Viertes Kapitel.

Pyrrhus.

[306] Die älteste römische Taktik haben wir erschlossen aus der mit der römischen Verfassungsgeschichte verflochtenen Überlieferung; von dem Verlauf eines bestimmten Gefechts jedoch ist uns keine Kunde erhalten. Die ältesten Römer-Schlachten, von denen wir nach der Natur der Quellen etwas wissen könnten, sind die Pyrrhus-Kämpfe. Zwar in Rom wurde auch damals und noch lange nachher keine eigentliche Geschichts-Erzählung aufgeschrieben, aber die beteiligten Griechen sind an diesen merkwürdigen Ereignissen nicht achtlos vorübergegangen: Pyrrhus selber hat Memoiren hinterlassen, die in den uns vorliegenden Quellen, namentlich Plutarch, benutzt worden sind.

Trotzdem ist für die Geschichte der Kriegskunst aus diesen Erzählungen so gut wie nichts zu gewinnen. Es mag sein, daß manches von den Einzelheiten der Überlieferung echt ist, und der Historiker mag die Erzählungen ohne Schaden wiederholen. Wir für unsern Zweck aber müssen einen strengeren Maßstab anlegen. Uns kommt es darauf an, die fortschreitende Entwicklung einer Technik festzustellen, und dafür dürfen nur unbedingt zuverlässige Einzelheiten verwandt werden. Die Erzählungen des Pyrrhus-Krieges aber, wenn auch auf ursprünglich gute Zeugnisse zurückgehend, sind aus der dritten Hand, wie wir sie haben, so wenig mehr auf ihre Herkunft zu prüfen und von der mitlaufenden Fabel und Legende zu sondern, daß keine der Einzelheiten als völlig zuverlässig betrachtet werden darf.

Pyrrhus war der Neffe und Nachahmer Alexanders des Großen; im Vertrauen auf das von den großen Macedoniern ausgebildete Kriegswesen und ihre Kriegskunst, deren Jünger er war,[306] zog er aus, den Westen zu unterwerfen, wie jener den Osten unterworfen hatte. Durch die Zufügung der Elefanten hatte er diese Kriegsgewalt noch furchtbarer gemacht, als sie einst unter Alexander gewesen war. Aber den zähen Widerstand des Italien beherrschenden Stadtstaates mit seinem original gestalteten Heerwesen vermochte er nicht zu überwältigen. In der Schlacht mehrfach siegreich, mußte er den Krieg doch zuletzt aufgeben. Wir wissen nicht, ob er schließlich auch eine wirkliche taktische Niederlage erlitten hat oder ob der taktische Kampf unentschieden geblieben ist und nur die Unmöglichkeit, eine zuverlässige politische Basis zu gewinnen, den König-Condottiere bewogen hat, den Kampf als aussichtslos fallen zu lassen. Jedenfalls haben sich die Römer trotz wiederholter Niederlagen im Felde behauptet, und das war genug, Pyrrhus an der Einrichtung einer Herrschaft zu verhindern, aus der er die Mittel zur Fortsetzung des Kampfes hätte ziehen können, und ohne eine solche Herrschaft in Italien selbst, bloß auf den Nachschub aus dem unbedeutenden Epirus angewiesen, konnte er den Kampf nicht durchführen.

Neben den allgemeinen Darstellungen der römischen Geschichte von MOMMSEN und IHNE, wie NIESES Gesch. d. griech. und macedon. Staaten s. d. Schlacht bei Chäronea, kommen für Pyrrhus zwei Monographien in Betracht. R. v. SCALA, der Pyrrhische Krieg, 1884. R. v. SCHUBERT, Geschichte des Pyrrhus, 1894.

Die Wertlosigkeit der römischen Überlieferung über diese Epoche ist gut dargelegt von Schubert, S. 182.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 306-307.
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