Sechtes Kapitel.

Die deutschen Städte.

[384] Das Kriegswesen der deutschen Städte beruht, ganz wie das italienische, auf dem in den Städten angesessenen Rittertum, dessen Kreis sich aus der reich gewordenen Kaufmannschaft ergänzt und mit ihr verschmilzt. Es wurde der Dienst zu Roß, wie schon Roth von Schreckenstein ganz richtig gesagt hat,384 zuerst von den in der Stadt befindlichen Rittern geleistet; späterhin aber von allen denjenigen, welche hierzu hinreichendes Vermögen besaßen. Man könnte bezweifeln, ob das Vermögen eine genügende Bürgschaft für kriegerische Brauchbarkeit abgibt, aber es kommt auf der einen Seite die Standes-Tradition in Betracht, die den ritterlichen Ehrbegriff erhält, auf der anderen das kriegerische Moment, das in dem Kaufmannsstande einer Zeit steckt, in der die öffentliche Rechtssicherheit sehr wenig Schutz bot, und schließlich die Möglichkeit, sich durch einen reisigen Knecht vertreten zu lassen. Sehr häufig sind die Beispiele, daß Bürger zugleich Ritter genannt werden.385 »Halb sind es«, sagt Arnold in seiner »Verfassungsgeschichte der deutschen Reistädte« (II, 186), »Ritter, die wie diese von geistlichen und weltlichen Herren Lehen besitzen, zu Roß und Harnisch dienen und an allen Vorrechten der Ritterschaft teilnehmen: halb sind es Bürger, die in den Städten ihre eigentlichen Wohnsitze haben, Gewerbe und Handel treiben und städtische Interessen verfolgen.«386[384]

Die zu Roß dienenden Bürger hießen in Straßburg, Magdeburg, Zürich und in andren Städten Konstafler oder Konstofler (dasselbe Wort wie connétable = comes stabuli). Im Jahre 1363 stellten die Straßburger Konstafler 81 Gleven, die Zünfte 21, die Schiffleute 5, die Krämer 4, die Weinleute 4 usw. Kaiser Ludwig der Bayer forderte von den Reichsstädten, daß sie ihn »nach alter Gewohnheit« über den Berg mit einer Reiterschar zur Kaiserkrönung geleiten sollten.387

In Italien hatten die langen Kämpfe gegen die staufischen Könige, wie wir gesehen haben, doch keine wirklich kriegerische Bürgerschaft erzeugt. Die Leistungen, die Menge hier und da aufzuweisen hat, waren in ihrer Natur beschränkt und vorübergehend. Noch weniger war in Deutschland Veranlassung und Gelegenheit zur Ausbildung eines kriegerischen Geistes in den Bürgerschaften. Auch seit die Zünfte anfangen, den Geschlechtern die Herrschaft streitig zu machen und mit ihnen um die Besetzung der Ratsstellen zu ringen, kommt doch nicht viel kriegerische Leistung zu Tage, und die nie abreißenden Fehden mit den benachbarten Fürsten und Rittern führen ebenso wenig zur Ausbildung einer wirksamen, spezifisch städtischen Kriegsverfassung. Die Menge der Kleinbürger bewaffnet sich wohl ebenfalls und besitzt gewisse kriegerische Eigenschaften oder nimmt sie an, bleibt aber doch immer nur Hilfswaffe für die Ritterschaft, im besonderen als Schützen,388 als welche sie auch im kaiserlichen Dienst Ruhm erwarben. In der Chronik Arnolds von Lübeck werden einmal vermöge langer Übung kriegstüchtige Bürger gerühmt,389 und namentlich gegen Raubritter sind sie auch oft genug ausgezogen, aber das[385] sind doch mehr Raufereien als Krieg. Im 14. Jahrhundert kam es auf, daß die Zünftler auf Wagen ausrückten, je sechs rittlings auf einem Gestell sitzend. Aber schon 1256 beschloß man auf einem Städtetag in Mainz, nach Kräften Söldner zu halten,390 und zwar warb man nicht bloß gemeine Soldknechte oder Ritter, sondern schloß Verträge mit Herren und Rittern der Nachbarschaft, die sich gegen Entgelt zu dauernder Hilfe verpflichteten.

Diese Soldverträge sind nach allen Richtungen das Charakteristische für das städtische Kriegswesen. Im Jahre 1263 schloß Köln einen Vertrag mit dem Grafen Adolf von Berg in der Form eines Schutz- und Trutz-Bündnisses. Der Graf wird Bürger; er verpflichtet sich, der Stadt zu helfen mit neun Rittern und 15 Knappen auf verdeckten Rossen gegen täglich fünf Mark Kölnische Pfennige. Entsprechend sollen die Kölner dem Grafen mit 25 Mann aus den Geschlechtern, gewappnet, auf verdeckten Rossen helfen. Ähnliche Verträge wurden geschlossen mit den Grafen Wilhelm und Walram von Jülich und Dietrich von Katzenellenbogen. Noch nach 100 Jahren wurde dieser Vertrag fast wörtlich erneuert.391 Die Stadt Worms verpflichtete sich in ähnlicher Weise die Grafen von Leiningen.392 Wie wenig kriegerisch muß sich die Kölnische und Wormser Bürgerschaft vorgekommen sein, daß sie eine solche Hilfe in Anspruch nahm! Um ganze 24 oder 25 Mann werden solche Verträge geschlossen! Aber es sind eben Ritter, und 25 Ritter sind nicht so wenig – ich erinnere an die Sorgfalt, mit der Karl der Große einst vorschrieb, ob einer seiner Grafen zwei oder vier Mann von seinen Kriegern zu Hause lassen dürfe. Diese Kapitularien werden erst verständlich, wenn man sich klargemacht hat, daß auch das karolingische Heerwesen auf einem ritterlichen Kriegerstand, nicht auf Bauernaufgeboten beruhte. Das Unkriegerische der Masse ist das natürliche Komplement eines Ritterstandes, und so versprechen auch die Kölner ihrerseits[386] Bundeshilfe, nicht etwa mit einem Bürger-Auszug, sondern mit verdeckten Rossen zu stellen.

Wenn die Bürger überhaupt auszogen, wollten sie wenigstens nicht weiter fort, als daß sie noch denselben Abend wieder zu Hause sein konnten: so beschlossen einmal ausdrücklich die rheinischen und schwäbischen Städte im Jahre 1388.393 Die Vorschriften, die öfter gegeben worden sind, daß und welche Waffen die Bürger halten sollten, und daß Harnisch-Schauen abgehalten werden sollten, um das zu kontrollieren, haben eine wesentliche praktische Bedeutung nie erlangt.

Die ausführlichen Erzählungen und Schilderungen, die wir namentlich aus der Geschichte der Stadt Köln, z.B. in der Reimchronik des Meisters Gottfried Hagen394 besitzen, lassen uns die Zustände oft in sehr anschaulichen Bildern erkennen. Die Schlacht bei Worringen (1288) jedoch, die in der Tradition als ein Sieg der Kölner Bürger über ihren Erzbischof und seine Ritter gefeiert wird, gehört nicht in diesen Zusammenhang, da die Kölner in ihr nur eine Nebenrolle gespielt haben.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 384-387.
Lizenz: