Cicero, M. Tullius

[93] Cicero, M. Tullius, der berühmte Redner, geb. 106 v. Chr. in Arpinum, wurde durch Phädrus mit der Epikureischen Philosophie, durch Philon von Larissa mit den Lehren der neueren Akademie, durch Diodotos mit dem Stoizismus bekannt. 78-77 v. Chr. lebte er in Athen, wo er Antiochos von Askalon hörte, dann in Rhodos, wo er Schüler des Posidonius war. Seit 54 lebte er, schriftstellerisch tätig, auf seinem Landgute Tusculum. Er starb 43 v. Chr.

C. ist in seinen Arbeiten (die vielfach nur Bearbeitungen griechischer Schriften sind.) besonders von der neueren Akademie und deren gemäßigtem Skeptizismus, in der Ethik von den Stoikern abhängig, daneben von Plato, Aristoteles u. a. Für die Ausbildung der lateinischen philos. Terminologie ist er von Bedeutung; in ethisch-rechtsphilosophischer Hinsicht hat er bis in die neuere Zeit hinein gewirkt. Die Philosophie ist ihm vor allem eine praktisch-sittlichen Zwecken dienende Wissenschaft; sie ist Erkenntnis der menschlichen und göttlichen Dinge und der Prinzipien der Dinge, Studium der Weisheit (De finibus II, 2; V, 3). Ein sicheres Kriterium der Wahrheit gibt es nicht, aber das Dasein Gottes und die Gültigkeit des Sittlichen ist uns durch die Übereinstimmung aller Völker (»consensus gentium«) und durch gemeinsame (»notiones communes«) und angeborene Begriffe (»notiones innatae«) verbürgt (Tusc. disput. I, 24, 57; de legib. I, 8, 24.).[93]

C. bekämpft den Atheismus und die Atomistik der Epikureer, sowie den blinden Zufall. Gottes Vorsehung waltet in der Welt. Die Seele des Menschen ist eine unkörperliche Natur (Academica IV, 39) und unsterblich (Tuscul. disp. I, 1, 2 ff.; I, 27, 66; I, 49). Das Sittliche (»honestum«) ist das zu Billigende (De fin. II, 14); es ist zugleich das sozial Nützliche (Über d. Pflichten, S. 25 ff., 162 ff.). Wenn wir dem Naturgesetz folgen, so folgen wir damit dem uns angeborenen göttlichen Gesetz, der rechten Vernunft. Die Tugend ist »perfecta ratio«, vollkommene Vernunft und vollkommene Natur; die Glückseligkeit ist durch sie schon gegeben. Strenge Pflichterfüllung ist zu fordern, ebenso Unterdrückung der Leidenschaften.

Schriften (zum Teil unvollständig erhalten): De re publica. – De legibus. – Paradoxa Stoicorum. – Academica I u. II. – De finibus bonorum et malorum. – Hortensius sive de philosophia. – Tusculanae disputationes. – De natura deorum. – Cato maior sive de senectute. – De fato. – Laelius sive de amicitia. – De divinatione. – De officiis (Über die Pflichten, Reclam). – De virtutibus libri fragmenta coll. – Opera philosophica, 1881. – CICEROS philos. Schriften, deutsch 1840-41. – R. HIRZEL, Untersuchungen zu Ciceros philos. Schriften, 1877-83. – SCHMEKEL, Phil, d. m. Stoa, 1892.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 93-94.
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