Lassen, Adolf

[386] Lassen, Adolf, geb. 1832 in Altstrelitz, Gymnasialprofessor und Honorarprofessor in Berlin.

L. vertritt einen (durch Aristotelische u. a. Elemente) modifizierten Hegelianismus. Der empirische Inhalt der Erkenntnis läßt sich nicht aus dem reinen Denken ableiten, aber dieses selbst ist die apriorische Grundlage des Erkennens, es setzt nichts als sich selbst voraus, um gültig zu sein und sucht im Seienden überall die immanente Vernunft. Das Wesen der Dinge ist der sich in der Natur veräußerlichende, objektivierende Geist, dessen höchste Form Gott ist;. die Individuen bilden zusammen ein »Reich der Zwecke«. – Im Recht und in der Sittlichkeit wie in der Religion manifestiert sich die praktische Vernunft. Die Rechtsphilosophie ist die »Wissenschaft von dem Gerechten, wie es im Rechten immanent ist«. Ein Naturrecht gibt es nicht, sondern im positiven Recht selbst ist die Rechtsvernunft aufzusuchen.

Die Welt ist eine »Welt von Gedanken«. Das wahrhaft Seiende muß die Natur des Begriffs an sich tragen. Die »Ideen« schweben nicht über den Dingen, sondern sie sind »die Dinge selber, Substanz, Wesen und Begriff der Dinge und darum zugleich ihre Wahrheit und Wirklichkeit«. Die Sinnlichkeit ist bloß der Anfang des Daseins der Dinge. Die Materie strebt überall nach bestimmten Formen aus inneren Antrieben, der »Begriff« herrscht auch in ihr. Die Materie ist »an sich seelenhaft«, nicht schon beseelt, aber beseelbar. Die »Form« ist das in den stofflichen Veränderungen wirksame Gesetz, das gestaltende Prinzip, der »eigentliche Leib«. Das Seiende am organischen Leibe ist das »Gesetz seiner Entwicklung«. Der Leib ist an sich ein »System von.[386]

ideellen Beziehungen«. Die »Form« nur macht ihn zu einem identischen; sie ist die »Substanz des Leibes«, das Stoffliche am Leibe ist nur Akzidenz, Mittel zum Zwecke der Formerhaltung. Der Leib ist an sich kein Ding, sondern ein Vorgang, ein sich Aufbauen. Der Leib ist »Seelenerscheinung«, »Erzeugnis der Seele«. »Die schöpferische, die bildende Einheit ist die Seele, und der Leib die durch sie gestaltete ausgebreitete Mannigfaltigkeit. Mag man den Körper der Physiologie überlassen – der Leib gehört in die Psychologie.« Die materielle Körperlichkeit mit ihrer lebendigen Bewegung ist »die Erscheinung der beseelten Leiblichkeit, die das Selbst zu ihrem Einheitsbande hat und deren Lebensäußerungen die Verwirklichung des Selbstes bilden«. Alle inneren Tätigkeiten haben am Leibe »ein Gegenbild und eine Äußerung«. Der Leib ist in jedem Momente der »Niederschlag des gesamten Inhalts aller unserer Erlebnisse«. Alles ist in ihm aufbewahrt (Gedächtnis). Das Ich oder Selbst ist kein Selbst ohne den Leib, der Leib ist nur als Leib dieses Selbstes; aus Leib und Selbst besteht der Mensch. Die Seele ist »gestaltende Form, Einheit, Macht der Selbsterhaltung und der Erhaltung der Gattung, Entelechie, innerer Zweck«. Der eigentliche, innere Leib ist die Seele selbst (Identität bei verschiedener Erscheinungsweise); die Seele ist das Wesen, der Leib dessen Erscheinung, der Ausdruck der Seele, das »äußerlich gewordene Gedächtnis der Seele« (vgl. Bergson). Daß Allgemeingültige im Denken, Fühlen und Wollen ist der Geist. Leib, Selbst, Seele sind Vorstufen und Mittel für den Geist als den Zweck und das Ziel der Entwicklung.

SCHRIFTEN: Fichte im Verhältnis zu Kirche und Staat, 1863. – Meister Eckhart, 1868. – Das Kulturideal und der Krieg, 1868. – De causis finalibus, 1876. – Über Gegenstand und Behandlungsart der Religionsphilosophie, 1879. – System der Rechtsphilosophie, 1882. – Entwicklung des religiösen Bewußtseins der Menschheit, 1883. – Der Säte vom Widerspruch, 1886. – Vorbemerkungen zur Erkenntnistheorie, Philos. Monatshefte, 1889. – Zeitliches und Zeitloses, 1890. – Das Gedächtnis, 1894. – Der Leib, 1898, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 386-387.
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