Gliederabstand und Rottenbreite in einem Pikenier-Haufen.

[191] Das erste Zeugnis über diese Frage dürfte sich in einer Relation des venezianischen Gesandten QUIRINI aus dem Jahre 1507 finden: sie gibt den Abstand der Glieder voneinander auf etwa 11/2 Schritt an und sagt von dem Abstand im Gliede, daß die Leute sich so nahe standen, daß sie ohne sich gegenseitig zu stoßen marschieren konnten. »Le file, cominciando dalla prima nella fronte davanti fino all'ultima, sono larghe una dall'altra da circa un passo e mezzo, tanto che le lancie lunghe die quelli di dietro non urtino quelli davanti quando camminano in ordinanza; e nelle file un fante dalle bande è tanto largo dall'altro, che si possano tutti maneggiare senza urtarsi insieme«224.

MACHIAVELLI in seiner Geschichte der Kriegskunst (1519/20) macht Angaben, die unter sich nicht völlig im Einklang stehen. Ein direktes Maß für den einzelnen Mann gibt er überhaupt nicht, aber er macht im dritten Buch eine Berechnung für seine Schlachtordnung, die, wenn man sie durchrechnet, zu 25 Braccien auf ein Bataillon von 20 Mann Breite führt, das sind etwa 74 Zentimeter oder 21/2 Fuß auf den Mann. Im zweiten Buch aber ist gesagt, die Leute stünden Arm an Arm (si congiungono insieme, che l'uni fianco tocca l'altro), und in seiner Abhandlung über Deutschland225 sagt er von den Schweizern, ihre Ordnung sei so, daß nach ihrer Ansicht niemand in sie eindringen könne – aus welchen Äußerungen man schließen könnte, daß er nur einen Raum von etwa 11/2 Fuß für den Mann annehme.

Für den Abstand in der Rotte gibt Machiavelli übereinstimmend an mehreren Stellen (offenbar nach Vegez III, 14) zwei Braccien, gleich etwa 6 Fuß an, die beim Pikenkampf auf 3 Fuß heruntergehe226.[191]

In einem Werke, das von einem unbekannten Verfasser, vielleicht von DU BELLAY-LANGEY, zuerst im Jahre 1535 in Paris erschien und meist unter dem Titel »Instruction sur le fait de guerre« zitiert wird227, wird angegeben, daß der Soldat im Gliede marschierend 3 Schritt, in der Schlachtordnung 2 Schritt, im Kampf einen Schritt gebrauche; die Rottentiefe betrage 4 Schritt, 2 Schritt und einen Schritt. Auf Grund dieser Stelle nimmt Rüstow (I, 253) an, daß der Mann im Gliede nur 11/2 geometrische Fuß beansprucht habe.

»La place que chacun soldard occupe de large en marchant en simple ordonnance, est 3 pas, et estant en bataille 2, et lorsqu'il combat un. La distance d'un rang a autre estant en simple ordonnance, est de 4 pas, et estant en bataille 2, et en combatant un. Ainsi donc les 21 hommes de chacune bande estant en bataille occupent 42 pas de front et les 20 rangs en occupent 40 en long, comprins l'espace que chacun soldat occupe, qui est un pas«. Der Zusammenhang zeigt, daß der Verfasser unter »rang« das Glied versteht.

Bald nach dem oben genannten erschien in Frankreich (1559) ein ähnliches Werk, wieder anonym »Institution de la discipline militaire au royaume de France«,228) das den Raum im Gliede auf eine Elle, in der Rotte auf ungefähr drei Fuß angibt. (»–– nous avons dit que le soldat tien environ trois piedz en files, et une coudée en reng.«229). An einer anderen Stelle (S. 100) heißt es, das »serrer le bataillon ... se doit faire souvent, quand on vient à affronter l'ennemi«. Diese Stelle kann wohl kaum anders ausgelegt werden, als daß man, um der beim Marschieren immer eintretenden Lockerung entgegenzuwirken, öfter Halt machen solle, um die Mannschaft wieder eng zusammenschließen zu lassen.

Der Italiener TARTAGLIA (1546) und HERZOG ALBRECHT von Preußen in seiner Kriegsordnung (1552) nehmen die Abstände im Gliede zu 3, in der Rotte zu 7 Fuß an230, unzweifelhaft nach Begez.[192]

TAVANNES231 (unsicher, ob Vater oder Sohn) gibt 3 Schritt in der Front, sieben in der Rotte. »Le quarré de terrain et le carré d'hommes sont differents, en ce qu'en file il y doit avoir sept pas entre les rangs et en front suffit de trois entre chaque soldat, tellement que pour faire le bataillon quarré de terrain à soixante de front il ne faut que trente de file. La largeur du front, pour n'être enclos, est necessaire, et l'extraordinaire espaisseur des bataillons, qui adviendrait si on voulait faire quarrés d'hommes, serait inutile.«

WILH. LUDWIG V. NASSAU in einem Brief an seinen Vetter Moritz (gedr. Dunks Journal I, 717) gibt an, daß beim »gestreckt« stehen der Abstand der Infanteristen von der Seite und von hinten 6 Fuß sei; sie könnte aber auch nach Aelians Vorschrift »densatie« und »constipatie« stehen und marschieren. »Item als sie gestreckt staen, ofte (oder) trecken sullen, dat die stande van der sijden ende (und) hinden of 6 voet sij. Item fon sie densatie staen ofte trecken sullen als vock constipatie, dat sie praecepta Aeliani onderholden.«

Weiter heißt es, in der Schlachtordnung vor dem Feind sei das gemeine Maß 3 Fuß zwischen jedem Mann und 7 in den Reihen; man könne aber auch die Leute viel dichter aufschließen lassen, sowohl in den Gliedern, wie in den Reihen. Sie stehen dann hart beieinander, aber so, daß sie ihre Waffen noch gebrauchen können. Der Befehl dazu lautet »Dicht«, oder wenn man sie noch dichter haben will, um feindlicher Kavallerie wie eine Mauer widersprechen zu können, »Dicht, dicht oder Heel dich, dat is, so man up onduitsch seyt Serre, serre«. Wenn die Gefahr vorüber ist und man gemächlicher marschieren will, läßt man Glieder und Rotten wieder voneinander Abstand nehmen.

In der »Instruction« und der »Denkschrift« des LANDGRAFEN MORITZ VON HESSEN 232 vom Jahre 1600 wird die Rottenbreite auf 3 Fuß angegeben; im Schließen soll man nicht näher als die Seitengewehre reichen und im Reihenschließen bis an die Ellbogen herantreten.

In DILICHS Kriegsbuch (1607) (S. 246 u. S. 277) werden dem Fußknecht im Gliede 3 Schuh, in der Rotte 5 Schuh zugewiesen. In der zweiten Bearbeitung von 1647 wiederholt der Verfasser an einer Stelle (Teil I, S. 156) die genannten Zahlen, an einer anderen aber (Teil II, S. 71) nennt er statt dessen 4 Schuh und 6 Schuh.

Beim Kampf gegen Landsknechte schreibt er vor (Ausg. 1907, S. 290), daß man nicht, wie es beim Kampf gegen Reiter geschehen soll, stille stehe, sondern vorwärts gehe, sich dabei dicht aneinanderschließe und die Spieße hinten etwas hoch fasse.

MONTGOMMERY, La milica française (1610), schreibt, daß der Sergant-Major einen Stab von 3 Fuß Länge habe und mit diesem[193] die Front abmesse, nämlich auf jeden Soldaten 3 Fuß, und in der Rotte 7 Fuß, d.i. 3 Fuß vor dem Mann, 1 Fuß für ihn selbst und 3 Fuß hinter ihm. Ein Haufe von 2500 Mann, 50 Mann breit und 50 Mann tief, sei also 150 Fuß breit und 200 Fuß tief. Der Verfasser rechnet also in Wirklichkeit nur 4 Fuß auf den Mann in der Rotte, weil er bei den 7 Fuß immer 3 Fuß doppelt zählt. Wallhausen in seiner Übersetzung des Werkes unter dem Titel »Militia Gallica« hat den Widerspruch nicht bemerkt, sondern ohne Bemerkung übernommen.

BILLON, Les principes de l'art de guerre (1613) (S. 65 des Originals, S. 184 der Übersetzung. II. Kap. 11.) stellt ein Bataillon von 200 Mann 20 Mann breit und 10 Mann tief auf und berechnet, daß wenn »entre les files« 6 Fuß Raum seien, die Front 114 Fuß in der Front haben werde (d.h. 120 weniger 6 = 114). Trotz des Ausdrucks »entre les files« ist also der Mann in die 6 Fuß eingerechnet; die 114 Fuß aber insofern falsch berechnet, als nicht 6, sondern bloß 41/2 von den 120 abgezogen werden dürften.

Ganz ähnlich in dem zweiten Werk desselben Verfassers, Instructions militaires (1617) S. 63f.

Die Distanz von 6 Fuß kann nach Billon auf 3 Fuß und auf einen Fuß verringert worden, so daß Front und Tiefe nur ein Sechstel des ursprünglichen Raumes einnehmen. Die letztere Stellung wendet man an »pour choquer les ennemis« was die deutsche Übersetzung (S. 185) wiedergibt »den Feind anzugreifen«.

An anderer Stelle (B. II, Kap. 45) scheint Billon dasselbe sagen zu wollen, ist aber so unklar, daß wir allein auf diese Aussage angewiesen im Ungewissen bleiben würden.

WALLHAUSEN in seiner »Kriegskunst zu Fuß« (1615) S. 79 (vgl. S. 71) gibt an, daß man im Kampf gegen Fußvolk mit 11/2 Schritt Distanz in Reihen und Gliedern stehe, im Kampf gegen Reiter aber ganz eng geschlossen. Marschierend und exerzierend hat man weitere Abstände, die verschieden genommen werden können.

Im corpus militare (1617) S. 55 werden ebenfalls mehrere Arten Abstände unterschieden, aber in etwas unklarer Weise, so daß Rüstow nur zwei verschiedene Abstände herausgelesen hat, während es offenbar drei sein sollen: der enge, der behördliche und der weite. Der behördliche ist zwei Schritt nach Gliedern und Rotten, der enge, »wann Glieder und Reyen wie behördlich nachst zusammen geschlossen stahn«. Der weite vier Schritt oder noch mehr.

In dem »Kriegsbüchlein« des Züricher Hauptmanns Lavater (1644) ist angegeben (S. 88), daß beim Ausrichten ein Mann von dem andern in Glied und Reihen einen guten Schritt nehme. Beim Dopplieren treten dann entweder die hinteren Glieder durch deployieren neben die vorderen oder es treten die Mannschaften der hinteren Glieder in die Lücken der vorderen, »je nachdem Du Dich mit dem Feind schlagen willst und Distanz[194] dazu hast«. (S. 87.) Weiter heißt es dann (S. 90): »Wann die ganze Ordnung geschossen ist (so meistentheils wegen der Reuterei Einbruch beschihet)« usw.

GERHARD MELDER (1658) (Jähns II, 1149) gibt an, »ein Musketier hat drei Fuß in die Breite und drei in die Länge Raums nötig; desgleichen ein Cavalier drei in die Breite und zehn in die Länge.«

BACKHAUSEN, Hessischer Kapitänleutnant, Beschreibung der gebräuchlichen Exercitien (1664), gibt (S. 2) den Infanteristen beim Einexerzieren 6 Fuß Abstand und läßt beim Scharmutzieren, d.h. zum Gefecht, endoublieren, so daß aus sechs Gliedern drei werden (S. 26). »Andere«, sagt er, »wollen 2 Schuh auf einen Mann in die Fronte haben, welches ein jeder nach Belieben und Gelegenheit machen und einrichten kann.«

Wenn man feindliche Artillerei angreife, empfiehlt er die Rotten zu doublieren, so daß breite Gassen zwischen ihnen entstehen und die Kugeln ohne Schaden durchgehen können; die Rotten sind dann 12 Mann tief. »Wenn aber die Reuter einhauen wollen, muß man die Thür beizeiten schließen und die Reyen (Rotten) sich wiederherstellen lassen.«

JOH. BOXEL, Niederl. Kapitänleutnant, Niederl. Kriegs-Exercitien (1668). Deutsche Übersetzung von 1675. Drittes Buch, S. 6. »Die Soldaten stehen 6 Schuh in den Gliedern und 3 Schuh in den reyhen von einander.«

Nach den Bildern unterliegt es keinem Zweifel, daß der Abstand ohne den Mann gemeint ist, denn auch nach Ausführung des Kommandos »Doppelt Eure Glieder« stehen die Soldaten noch recht locker.

MONTECUCCOLI (Werke II, 224) will bei geschlossenen Reihen dem Fußgeher drei Schritt in der Front, drei in der Tiefe geben; unmittelbar darauf ist dann gesagt, daß bei »geschlossenen Reihen« die Soldaten so eng wie möglich stehen sollen.

Wer diese Zeugnisse, deren Reihe leicht noch vermehrt werden könnte, hintereinander liest, wird zunächst erstaunt sein, daß über eine so einfache Sache, die auf jedem Exerzierplatz festzustellen war, die Schriftsteller, die doch sämtlich als Sachkenner gelten dürfen, so verschiedene Behauptungen aufstellen können. Daß etwa in den verschiedenen Zeiten und Länderen oder Exerzierschulen verschiedene Maße gelehrt worden seien, ist bis auf einen gewissen Grad möglich und anzunehmen, aber die Natur der Dinge legt für solche Abweichungen doch wohl engere Schranken, als sie hier erschienen sind. Woher also solche Differenzen? Die Frage ist wichtiger als die Sache selbst, immerhin muß die Frage untersucht werden, sowohl um der Landsknechte selbst willen, als auch wegen der analogen Frage im Kriegswesen des Altertums. Hier hat man auf Grund einer etwas inkorrekt gefaßten Stelle bei Polybius an eine falsche Vorstellung von Rotten- und Glieder-Abstand phantastisch genug ein ganzes System der antiken Taktik angeknüpft, und es fragt sich, was etwa[195] aus der Landsknecht-Zeit sich dafür ergibt. Es handelt sich um die Ähnlichkeit der Schweizer- und Landsknechthaufen mit der spätmazedonischen Phalanx, die sich ja ganz derselben Waffe, des Langspießes, bedienten.

Zunächst ist festzustellen, daß in zweien von den angeführten Zeugnissen offenbar Fehler stecken. Wenn Tavannes die Abstände auf drei und sieben »Schritt« (»pas«) angibt, so kann wohl kein Zweifel sein, daß nicht Schritt, sondern Fuß gemeint sind, und wenn bei Montecuccoli gesagt ist, erst daß der Soldat bei geschlossenen Reihen drei Schritt in der Front und drei in der Tiefe gebraucht, gleich danach aber, daß bei geschlossenen Reihen die Soldaten so eng wie möglich stehen sollen, so ist klar, daß in dem ersten Satz »geschlossenen« verschrieben ist für »geöffneten«. Das wird bestätigt S. 226, wo eine Front von 83 Mann auf 1241/2 Schritt berechnet wird. Ebenso S. 350 u. 579, 586, wo auf den Infanteristen 11/2 Schritt gerechnet werden.

Weiter bemerken wir, daß die Autoren öfter recht unklar sind und sich auch manchmal selbst widersprechen; statt bestimmter Zahlen werden auch bloße Beschreibungen gegeben. Es kommt hinzu, daß der »Schritt«, der öfter als Maß genommen wird, ein recht unbestimmter Begriff und auch der »Fuß« oder »Schuh« keineswegs einheitlich anzunehmen ist. Als die eigentliche Normal-Stellung in der Schlachtordnung erscheint drei Fuß im Gliede, aber auch engere und viel engere Aufstellungen, bis zu einer Elle, ja sogar ein Fuß auf den Mann, werden erwähnt, und es wird auch verlangt, daß man mitten im Gefecht die Dichtigkeit ändere, im besonderen sich gegen Reiterei so eng wie möglich zusammenschließe. Das feste Schema der antiken Schriftsteller – 6 Fuß, 3 Fuß, 11/2 Fuß – finden wir nicht wieder; selbst wenn Wilhelm Ludwig unter Berufung auf Aelian direkt darauf hinweist, so wiederholt er es doch nicht eigentlich. Das ist um so bemerkenswerter, als man sagen könnte, es ergibt sich von selbst aus einer Exerzierübung, die schon Wilhelm Ludwig erwähnt und die das ganze 17. Jahrhundert hindurch bei den Exerzier-Anweisungen eine große Rolle spielt, das ist das Eindoublieren, wie wir es oben in dem Zitat aus dem Züricher Lavater miterwähnt haben. Noch in dem Exerzier-Reglement Friedrichs III. von Brandenburg a.d. Jahre 1689233 unmittelbar vor der Abschaffung der Pikeniere, sind die Vorschriften über Duplieren und Triplieren der Glieder und Rotten ausführlich behandelt. Distanzen sind direkt nicht angegeben, aber wenn man die so häufig angegebene Elementar-Distanz von 6 Fuß zugrunde legt, so kommt man mit Duplieren und Triplieren ganz wie die Griechen auf 3 Fuß und 11/2 Fuß.

Wenn wir trotzdem bei den Pikenierhaufen der Neuzeit das feste griechische Schema nicht so wiederfinden, so liegt das gewiß nicht daran, daß im 16. und 17. Jahrhundert weniger exakt exerziert wurde, als bei den Griechen.[196]

Die Analogie zwischen der Spätmazedonischen Phalanx und unserem Gevierthaufen ist zwar vorhanden, erleidet aber ihre Einschränkungen. Die Carisse und der Langspieß sind zwar so gut wie dasselbe, aber die Taktik ist eine verschiedene. Ich erinnere daran, daß ich die mazedonische Phalanx, wie sie uns Polybius beschreibt, keineswegs für identisch halte mit derjenigen Alexanders des Großen. Die ganze lange Carisse und die ganz enge Aufstellung sind erst der Abschluß einer längeren Entwicklung in dieser Richtung. Diese spätmazedonische Phalanx bewegte sich in ihrer breiten Front und engen Geschlossenheit mit großer Langsamkeit; ihr Prinzip war, den Gegner mit ihrer spießstarrenden Masse niederzudrücken. Alexanders Phalangen waren noch viel beweglicher gewesen. Noch beweglicher aber waren die Gewalthaufen der Schweizer und Landsknechte. Die ältere Schweizer Taktik ist geradezu basiert auf den plötzlichen Ansturm, womöglich Überfall, und während die spätmazedonische Phalanx eigentlich nur auf der flachen Ebene normal funktionieren kann, scheuen die Gewalthaufen besonders bei ihren Umgehungen kaum irgendwelche Geländehindernisse. Ihre gewöhnliche Aufstellung darf also nicht gar zu eng sein; unter gewissen Umständen aber, besonders wenn sie gegen eine Ritter- oder Reiterattacke standzuhalten haben, drängen sie sich so eng wie möglich zusammen.

Dies Zusammendrängen vollzog sich im Ernstfall von hinten nach vorn sehr einfach und natürlich, indem die hinteren Glieder aufschlossen; von rechts nach links ist es nicht so einfach: es findet zwar häufig und ganz von selbst ein gewisses Zusammendrängen nach der Mitte statt, wie es von den Römern bei Cannä berichtet wird und Machiavelli allgemein bezeugt, aber in dem Moment, wo eine feindliche Attacke naht, sich in dieser Weise zusammenziehen zu wollen, könnte leicht die ganze Ordnung umwerfen. Die Verdichtung der Front wird sich daher in der Art vollzogen haben, daß, indem die Glieder von hinten aufschlossen, zugleich allenthalben, wo sich zwischen zwei Knechten in einem Gliede ein Spalt öffnete, von hinten ein Mann eintrat. Auf dem Exerzierplatz übte man dies von hinten Eintreten in das lockere Vorderglied später systematisch. Es ist das schon erwähnte Doublieren.

Auch bei den antiken Schriftstellern, Vegez, Aelian, finden wir diese Übung erwähnt und mit griechischer Logik zu dem Schema des Sechs-Fuß- Abstandes, Drei-Fuß-Abstandes und Anderthalb- Fuß-Abstandes ausgebaut. In der Praxis des Ernstfalles kann es unmöglich so korrekt ausgeführt worden sein. Die Mannschaften halten beim Vormarsch die Abstände nicht so genau inne. Die neueren Schriftsteller, die wir durchgemustert haben, hatten alle Fühlung mit der Praxis und entnahmen, soweit sie nicht einfach die Daten der antiken Schriftsteller wiederholten, der Praxis unmittelbar ihre Angaben. Sie sind weniger Philosophen als die Griechen. Sie geben nicht ein logisches Schema, sondern sie schätzen ab, was sie selbst erlebt und gesehen haben, und dabei schätzen sie dann[197] ziemlich verschieden – oder lassen sich durch Neigung zum Theoretisieren beeinflussen. Wie sehr Praktiker in solchen Schätzungen auseinandergehen können, habe ich jüngst selbst erlebt, als ich drei Kavallerie-Wachtmeister darüber befragen ließ, wieviel Raum heute (1909) ein Pferd in der Front einnähme. Die Angaben lauteten: »einen Schritt«, »einen guten Schritt«, »anderthalb Schritt«, also, wenn man bedenkt, daß sie von drei ganz gleichmäßig ausgebildeten und gleich erfahrenen Männern herrührten, recht wesentlich differierend.

Daran mag ich gleich anschließen, daß der auch oben schon herangezogene französische Militärschriftsteller BILLON, Oberleutnant des Monsieur de Chappes, annimmt (S. 259) daß bei 10 Gliedern die Spieße des letzten Gliedes noch gerade hervorragen. Montecuccoli aber (II, 579) will, daß die Pikeniere nicht tiefer als 6 Glieder stehen, da die Pike nicht über das fünfte Glied hinausreichte.

Überblicken wir nach allen diesen Erwägungen unsere Zeugnisse im ganzen, so werden wir zu dem Ergebnis kommen, daß die Pikeniere grundsätzlich ziemlich locker, mit drei Fuß Frontraum auf den Mann anrückten, im Kampf aber sehr häufig zu einer viel gedrängteren Stellung übergingen. Im besonderen geschah das defensiv, um Reiterangriffe abzuwehren. Aber auch im Kampf der Gevierthaufen gegeneinander, wenn der vorwärtsstürmende Haufe auf einen Gegner stieß, standhielt und nun Alles nach vorwärts drängte bis in das erste Glied hinein; so ging der lockere Drei-Fuß-Abstand, wie uns nicht bloß einige der oben angezogenen theoretischen Schriften, sondern auch der Verlauf vieler Schlachten dartun, verloren und man suchte, in eng gedrängter Masse, ähnlich der mazedonischen Phalanx, den Gegner niederzuwuchten. Solche Bilder zeigen uns Cerignola (1503), Baila (1509), Ravenna (1512), Novara (1513), wo die Schweizer, während sie die Landsknechte angreifen, in der Flanke durch die französischen Gendarmen bedroht werden und sich schon um dieser willen eng zusammenschließen müssen, La Motta (1513) und noch Bicocca (1522), Pavia (1525), wo der Haufe der niederdeutschen Knechte, der »Schwarzen«, von den beiden Haufen von Embs und Frundsberg »wie mit Zangen gepackt« wurde, und endlich noch Ceresole (1544). Schloß der Haufe sich erst im letzten Augenblick ganz eng zusammen, vielleicht auch nicht einmal allenthalben gleichmäßig, so lockerte er sich auch leicht wieder durch das Gefecht selbst und namentlich, wenn der Gegner nachgab und man allmählich in die Verfolgung überging. Man darf da nicht schematisieren und in der Festsetzung bestimmter Maße zu weit gehen, wozu das theoretische Bedürfnis so leicht verleitet. Ein gewaltiges Zusammendrängen aber, zum wenigsten in bestimmten Momenten, ist sicher bezeugt, wenn durch nichts anderes, so durch jene Legende von Ravenna, daß die gelenken Spanier auf die Köpfe der Landsknechte gesprungen seien und sie von oben bekämpft hätten. Damit eine solche Legende sich bilden konnte, muß in den Erzählern und Hörern die Vorstellung einer aufs engste zusammengedrängten Masse bestanden haben.[198]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 191-199.
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