Die Frame.

[46] Die Bewaffnung der Germanen ist uns geschildert in der Ansprache des Germanicus (Tacit. Ann. II, 14) und in der Germania cap. 6. Beide Schilderungen aber fordern Einwendungen heraus und widersprechen sich untereinander: »praeusta aut brevia tela«, wie Germanicus sagt, ist wenig anschaulich, und selbst wenn man annehmen will, daß ein Teil der Germanen wirklich nur hölzerne tela mit im Feuer gehärteter Spitze gehabt habe, so gibt das »aut« und »brevia« weder eine Ergänzung noch einen Gegensatz.

In der »Germania« heißt es: »Ne ferrum quidem superest, sicut ex genere telorum colligitur: rari gladiis aut majoribus lanceis utuntur; hastas vel ipsorum vocabulo frameas gerunt angusto et brevi ferro, sed ita acri et ad usum habili, ut eodem telo prout ratio poscit, vel comminus vel eminus pugnent.«

Eine hasta angusto et brevi ferro ist der alte Hoplitenspieß, auf den es auch paßt, daß man mit ihm sowohl aus der Nähe kämpfen, als ihn auch werfen kann. Offenbar schief aber ist in dieser Schilderung der Gegensatz zu den »größeren Lanzen«, insofern er auf Mangel an Eisen[46] zurückgeführt wird. Denn die größere oder geringere Länge oder Stärke des Schafts hat mit der Klinge nichts zu tun: man kann ziemlich kurze Wurfspieße mit sehr langem Eisen haben, wie die römischen Pilen, und Langspieße mit einer kurzen Spitze. JOS. FUCHS, Hist. Vierteljahrsschr. 1902. 4. H. S. 529, will deshalb »lanceis« übersetzen. »Lanzenspitzen«. Das eigentlich Unlogische wird damit allerdings beseitigt, aber die Ausdrucksweise bleibt bizarr, und sachlich fallen dann die sonst bezeugten Langspieße ganz aus. Anstößig ist ferner die auftragende Art, mit der uns eine so gewöhnliche Waffe, wie der Hoplitenspieß, der ein den Römern ganz geläufiges Ding war, als etwas ganz besonderes geschildert wird, und nicht nur hier, sondern noch an vielen anderen Stellen nennt Tacitus die germanische Frame wie mit einem heiligen Respekt »cruenta victrixque framea«.26 Man ist deshalb auf eine ganz andere Auslegung gekommen. Die Ausgrabungen haben aus der Urzeit ein eigentümliches Instrument zutage gefördert, dem die antiquare den Kunstnamen »Celt« gegeben haben.27 Die Celte, die es in Stein, Bronze und Eisen gibt, haben die Form eines schmalen Beils, das nicht quer, sondern lang zu schäften ist. Man kann also einen Celt derartig auf eine Stange setzen, daß man einen Spieß hat, der statt einer Spitze eine Schneide hat. In dieser Waffe hat man die germanische Frame sehen wollen, und noch JÄHNS in seiner »Entwicklungsgeschichte der alten Trutzwaffen« hat sich für diese Auslegung entschieden und sie ausführlich begründet. Sein Hauptgrund ist, daß man so für die so sehr häufig vorkommenden und sonst schwer zu erklärenden Celte eine passende Verwendung habe, Funde und historischen Bericht in Übereinstimmung bringe, und ferner, daß die Betonung, mit der Tacitus von der Frame als einer ganz eigentümlichen Waffe spricht, damit gerechtfertigt sein würde. Die Frame – Celt-Spieß wäre dann die Waffe eines metallarmen Volkes, das seine Waffe so gestaltet, daß sie möglichst allen Zwecken zu gleich dient und nicht bloß als Waffe, sondern auch als Werkzeug gebraucht werden kann. Ihr Vorzug ist, daß man mit ihr sowohl stoßen und schlagen und zur Not auch mit ihr werfen kann. Wurf und Stich mit einem Spieß sind natürlich wirksamer, da die breite Schneide nicht so leicht und tief eindringt wie eine scharfe Spitze, aber der Mann, dem außer dem Spieß nicht auch ein Schwert zur Verfügung steht, und das fehlte den meisten Germanen, der will den Spieß auch zum Schlagen benutzen können, und mit der scharfen Kante des Celt ist das wirksam genug. Jähns unterstützt diese Auslegung durch den Hinweis auf Stoßwaffen mit breiter Schneide, die sich auch anderwärts finden, und durch den Hinweis auf den Zusammenhang der Entwicklung mit der Steinzeit: in Stein konnte man eine spitze Kriegswaffe[47] nicht herstellen; der Stein wäre an der feindlichen Schutzrüstung zersplittert. Spitze Steinwaffen sind nur für die Jagd brauchbar. Die Urform der Stoßkriegswaffe also war breit, und man behielt diese bewährte Form auch in der Bronze- und sogar in der Eisenzeit noch lange bei. Endlich finden wir, daß in einer Glosse des neunten Jahrhunderts »framea« mit »Ploh« – Pflug erklärt wird, was auf ein breites, nicht spitzes Instrument schließen läßt.

Die Argumentation hat etwas Bestechendes, ist aber sicher unrichtig. Die allerdings sehr zahlreich gefundenen Celte brauchen nicht aus der römisch- germanischen Zeit zu stammen, sondern sind sehr viel älter. Eine Harmonie zwischen diesen Funden und den Berichten der römischen Schriftsteller herzustellen, ist also gar nicht erforderlich. Die Celte, wenn auch, worauf Jähns (S. 168) Gewicht legt, einige spießartig geschäftete tatsächlich gefunden sind, können sehr wohl meist mit einem Knieholz geschäftet gewesen sein, so daß sie als Hacke resp. als Beil benutzt wurden. Als Stoßwaffe ist eine breite Schneide so viel weniger leistungsfähig, als eine Spitze daß sie unmöglich prinzipiell dazu bestimmt gewesen sein kann, und wiederum die Waffe zum Schlagen zu benutzen, ist die Kante des Celts viel zu stumpf; man würde in diesem Falle doch auch wenigstens an einer Seite eine wirkliche Schneide angebracht haben. Was endlich Tacitus betrifft, so würde er mit seiner Schilderung »hasta brevi et angusto ferro« ja gerade die wichtigste Eigenschaft, die Schneide statt der Spitze, ausgelassen haben. Kommen wirklich, wie Jähns behauptet, anderwärts Stoßwaffen und Pfeile mit breiter Schneide statt einer Spitze vor, so mögen sie einem besonderen Zweck gedient haben und können die offenbare Unbrauchbarkeit des Celts zum Stoßen nicht widerlegen; der »händebreite Sachs« (die Klinge von Siegfrieds Pfeil, Jähns, S. 174) läßt sich auch wohl anders auslegen. Der »Ploh« der Glosse beweist nichts, da das älteste Instrument zum »pflügen« jedenfalls spitz und nicht breit war. Vgl. zu den sonstigen Quellenzeugnissen und Parallelstellen MÜLLENHOFFS Rezension v. LINDENSCHMITS Handbuch d. deutschen Altertumskunde: Anzeig. f. d. Altertum, Bd. 7., neugedr. i. d. Deutsch. Altertumskunde, Bd. 4 (Die Germania), S. 621. – Zeitschrift f. Ethnologie. Bd. II (1870), S. 347.

Es wird also dabei bleiben müssen, daß die Frame im wesentlichen nichts anderes ist, als der altgriechische, 6-8 Fuß lange Hoplitenspieß. Daß Tacitus gerade das »kurze« Eisen hervorhebt, geschieht aus dem Vergleich mit dem römischen Pilum heraus. Der sachliche Fehler seiner Charakteristik liegt in dem Hereinziehen des Langspießes. Läßt man diesen aus, so ist die Gedankenverbindung, »die Germanen haben wenig Eisen, deshalb kämpfen sie nicht mit Schwertern und Pilen, sondern mit Spießen, die sowohl für den Nah- wie für den Fernkampf verwendet werden«, für einen römischen Berichterstatter sehr natürlich. Schief ist freilich in Tacitus' Ausdruck ferner noch die logische Verknüpfung: »die Waffe ist so scharf und brauchbar, daß sie sowohl zum Nah- wie Fernkampf verwendet werden[48] kann.« Nicht ein »so daß«, sondern ein bloßes »und« müßte die beiden Satzglieder verknüpfen. Irreleitend endlich ist der Ton der ganzen Darstellung, der die Frame als etwas ganz besonderes erscheinen läßt, da sie doch eine ganz alltägliche Allerweltswaffe ist. Alles das wird uns aber weniger anfechten, wenn wir es in die uns auch sonst bekannte Eigentümlichkeit des Tacitus, in seinen historischen Stil, einordnen: es kommt ihm immer nicht so sehr auf den Gegenstand an, als auf den Eindruck, der hervorgerufen werden soll, und er sucht seinen Anthithesen dadurch einen besonderen Reiz zu geben, daß er die Spitzen nicht direkt aufeinander treffen läßt.

Zur 3. Aufl. SCHUBERT-SOLDERN in der Zeitschr. für histor. Waffenkunde Bd. III, S. 338 (1905) hat die JÄHNSsche Auslegung doch wieder mit beachtlichen Gründen verteidigt; besonders betont er, daß er beim mangelhaften Eisen, das den Germanen zur Verfügung stand, ebenso wie die Bronze und Stein die Spitze leicht abbrach und deshalb die Schneide vorgezogen werden konnte. Das Wort celtis weist er als spätlateinisch nach mit der Bedeutung »Meißel«.[49]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 46-50.
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