Die weitere Entwickelung der schrägen Schlachtordnung.

[421] Die schräge Schlachtordnung kann aufgefaßt werden als eine Unterart der Flügelschlacht, nämlich die Flügelschlacht mit, der Elementar-Taktik der Epoche entsprechender, einheitlicher, zusammenhängender Schlachtfront. Nur ein einziges Mal ist sie geglückt, oder, wie man vielleicht besser sagt, hat sie genügt, bei Leuthen. Nach Leuthen hat Friedrich nur noch drei große, rangierte Schlachten geschlagen, zwei gegen die Russen, Zorndorf 1758, Kunersdorf 1759 und eine einzige gegen die Österreicher, Torgau 1760. Die Entwickelung seit Leuthen ist nun die, daß der König an der feindlichen Front entlang nicht nur so weit marschiert, daß er den einen Flügel überragt, sondern daß er sogar ganz um ihn herummarschierte, so daß er den Feind im Rücken angreifen würde, wenn nicht dieser dieselbe Drehung machte. Da er sie aber machte, so wurde der Zweck des Manövers nicht erreicht und es kam im wesentlichen auf eine Frontalschlacht heraus. Bei Zorndorf haben sich die Heere auf diese Weise sogar zweimal um einander gedreht.

Bei Kunersdorf wurde der russische Flügel – man zweifelt fast, ob man ihn als den rechten oder als den linken bezeichnen soll – vollständig umfaßt, aber da der König noch an dem Grundsatz festhielt, daß die Front zusammenhängen müsse, so blieb ein großer Teil des russischen Heeres unangegriffen und aus diesen Truppen konnte der angegriffene Teil immer wieder so gestützt werden, daß die Angriffskraft der Preußen endlich erlahmte.

Bei Torgau hat Friedrich eine ganz neue Methode angewandt, die man doch auch wieder als Fortentwickelung der Flügelschlacht bezeichnen kann. Er gab die Einheitlichkeit der Front auf, teilte sein Heer in zwei Teile und führte den umfassenden Teil im Halbkreis um den rechten, nördlichen Flügel der Österreicher herum, so daß er sie von vorn und hinten zugleich angriff. Die Schwierigkeit bei diesem Verfahren war, daß sich auf keine Weise[421] die Gleichzeitigkeit der beiden Angriffe verbürgen ließ. Weder konnte man eine feste Stunde verabreden, da die Dauer des Umgehungsmarsches nicht sicher zu berechnen war, noch konnte man sich auf Signale verlassen, die vom Wind und Wetter beeinflußt werden. Die äußere Kolonne des Königs hatte nicht weniger als vier Meilen zu marschieren und der Weg ging durch Wälder. Mag nun der König zu früh oder Zieten zu spät angegriffen haben, ihr Vorgehen traf sich nicht454. Dennoch wurde die Schlacht gewonnen, da ein erheblicher Teil der Österreicher, unter Lasch, unsicher, wo Zieten angreifen würde, auf dem linken Flügel stehen blieb und den rechten Flügel allein ließ. Schon schwer erschüttert durch die Kämpfe mit dem Korps des Königs, konnten die Österreicher nun dem von der andern Seite erfolgenden Angriff Zietens nicht mehr widerstehen.

In ganz ähnlicher Weise hatte schon zwei Jahre vorher (23. Juni 1758) Ferdinand von Braunschweig bei Crefeld die Franzosen in drei weit von einander getrennten Korps angegriffen, von dem eines dem Gegner in den Rücken kam. Trotz großer numerischer Überlegenheit hatte der französische Feldherr Prinz Clermont nicht die Entschlossenheit, seinerseits zum Angriff auf das eine oder das andere der isolierten gegnerischen Korps zu schreiten, sondern befahl, ohne daß das Gros zum wirklichen Fechten gekommen wäre, den Rückzug455.

Napoleon hat die Teilung der angreifenden Heere bei Crefeld wie bei Torgau sehr scharf kritisiert; das sei gegen alle Regeln der Kriegskunst. Die isolierten Korps hätten geschlagen werden können. Torgau sei die einzige Schlacht Friedrichs, in der dieser kein Talent gezeigt habe.

Wir haben dieses Urteil, wie man sieht, geradezu umgekehrt und erkennen in der Teilung des Angriffs den schöpferischen Geist, der der überlieferten, nicht mehr ergiebigen Form eine letzte, höchste Steigerung abzugewinnen weiß. Napoleons Kritik verkennt den Unterschied[422] in der Taktik der Epochen. Gewiß war es nicht unmöglich, daß Daun bei Torgau Zieten angreifen ließ, während noch der König auf seinem Umgehungsmarsch begriffen war. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß Daun diesen Entschluß so schnell fassen und ausführen werde, war nicht so groß, daß Friedrich es darauf hin nicht hätte wagen dürfen.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 421-423.
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