Nachtrag.

Über den Gegensatz der Ermattungs- und Niederwerfungsstrategie.

[514] Indem ich die Korrektur des Vorstehenden lese, geht mir der Aufsatz »Friedrich der Große nach dem Siebenjährigen Kriege und das Politische Testament« von 1768 von OTTO HINTZE (Forschungen zur Brandenbr.-Pr. Geschichte, Band 32) zu, der mir zeigt, daß trotz Heft 27 der Einzelschriften des Generalstabes die Zeit des Mißverständnisses in der Frage der friderizianischen Strategie immer noch nicht abgeschlossen ist. Ich will den Passus des Hintzeschen Aufsatzes wörtlich hierher setzen, um mit möglichster Deutlichkeit und Vollständigkeit noch einmal die Punkte aufzuzeigen, wo die Abirrung einsetzt oder zutage tritt. Das »Politische Testament« selbst wird in Bälde als Ergänzungsschrift zur »Politischen Korrespondenz« des Königs veröffentlicht werden; Herr Prof. Hintze hatte die Freundlichkeit, mir die Korrekturbogen zur Verfügung zu stellen, so daß ich den Wortlaut der betr. Stelle hier einfügen kann. Hintzes eigene Darlegung lautet:

»Der König hat nur einen Verteidigungskrieg gegen Österreich und seine etwaigen Bundesgenosen im Auge; aber er ist der Meinung, daß man diesen Krieg nicht in strategischer Defensive beginnen, sondern gleich eine wirksame Offensive ins Werk setzen muß, deren Ziel die feindliche[514] Hauptstadt ist. Es ist seine alte strategische Normalidee, die schon A. Raudé ganz richtig an den Verhandlungen über den Feldzugsplan von 1757 erläutert hatte: man muß mit dem Hauptheer in Mähren eindringen und gleich der March entlang Streifpartien bis in die Nähe von Wien senden. Das ist der empfindlichste Punkt für die Österreicher; durch Bedrohung von Wien können sie am ersten zum Frieden gezwungen werden. Natürlich muß zugleich auch in Böhmen vorgegangen werden; alles Weitere muß von den Umständen abhängig gemacht werden. Diese Idee hatte ja der König schon 1757 gehabt; er hatte sie dann unter dem Einfluß der Ratschläge von Schwerin und Winterfeld durch den konzentrischen Einmarsch in Böhmen mit dem Ziel einer Entscheidungsschlacht bei Prag ersetzt. 1758 war er dann doch wieder darauf zurückgekommen; aber der hartnäckige Widerstand von Olmütz und die Wegnahme eines großen Transports durch die Österreicher hatten damals den Plan vereitelt. Die Idee saß aber fest im Kopfe des Königs und hier tritt sie wieder hervor, als strategischer Normalplan, der dem Nachfolger empfohlen wird. Friedrich selbst hat im bayerischen Erbfolgekrieg 1778 danach zu handeln versucht; aber die Schwierigkeiten, die der in Böhmen kommandierende Prinz Heinrich machte, der das Hauptheer zur Deckung seiner Flanke in der Nähe zu haben wünscht, haben auch damals die Ausführung verhindert.«

»Auch Rußland gegenüber gedachte Friedrich unter Umständen nicht in der strategischen Defensive zu bleiben, wobei aber wohl eine Unterstützung nicht nur durch Österreich, sondern auch durch England vorausgesetzt wird. Er denkt dabei an einen Marsch auf Petersburg, an der Küste des baltischen Meeres entlang; die Verpflegung der vorrückenden Armee soll dabei durch eine an der Küste den Vormarsch begleitende Flotte sicher gestellt werden. Woher diese Flotte kommen soll, ist nicht angedeutet; es ist wohl an die Unterstützung durch eine verbündete Seemacht zu denken; denn in dem Politischen Testament von 1768 hat sich Friedrich noch entschiedener als 1752 gegen die Begründung einer preußischen Kriegsflotte ausgesprochen.«

»Man sieht, die Kühnheit und Großzügigkeit der strategischen Entwürfe hat sich nach dem Kriege nicht vermindert, sondern eher noch erhöht. In dem Kapitel über die Fundamentalprinzipien des Krieges gibt der König den großen Entwürfen der Niederwerfungsstrategie durchaus den Vorzug vor den kleinen Plänen der Ermattungsstrategie. Die Art, wie er hier die Generalidee des Feldzuges von 1757 auseinandersetzt, zeigt einen großen, fast modern anmutenden Zug und ist bei dem Streit um die strategischen Grundsätze des Königs nicht immer genügend berücksichtigt worden. Man kann hier nicht die gewöhnliche kritische Methode anwenden, wonach spätere memoirenartig zurückblickende Ausführungen weniger Gewicht haben als die gleichzeitigen, das Handeln selbst begleitenden Zeugnisse, die in den einzelnen Weisungen, in oft nur bruchstückartig erhaltenen Verhandlungen u. dergl. vorhanden sind. Diese einzelnen Weisungen und Befehle erhalten ihren richtigen Zusammenhang und Hintergrund erst durch diese später verlautbarten[515] Generalideen. Die Ausführung bleibt meisthin ter dem Entwurf zurück. Es kommt hier darauf an, ob die Zeit und der Mann überhaupt einer Konzeption im Stil der Niederwerfungsstrategie fähig war, und das muß man bei Friedrich durchaus bejahen. Allerdings waren seine Kriegsmittel und die allgemeinen Umstände, die die Kriegsführung bedingen, wie z.B. Anbau der Länder, Zustand der Straßen, Verpflegungsmöglichkeiten, damals zu beschaffen, daß sie der Ausführung solcher Entwürfe größere Schwierigkeiten entgegengesetzten als zurzeit Napoleons oder Moltkes. Das hat Friedrich zur Genüge erfahren, und darum hat seine Kriegführung das Schwankende behalten, das sie auf der anderen Seite doch wieder der alten methodischen Manövrierstrategie nähert. Die Magazinverpflegung vor allem bleibt ihm die Grundlage aller Operationen, und er sieht auch voraus, daß man den Österreichern gegenüber in Zukunft sich auf einen bloßen Stellungskrieg (guerre de postes) gefaßt machen müsse. Der Feldzug von 1778 hat diese Voraussage bestätigt«.

Daß die Kühnheit und Großzügigkeit der strategischen Entwürfe des Königs nach dem Siebenjährigen Kriege nicht vermindert erscheint, wird man unterscheiden dürfen; daß sie eher noch erhöht sei, soll wohl in der Idee eines Marsches auf Petersburg begründet sein, und das scheint ja in der Tat über Alles hinauszugehn, was der König früher je ins Auge gefaßt hat. Selbst Wien hat Friedrich ja nie ernstlich bedroht, Petersburg ist aber noch ein ganz anderes Stück. Die Erklärung ist zu finden in den »Betrachtungen über das militärische Talent Karls XII«. Hier legt Friedrich ausführlich dar, wie der Schwedenkönig dadurch gefehlt habe, daß er, statt auf Petersburg auf Smolensk, Richtung Moskau, vorgegangen sei. Damit habe er seine Verbindungen und die Möglichkeit, sein Heer zu verpflegen und auszurüsten, wie wir heute sagen, seine Basis aufgegeben. Indem Friedrich für sich selbst einen Krieg gegen Rußland im Bunde mit Österreich und einer Seemacht voraussetzte, bewegte er sich also nur in älteren Gedankenzügen, als er einen Marsch auf Petersburg ins Auge faßte. Indem ihn die Flotte auf diesem Marsch begleitete, nahm er seine Basis so zu sagen, mit sich. Einen anderen Weg, die Russen zu besiegen oder zum Frieden zu nötigen, gab es nicht. Wenn die Phantasie einmal einen Krieg einer großen Koalition gegen Rußland zu gestalten unternahm, so mußte ein Friedrich auf Grund seiner strategischen Anschauungen den Marsch in das innere Rußland verwerfen; es blieb also nur das Ziel Petersburg und dies nur unter der Voraussetzung der begleitenden Flotte.

Der Fehler der Hintzeschen Untersuchung liegt in dem Satz »der König gibt den großen Entwürfen der Niederwerfungsstrategie durchaus den Vorzug vor den kleinen Plänen die Ermattungsstrategie«. Diese Zusammenstellung zeigt, daß die beiden Begriffe »Niederwerfungsstrategie« und »Ermattungsstrategie« von dem Verfasser nicht richtig aufgefaßt werden. Daß Friedrich großen Entwürfen den Vorzug vor Italien gab, ist bekannt und er hat[516] sein ganzes Leben daran festgehalten. In der Ausführung sagte er sich, schrumpften die Pläne ohnehin zusammen, und wenn einmal ein wirklich großer Plan gelinge, so habe man gewonnen. Sind aber große Entwürfe deshalb schon Niederwerfungsstrategie? Gibt es nicht auch in der Ermattungsstrategie große Entwürfe? Wenn große Entwürfe den Niederwerfungsstrategen macht, so waren auch Gustav Adolf, Marlborough, Eugen Niederwerfungsstrategen; Gustav Adolfs Vormarsch bis nach München, Marlboroughs Marsch von den Niederlanden zur Donau 1704 (Schlacht bei Höchstädt), Eugens Marsch von der Etsch südlich des Po bis Turin (1706) sind so groß angelegt wie irgend etwas, was Friedrich je unternommmen hat. Ist also der große Zug das Entscheidende, dann ist der Unterschied zwischen dieser und jener Methode der Strategie nichts als ein Unterschied zwischen bedeutenden und unbedeutenden Feldherren. Nur derjenige Forscher aber hat den Unterschied richtig aufgefaßt, der erkannt hat, daß die Aufgabe der Ermattungsstrategen nicht weniger bedeutend und durch ihre Doppelseitigkeit subjektiv oft noch schwieriger ist, als die der Niederwerfungsstrategen. In der größeren oder kleineren Anlage der Operationen also liegt der Unterschied nicht.

Wir müssen den sachlichen Inhalt der von Hintze herangezogenen »großen Entwürfe« Friedrichs prüfen, um zu sehen, ob sie in die Kategorie der Niederwerfungsstrategie gehören. Er sagt uns, der König habe in dem Testament empfohlen, eine »Offensive ins Werk zu setzen, deren Ziel die feindliche Hauptstadt sei.« Das klingt nach Niederwerfung. Gleich in dem folgenden Satz aber wird nur von »Streifpartien bis in die Nähe von Wien« gesprochen. Es ist klar, daß da von »Niederwerfung« nicht mehr die Rede sein kann. Ganz abgesehen davon, daß Wien südlich der Donau liegt, daß nicht einmal die Armee, sondern nur Streifpartien bis in die Nähe von Wien kommen sollten, daß also eine wirkliche Bedrohung der Hauptstadt gar nicht einmal in Frage kommt, so ist in Betracht zu ziehen, daß in eben diesem selben »Politischen Testament« jene oben (S. 360f.) ausführlich wiedergegebenen Betrachtungen niedergelegt sind, in denen der König dringend von Schlachten, nicht nur auf bergigem Gelände, sondern auch in der Ebene abrät. Der König will also suchen bis in die Nähe von Wien vorzurücken, aber nicht schlagen522. Wenn so ein Niederwerfungsfeldzug aussieht, so verstehen wir offenbar unter »Niederwerfung« etwas ganz Verschiedenes. Wenn der Begriff einer »Niederwerfung«, den ich habe, angewendet wird, so hätte Friedrich schreiben müssen: Wir begnügen uns nicht damit, Wien zu bedrohen, sondern gehen über die Donau und erobern es;[517] das österreichische Heer, das die Hauptstadt zu decken sucht, wird angegriffen und geschlagen.

Daß der Friderizianische Plan, Österreich durch eine Operation auf Wien durch Mähren zu bezwingen, in die Kategorie der richtig verstandenen Ermattungsstrategie gehört, wird indirekt auch dargetan dadurch, daß Hintze, nach dem Vorgang von Naudé und Koser, diesen Plan als Friedrichs »strategische Normalidee« bezeichnet. Der Ausdruck ist anfechtbar. Aber wenn man ihn annimmt, so ist klar, daß die »strategische Normalidee« nur auf dem Boden der Ermattungsstrategie erwachsen sein kann. Das Objekt, welches die Niederwerfungsstrategie ins Auge faßt, ist immer die feindliche Armee; diese muß aufgesucht und geschlagen werden. Wer den Plan für eine Niederwerfungsstrategie entwirft, fragt also: wo steht vermutlich das feindliche Heer? Bei Friedrich aber ist die Frage eine geographische: welche von den beiden in Betracht kommenden Provinzen bietet die besseren und vorteilhafteren Gelegenheiten zum Eindringen und zum Kriegführen? Friedrichs »Normalidee« besteht darin, daß er sich klargemacht hat, daß eine Invasion in Mähren gewisse Vorzüge hat vor einer Invasion in Böhmen. Für eine so simple Erwägung den so bedeutsamen Namen »Normalidee« zu prägen, klingt nach mehr als dahinter ist. Friedrich ist ja auch nach Lage der Umstände viel häufiger in Böhmen eingebrochen, als in Mähren523.

Sehen wir uns nun vollends den Wortlaut jenes Passus im »Politischen Testamente« an, den Hintze seiner Betrachtung zu Grunde legt. Er lautet (S. 244):

»Aussi souvent que nous aurons des raisons de tirer l'epée, les uns vis à vis des autres, il faut toujours commencer par envahir la Saxe et porter de là un corps en Bohême le long d'Elbe. Il faut une plus grande armée en Silésie qui, tenant des détachements à Landshut et dans le comité de Glatz, pénètre en Moravie du côte de Hultschin. Si nous avons des alliés, qui agissent de concert, nous pouvons les rejeter, la seconde campagne, au déjà du Danube. Il faudrait, que les Turcs agissent en même temps en Hongrie ou q'un détachement de 30000 Russes pénètrât sur la Danube entre Pressburg et Bude. Ce serait le moyen de s'emparer de la Bohême, pour la troquer ensuite contre un électorat plus voisin de nos frontières.«[518]

Der König also, obgleich er ein Bündnis sowohl mit den Russen wie mit den Türken voraussetzt, gedenkt wohl bis an die Donau zu kommen – aber erst im zweiten Feldzug. Das soll Niederwerfungsstrategie sein? Da hat uns Moltke im Juli 1866 etwas anderes gelehrt. Er führte nicht einen Teil der Armee nach Böhmen und den anderen nach Mähren, sondern er suchte sobald wie möglich alle Teile zu einer Hauptschlacht zu vereinigen, und er führte nicht im ersten Jahr die Preußen bis an die Donau, um dann in die Winterquartiere zu gehen und den Krieg im nächsten Jahre fortzusetzen, sondern er setzte alles daran, um den Krieg in einem Zuge so lange fortzusetzen, bis der Gegner unsere Friedensbedingungen annehme. So sieht Niederwerfungsstrategie aus.

Richtiger als Hintze scheint mir Jähns geurteilt zu haben, der von diesem Plan, den der König 1775 und 1778 nahezu identisch entwickelt hat, sagt (Gesch. d. Kriegsv. III, 2015), diese Pläne liefen eigentlich auf bloße Demonstrationen hinaus.

Erstaunlich genug, daß Friedrich geglaubt hat, mit solcher Kriegführung dem Hause Habsburg Böhmen abpressen zu können, um es dann gegen Sachsen einzutauschen. Nicht weniger erstaunlich aber, daß Hintze die Vorstellung festhält, einen Krieg, bei dem Preußen die Türken und Russen an seiner Seite hatte, und der ihm schließlich Sachsen einbringen sollte, sei von Friedrich politische als – Verteidigungskrieg gedacht.

Es ist ja kein direkter Widerspruch, immerhin zieht es die Physiognomie des Königs nach entgegengesetzten Seiten auseinander, daß er zugleich der harmlose Politiker sein soll, der nur Verteidigungskriege führt, und der phantastische Strateg, der mit seinen beschränkten Mitteln sich vermißt, die gewaltigsten Gegner niederzuwerfen.

Im Einzelnen glaube ich noch folgendes in der Hintzeschen Darstellung als irrig bezeichnen zu müssen.

Friedrich hat 1757 nicht ursprünglich die Idee einer Invasion in Mähren gehabt und hat sich von Winterfeld und Schwerin bereden lassen, davon abzugehen, sondern er hat sich ursprünglich in Sachsen zur Defensive aufstellen wollen und erst wenn er in dieser Defensive durch einen taktischen Offensivstoß die Österreicher geschlagen hatte, erst dann wollte er, ganz im Einverständnis mit den beiden Generalen, bis nach Mähren gehen.

Friedrich ist auch keineswegs 1757 in Böhmen »mit dem Ziel einer Entscheidungsschlacht bei Prag« einmarschiert. Friedrich selber stellt es in dem Testament von 1768 allerdings so dar und ich gebe gern zu, daß man solche rückblickenden, memoirenartigen Ausführungen neben dem gleichzeitigen, das Handeln selbst begleitenden Zeugnissen nicht vernachlässigen darf. Im vorliegenden Falle aber ist diese memoirenartige Aufzeichnung keine Ergänzung, sondern steht in vollem Widerspruch mit den urkundlichen Zeugnissen und stimmt auch nicht ganz überein mit den eigentlichen, fünf Jahre früher aufgezeichneten, dieser Zeit gewidmeten Memoiren, der Geschichte des Siebenjährigen[519] Krieges. Ein vollwichtiges Zeugnis ist die Aussage von 1768 also ganz gewiß nicht.

Auch die Wendung, daß die Wegnahme des großen Transports im Jahre 1758 den Plan des Königs vereitelt habe, muß ich anfechten. Gleichzeitig mit der Wegnahme jenes Transports war es Daun schon gelungen, Olmütz auf der Ostseite zu entsetzen und damit war der Plan des Königs zum Scheitern gebracht, auch wenn der Transport glücklich durchgekommen wäre.

Endlich, was den Feldzug von 1778 betrifft, so ist es doch nicht bloß der persönliche Widerspruch des Prinzen Heinrich, sondern auch die Natur der Dinge, die den Abmarsch der Armee des Königs nach Mähren verhinderte, während die andere Hälfte in Böhmen stand.

Hintze schreibt weiter: »Es kommt darauf an, ob die Zeit und der Mann überhaupt einer Konzeption im Stil der Niederwerfungsstrategie fähig war, und das muß man bei Friedrich durchaus bejahen«. Natürlich muß man das in dem Sinne, wie Hintze es versteht. Aber das muß man bei Kaiser Franz, bei dem russischen Ministerrat, bei dem Feldmarschall Daun, bei dem General Soubise auch, wie wir oben zur Genüge gesehen haben. Die »Konzeption«, wie Soubise die Preußen bei Roßbach umfassen, wie Daun sie bei Liegnitz völlig einkreisen und vernichten wollte, ist so schön, wie Friedrich je irgend etwas geleistet hat. Wenn aber Hintze sich weigern wird, deshalb Daun und Soubise zu Niederwerfungsstrategen zu stempeln, so bekennt er damit, daß er den Begriff auch auf Friedrich zu Unrecht angewandt hat.

Noch mehr bekennt er das, indem er fortfährt: »Allerdings waren seine Kriegsmittel und die allgemeinen Umstände, die die Kriegführung bedingen, wie z.B. der Anbau der Länder, Zustand der Straßen, Verpflegungsmöglichkeiten, damals so beschaffen, daß sie der Ausführung solcher Entwürfe größere Schwierigkeiten entgegensetzten als zur Zeit Napoleons und Moltkes. Das hat Friedrich zur Genüge erfahren, und darum hat seine Kriegführung das Schwankende behalten, das sie auf der anderen Seite doch wieder der alten methodischen Manöverstrategie nähert.«

Wenn man den Anhauch von Tadel, der in dem Ausdruck »das Schwankende« liegt, überhört, so könne man sagen, daß mit diesem Satz Hintze Friedrich vollkommen, richtig und vollkommen mit mir übereinstimmend, in die Kategorie der doppelpoligen oder Ermattungsstrategie einreiht. Weshalb nennt er ihn dann vorher einen Niederwerfungsstrategen? Man darf einem Gelehrten wie Hintze nicht zutrauen, daß er sich selbst so direkt widerspricht. Die Erklärung liegt eben einfach darin, daß er die Worte »Ermattungsstrategie« und »Niederwerfungsstrategie« in ganz anderem Sinne gebraucht, als ich diese Terminologie einst gebildet habe und sie anwende. Da muß sich denn freilich Mißverständnis über Mißverständnis ergeben. Es ist genau wie mit Koser, der auch meine Terminologie anwandte, ohne sich selbst und die Leser darüber aufzuklären, daß er mit[520] diesen Worten einen anderen Sinn verbinde, als ich. Wer unter »Ermattungsstrategie« einen schwung- und kraftlose Kriegführung versteht und unter »Niederwerfungsstrategie« eine geniale und kühne, der wird freilich aus der Verwunderung, daß ich Friedrich zu den Ermattungsstrategen rechne, nicht so leicht herauskommen.

Im besonderen ist an den letzten Hintzeschen Sätzen noch auszusetzen, daß die Gründe, weshalb Friedrich nicht Niederwerfungsstrateg sein konnte, doch nur sehr unvollkommen angegeben sind und gerade die Hauptsachen fehlen. So groß war der Fortschritt im »Anbau der Länder, Zustand der Straßen, Verpflegungsmöglichkeiten« in den achtzehn Jahren zwischen dem letzten Feldzug Friedrichs und dem ersten Napoleons nicht gewesen, um eine ganz andere Strategie zu ermöglichen. Hintze sagt ja auch bloß »größere Schwierigkeiten [für Friedrich] als zur Zeit Napoleons.« Wenn es sich nur um »größere Schwierigkeiten« handelte, so würde man sagen müssen: »Schwierigkeiten« sind dazu da, damit sie überwunden werden, und man könnte aus Hintzes Ausdruck wieder einen Tadel für Friedrich herauslesen. Tatsächlich handelt es sich aber keineswegs um »Schwierigkeiten«, sondern um Unmöglichkeiten. Diese Unmöglichkeiten sich klarzumachen, darauf kommt es an, um Friedrich richtig zu würdigen, und indem Hintze das nicht getan hat, haben wir wieder das Ergebnis, daß, indem er ihn durch die Charakteristik als Niederwerfungsstrategen besonders zu glorifizieren wünscht, er ihn durch die Einschränkungen, die er notgedrungen hinzufügen muß, so klein macht, daß man an ihm irre wird. Mir fällt wieder die Parodie ein, in der ich nachwies, daß Friedrich »ein strategischer Stümper« werde, wenn man ihn als Niederwerfungsstrategen ansehen wolle. Friedrich selber hat sich eigentlich schon gegen dieses Verfahren verwahrt, indem er über Voltaire spottet, er habe seinen militärischen Kursus nur bei Homer und Virgil durchgemacht; Voltaire aber rühmte Karl XII., der (nach dem Prinzip der Niederwerfungsstrategie) die fliehenden Russen unablässig verfolgte und von Schlacht zu Schlacht eilte.[521]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1920, Teil 4, S. 514-522.
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