Hedonismus

[432] Hedonismus heißt die Lebensanschauung, nach welcher die (körperliche und geistige) Lust, das Vergnügen (hêdonê) Motiv und Zweck des (sittlichen) Handelns ist. Die Lust ist das höchste Gut (s. d.). Für den Hedoniker ist die Lust das Höchstgewertete, das an sich Wertvolle, Selbstzweck, Strebungsziel. Der Hedonismus ist eine Form des Eudämonismus (s. d.).

Nach DEMOKRIT ist die Freude, Gemütsheiterkeit (euthymiê, euestô) das höchste Gut: ariston anthrôpô ton bion diagein hôs pleista euthymêthenti kai elachista aniêthenti (Stob. Floril. V, 24). Als Hedoniker treten entschieden auf die Kyrenaiker. Nach ARISTIPP hat die Lust einen absoluten Wert, sie ist Selbstzweck (hê hêdonê di' haitên hairetê kai agathon, Diog. L. II, 88), sie ist Strebungsziel (telos d' einai tên hêdonên to aproairetôs hêmas ek paidôn ôkeiôsthai pros autên, kai tychontas autês mêthen epizêtein mêthen te houtô pheugein hôs tên enantian autê almêdona, l.c. II. 88). Die Lust ist ein unbedingtes Gut (einai de tên hêdonên alathon kan apo tôn archêmotatôn genêtai, ib.). Zu erstreben ist die einzelne Lust (l.c. 86, 88, 90). An Stelle der Lust bestimmt HEGESIAS als Strebensziel die Schmerzlosigkeit, da mehr nicht erreichbar sei (l.c. II, 94). ANNIKERIS erkennt neben der Lust auch Freundschaft, Eltern-, Vaterlandsliebe als Strebensziele, Güter an, um derentwillen man auch Schmerz hinnehmen muß (l.c. II, 97). THEODORUS betrachtet die Freude (kara) als das Erstrebenswerte (l.c. II, 98). – Nach EPIKUR ist die Lust das Princip des glücklichen Lebens (hêdonên archên kai telos legomen einai tou makariôs zên, Diog. L. X, 128), sie (und die Leidlosigkeit) ist das Motiv alles Handelns (toutou gar charin hapanta prattomen, hopôs mêt' algômen mête tarbômen, ib.). Die Lust ist das erste und das naturgemäße Gut (tautên gar agathon prôton [432] kai syngenikon egnômen, kai apo tautês katarchometha pasês haireseôs kai phygês, kai epi tautên katantômen hôs kanoni tô pathei pan agathon krinontes, l.c. X, 129). Aber nur jene Lust ist ein Gut, der keine Schmerzen folgen, denn es ist das Erstrebte, to mêt' almein kata sôma mête tarattesthai kata psychên (l.c. X, 131). Eine richtige Abmessung (symmetrêsis) der Lust und ihrer Folgen zeugt erst von der Tugend, der phronêsis (l.c. X, 132). Ohne Einsicht, Gerechtigkeit, Maßhalten kann man nicht glücklich leben (ib.), und umgekehrt ist mit der Tugend Lust notwendig verknüpft (sympephykasin hai aretai tô zên hêdeôs,, ib.). Die höchste Lust ist die geistige (houtôs oun kai meizonas hêdonas einai tas tês psychês (l.c. X, 137), wiewohl an sich keine Lust schlecht ist (oudemia kath' heautên hêdonê kakon, l.c. X, 141). – Der Hedonismus wird auch betont von HELVETIUS, HOLBACH, La METTRIE, VOLNEY u. a., auch von Neueren wie J. DUBOC (Die Lust als socialeth. Entwicklungsprinc. 1900) und (in seiner relativ-natürlichen Bedeutung) von R. GOLDSCHEID: »Der Mensch ist ein hedonistisches Wesen« (Eth. d. Gesamtwill. I, 65). Aber die Ethik darf nicht hedonistisch sein, sondern vermag nur »eine Verteilung von Lust und Unlust auszubilden, die zu einem Verhalten gemäß objectiver Moralprincipien antreibt« (l.c. S. 74). PAULSEN bestreitet die hedonistische Anlage des Menschen. »Der Trieb und das Verlangen der Betätigung ist vor aller Vorstellung von Lust« (Syst. d. Eth. I5, 238). Lust ist schon der Ausdruck dafür, daß der Wille erreicht hat, was er will (l.c. S. 241 f.; ähnlich schon SCHOPENHAUER, E. v. HARTMANN, NIETZSCHE). Vgl. Glückseligkeit, Tugend.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 432-433.
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