den bestimmten Gesetzen diese ritterlichen Luftkämpfe vor sich. Mag vieles davon dem arabischen und maurischen Ritterwesen entlehnt sein, so ist doch gewiß, daß das eigentliche Turnieren (vom französischen tourner, sich drehen) zuerst in Frankreich in Aufnahme gekommen, und seine Gesetze daselbst im 11. Jahrh. als allgemeine Turnierform angenommen worden sind, obwohl schon früher T. statt fanden, deren erstes zu Magdeburg im J. 1036 gegeben wurde. – Ein möglichst rein geebneter Raum, mit hölzernen Schranken zierlich eingefriedet, bildete den Turnierplatz. An einer Seite außerhalb derselben baute man hohe Balkone, reich mit Teppichen, Draperien, Fahnen und Wappen geschmückt, für den König oder Fürsten oder vornehmsten Ritter mit den Damen, welche die Preise (den Turnierdank) auszutheilen hatten. Rechts war eine Loge für Damen und alte Ritter, welche nicht selbst mit turnierten, links eine Loge[241] für die Kampfrichter. Diesen Logen gegenüber befand sich der Eingang zu der Bahn, von den Wappenkönigen (Oberherolden, Wappenschauern, Ahnenprüfern), Turniervolgten, Grieswärteln (Kreiswärtern) und Herolden bewacht. Außerhalb der Schranken standen ringsum die Turnierknechte (Schranken, Prügelknechte). um das zuschauende Volk in Ordnung zu halten. Links und rechts von der Schrankenpforte erhoben sich Balkone für die Trompeter und Pauker, welche die Ankunft der Ritter verkündeten, zum Angriffe bliesen und dem Sieger ein jubelndes Victoria brachten. wenn die Preise ausgetheilt wurden. Die Wappenschilde sämmtlicher turnierender Ritter waren schon mehrere Tage aufgestellt, damit Jedermann im Stande war, gegen die Zulassung eines Ritters, der nicht turnierfähig war aus Mangel an Ahnen oder sich gegen die Gesetze der Ritterschaft vergangen hatte, zu protestiren. Die Bahn selbst ward Tages zuvor erprobt in einem sogenannten Probestechen der Knappen. Die ritterlichen Kämpen zogen paarweise in aller Pracht der Rüstung auf ihren geschmückten Rossen ein, neigten zierlich die Lanzen vor den Logen des Herrschers und der Damen, und begannen dann den Kampf, wobei die Grieswärtel zu wachen hatten, daß der Kampf bei den gewöhnlichen Lustturnieren nicht in blutigen Ernst oder zur Ungebühr ausartete. Die Sieger wurden ausgerufen, traten vor die Loge der Damen und empfingen aus ihren schönen Händen knieend die Preise. Von den französischen Damen wurden auch zuweilen an ihre Ritter während und nach dem T. einzelne Geschenke, wie Schärpen, Schleier, Armbänder, Haarlocken etc., welche sie zu tapferm Kampfe ermuntern, oder für gute Wehr belohnen sollten, vertheilt oder zugeschickt. Nach dem T. entwaffneten sie die Ritter, schmückten sie mit prächtigen Kleidern und führten sie zur Tafel. Nach dem Gastmahle folgte ein Ball, wo die Sieger vortanzten. So ging es bei besonders feierlichen Gelegenheiten wechselnd zwischen Kampfspiel und Luft oft viele Tage hintereinander fort, [242] wenn, wie es nicht gar zu selten, die Ritter sich bis zu Tausenden dabei versammelt hatten. Das letzte öffentliche und wirkliche T. soll 1487 zu Worms gehalten worden sein. Im 16. Jahrh., wo allmälig die schweren Rüstungen an Mann und Roß als unnütz gegen Feldschlangen und Karthaunen verschwanden, hörten die T. ganz auf. Nur als prachtvolle Hoffeste wurden in spätern Zeiten noch zu Dresden, Potsdam etc. scherzhafte T. gegeben, während die Ringstechen unter dem Namen der Carroussels (s. d.) nie ganz aus der Mode gekommen waren.

–r.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 10. [o.O.] 1838, S. 241-243.
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