Fünftes Kapitel.

Der erste punische Krieg.

[311] Ganz umgekehrt als mit dem pyrrhischen Kriege steht es mit unserer Kenntnis des ersten punischen Krieges. Mit diesem setzt ein Historiker ersten Ranges und ein Mann, der besonderes Interesse für das Kriegswesen und selbst lehrhafte Auseinandersetzungen darüber hat, Polybius setzt hier ein. Selbständige Quellen neben ihm existieren so gut wie gar nicht, sachlich pflegen die Dinge bei ihm durchdacht zu sein, und dahinter steht seine wohlbegründete Autorität. So hat man ihm immer einfach nacherzählt. Aber es ist nicht unmöglich, daß dabei eine gewisse Täuschung unterläuft. Polybius hat den ersten punischen Krieg nicht mehr selbst erlebt, noch auch Zeitgenossen und Zeugen über die Vorgänge selber befragen können. Sein Buch stützt sich wesentlich auf zwei Quellen, eine römische, Fabius Pictor, und eine im karthagischen Sinne geschriebene griechische, Philinus. Polybius war kritisch und sachkundig genug, um die beiden Autoren sich gegenseitig kontrollieren zu lassen und auf diese Weise selber ein vortrefflich abgestimmtes Bild neu zu schaffen. Aber gerade indem er alles Anfechtbare seinerseits ausgeschieden hat, hat er es uns unmöglich gemacht, zu erkennen, welchen Wert eigentlich seine Quellen gehabt haben. Dieser Wert kann aber nicht sehr groß gewesen sein. Fabius Victor war geboren etwa 253 v.Chr. und hat sein Werk wahrscheinlich erst nach der Beendigung des zweiten punischen Krieges geschrieben; wir wissen aber, wie sehr die mündliche Tradition die Ereignisse schon im Verlaufe einer Generation verzerrt. Das Gerippe der äußeren Daten gab das Stadt-Jahrbuch, aber darauf kommt es uns hier nicht an. Die Reim-Chronik des Naevius, die[311] Fabius in der Erzählung des ersten punischen Krieges vorausging, wird, obgleich der Dichter selbst Mitkämpfer gewesen war, doch die Gewähr für die Treue des Bildes, angenommen, daß Fabius sie benutzt hat, kaum verstärken. Philinus hat wohl auf karthagischer Seite an dem Kriege teilgenommen166 und stand insofern den Dingen näher als Fabius, aber nach dem, was Polybius selber über ihn berichtet, war er wenig zuverlässig. Aus solchen Quellen kann nun auch der größte Meister schwer eine in den Einzelheiten zuverlässige Historie schaffen. Wir sind ja auch bei Alexander in der Lage, so gut wie keine primären Quellen zu besitzen, aber indem Arrian uns ähnlich wie Polybius die Nachrichten aus zweiter Hand bietet, sind wir, obgleich Polybius der schärfere Kritiker von beiden ist, doch besser daran, weil Arrians Urquellen die bei weitem besseren waren. Ptolemäus und Aristobul, die er hauptsächlich benutzt hat, waren unmittelbare Teilnehmer, sogar Augenzeugen bei den Ereignissen in hervorragender Stellung. Fabius und wahrscheinlich auch Philinus standen den Ereignissen des ersten punischen Krieges kaum näher als Herodot denen des persischen; bei Herodot können wir aber mit eigenen Augen sehen und prüfen, was wir annehmen sollen und was nicht, für den ersten punischen Krieg sind wir ganz und gar auf das Urteil des Polybius angewiesen. Man mag also die kritische und historische Befähigung des Polybius noch so hoch einschätzen, namentlich auch darauf Wert legen, daß er Quellen aus beiden Lagern hatte, unsere Kenntnis der Kämpfe in und um Sizilien und Afrika im einzelnen ruht doch auf einem weniger sicheren Grunde als diejenige von Marathon und Platää.

Das Ergebnis dieser Betrachtung ist also, daß wir trotz Polybius auf die nähere Untersuchung der Erzählungen vom ersten punischen Kriege verzichten. Das für uns Wesentliche und Entscheidende, das Generelle, die römische Manipular-Taktik kennen wir bereits und verdanken es zum Teil eben dieser Quelle; den[312] Einzelheiten dürfen wir aber nicht genügend trauen. Mit Wahrscheinlichkeiten und Hypothesen ein Gemälde auszuführen, würde unsere Kenntnis nicht vermehren. Wir gehen also auch über diesen Krieg kurz hinweg.

Unrichtig ist es, wie längst erkannt, in ihm den Kampf einer ausschließlichen Landmacht gegen eine Seemacht zu sehen. Rom war selber eine uralte Handelsstadt, das Emporium Latiums, und führte als Wappen die Galeere: die Eidgenossenschaft aber, deren Haupt es war, umschloß die seekundigen Städte von Großgriechenland, von Cumä und Neapel bis Tarent. Wenn es bis dahin alle seine Kraft auf den Landkrieg verwandt hatte, so war das geschehen, weil seine Gegner Landmächte waren, und so weit das nicht der Fall war, wie in den ältesten Zeiten die anderen latinischen Seestädte oder zuletzt Tarent, so hatte Rom diese Kämpfe im Bündnis gerade mit Karthago geführt,167 was es der Schaffung einer stärkeren Seemacht überhob. Erst der Kampf gegen Karthago selber nötigte nunmehr zur Fortbildung auch in dieser Richtung. Rom baut sich die Penteren-Flotte, die es noch nicht besaß, aber mit seinem reichen Material an allem, was zum Schiffswesen gehörte, ohne große Schwierigkeit schaffen konnte.

Es wird nützlich sein, zu bemerken, daß die berühmte Erzählung, die Römer hätten schlechterdings nichts vom Seewesen verstanden, ihre Schiffe nach dem Muster einer gestrandeten karthagischen Pentere gebaut, ihre Ruderer auf Gerüsten auf dem Lande eingeübt, von Polybius stammt, der hier handgreiflich einer ungeheuerlichen rhetorischen Übertreibung zum Opfer gefallen ist.

Das Gegenstück dazu ist, daß sich die Karthager die Kriegskunst zu Lande von dem Spartaner Xanthippus lehren lassen mußten. Mommsen hält auch diese Erzählung für das Echo griechischer Wachtstubengespräche. Nitzsch hat ihm widersprochen, da man in der Weltgeschichte dem banausischen Unverstand, wie ihn hier die Karthager gezeigt haben, oft genug begegne. Das ist ganz richtig – so mag auch Polybius gedacht haben, als er die Erzählung etwa dem Philinus entnahm: aber, wenn es auch nicht eine so offenbare Fabel wie die Geschichte vom römischen[313] Flottenbau ist, eine Bürgschaft, daß sie wahr ist, haben wir in der Erzählung des Polybius gewiß auch nicht.

Der Krieg endete mit dem Sieg Roms über Karthago sowohl zu Lande als zu Wasser. Diese Überlegenheit, die es entwickelt hatte, war aber nicht so sehr groß: 23 Jahre lang hatte das Ringen gedauert, bis sie endgültig erwiesen war, und zu Lande hatten sich die Karthager bis zuletzt auf Sizilien behauptet. Die schließliche Entscheidung war zur See gefallen. Ob die Erfindung der Enterbrücken wirklich soviel dazu beigetragen hat, den Römern das Übergewicht im Seekampf zu geben, wie die Überlieferung will, ist wohl auch einigermaßen zweifelhaft. In den späteren Seeschlachten ist gar nicht mehr die Rede davon, und die Römer haben trotz ihrer Erfindung auch noch eine große Seeschlacht verloren, und ihre Superiorität im Landkampf hat sie weder vor der Niederlage des Regulus in Afrika bewahrt, noch die Karthager ganz von der Insel Sizilien vertreiben können. Das Entscheidende, weshalb die Römer endlich die Oberhand behielten, ist nicht sowohl die Tapferkeit und Kriegskunst der Legionäre als die Leistungsfähigkeit der großen italischen, unter Rom vereinigten Eidgenossenschaft gewesen, die es ermöglichte, an die Stelle der gescheiterten oder geschlagenen Flotten nach einiger Zeit immer wieder neue aufs Wasser zu setzen.

Auch Karthago hätte das, wie der Söldnerkrieg und der an Rom abgeführte Kriegs-Tribut nachher zeigten, wohl noch gekonnt, aber die Fortsetzung des Krieges bot ihm keine Aussichten mehr. Es hätte sich gewiß noch länger behaupten, vielleicht auch noch einmal wieder einen Sieg erringen können, aber der Sieg hätte nichts genützt. Den Römern die Städte und Festen Siziliens wieder zu entreißen, war die karthagische Landmacht auf jeden Fall zu schwach, und mit bloßen Niederlagen zur See war, wie sich gezeigt hatte, Rom nicht niederzuzwingen. Überdies (falls unsere Quellen hier die volle Wahrheit berichten) hatten die Römer ihre größten Verluste zur See nicht sowohl den Karthagern als Wind und Wetter bei eigener leichtsinniger Führung zuzuschreiben.

So hatten die Karthager, ohne völlig überwunden zu sein,[314] aber in der Erkenntnis, daß der endgültige, positive Sieg für sie unmöglich sei, sich auf leidliche Bedingungen zum Frieden bequemt. Auch die Römer fühlten sich nicht stark genug, mehr zu erkämpfen, als dieser Friede ihnen bot. Dazu hätten sie nach Afrika übergehen müssen – ein aussichtsloses Unternehmen, so lange sie nicht einmal vermochten, Hamilkar Barkas aus Sizilien zu vertreiben.


1. In der Entsatz-Schlacht vor Agrigent (Polyb. I cap. 19) sollen die Karthager ihre 50 Elefanten hinter ihre Söldner gestellt haben. Unter diesen Söldnern sind jedenfalls Leichtbewaffnete zu verstehen, da mit (oder hinter) den Elefanten noch andere τάξεις aufgestellt sind. Die Söldner werden von den Römern geworfen, und ihre Flucht soll die Elefanten und das ganze übrige Heer fortgerissen haben.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 1, S. 311-315.
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