Viertes Kapitel

306-302
Das Jahr der Könige – Antigonos' Stellung – Rüstungen gegen Ägypten – Zug des Heeres und der Flotte – Landungsversuche – Antigonos' Rückzug – Der rhodische Staat – Zerwürfnisse zwischen Antigonos und den Rhodiern – Rüstungen in Rhodos – Demetrios' Landung – Belagerung von Rhodos – Friede mit den Rhodiern – Pyrrhos König in Epeiros – Die wiederhergestellte Demokratie Athens – Demochares – Das Gesetz des Sophokles – Kassandros' Angriff auf Athen – Demetrios' Landung in Aulis – Sein Winteraufenthalt in Athen – Sein Zug nach der Peloponnes und Korkyra – Demetrios in Athen.

[302] Antigonos trug nun das königliche Diadem; aber es fehlte viel, daß er damit das ganze Reich in seiner Hand vereinigt hätte. Er hatte gehofft, daß Ptolemaios nach der vollkommenen Vernichtung seiner Seemacht allem weiteren Widerstand entsagen, daß er ihn und das erneuerte Königtum des Reiches anerkennen und sich ihm unterordnen werde. Aber Ptolemaios, Herr eines reichen, trefflich regierten, ihm ergebenen Landes, fühlte sich nichts weniger als vernichtet. Er hatte nie danach getrachtet, Herr des Ganzen zu werden; aber des Teiles, der ihm zugefallen war, Herr zu sein und zu bleiben, Herr in dem Sinn und Umfang, wie es nur ein Alexander für das Ganze hätte sein können, dafür war er bereit, bis aufs äußerste zu kämpfen. Als die Nachricht nach Ägypten kam, daß Antigonos vom Heere König genannt worden, waren die Truppen des Lagiden, so wird berichtet, nicht unschlüssig, mit gleichem Recht ihren Herrn als König zu begrüßen, zum Zeichen, daß sie trotz der Niederlage von Kypros den Mut nicht sinken ließen, sondern, fest und treu ihrem Herrn ergeben, bereit seien, das Recht seiner Herrschaft gegen das nicht bessere Recht des Antigonos zu vertreten. Und von dieser Zeit an war und nannte sich Ptolemaios König.

Wenn das Antigonos und Ptolemaios taten, warum sollten die anderen Machthaber nachstehen? Bisher schon war Seleukos von den Barbaren König genannt und in morgenländischer Weise begrüßt worden; hinfort trug er, auch wenn er hellenischen und makedonischen Männern Audienz gab, das Diadem; er zählte die Jahre seines Königtums von jener Zeit an,[302] da er, aus Ägypten heimkehrend, Babylon wiedergewonnen. Auch Lysimachos von Thrakien nahm das Diadem an und nannte sich König; auch Kassandros von Makedonien ließ sich schriftlich und mündlich König nennen, obschon er es vermied, selbst diesen Titel bei Unterschriften zu brauchen50. Bemerkenswert genug, daß nur diese fünf Genannten, keiner sonst von so vielen anderen Satrapen und Strategen im Alexanderreiche sich den höheren Rang beilegten, ein sicheres Zeichen, daß sie schon nicht mehr jenen gleich waren, daß sie sich nicht wie jene als souveräne Inhaber von Teilstücken des Reiches ansehen konnten, sondern sich den neuen Machthabern als deren hohe Beamte unterordneten. Aber außer dem unmittelbaren Reichsgebiet fand in dieser Zeit, wie es scheint, der Königstitel rasche Verbreitung; Mithradates III. von Pontos, Atropates von Medien, vielleicht auch die Machthaber in Armenien, in Kappadokien mögen sich jetzt das Diadem beigelegt haben; auch Agathokles von Syrakus, Dionysios von Herakleia, den man den Milden nannte, nahm den Königstitel an. Das Königtum, besser die Souveränität der Macht, ist der bewegende Gedanke dieser Zeit, ist die Form, aus den Trümmern der zerstörten alten Ordnung der Dinge neue staatliche Existenzen zu schaffen; in allen anderen politischen Formen drängt das Bedürfnis der staatlichen Selbsterhaltung zu gleicher Konzentration, und die für sie maßgebenden Muster werden diese militärisch-politischen Mächte des zersprengten Alexanderreiches, deren Rechtstitel die Eroberung, deren Typus die Armee, deren politische Arbeit ist, sich den Nachbarn gegenüber zu halten und in stetem Ringen mit ihnen zu sichern, mit dem immer neuen Bemühen, in internationalen Verträgen und deren völkerrechtlicher Weiterbildung ein Staatensystem zu begründen, das im Gleichgewicht der Macht seine Norm und Gewähr sieht. Keines dieser Reiche hat eine andere Legitimität, als daß es existiert, und die einzige höhere Weihe, welche die Fürsten ihrer Macht zu geben vermögen, ist, daß sie sich in gleicher Reihe mit den Göttern verehren lassen; Verhältnisse, welche weiterzuentwickeln der Folgezeit vorbehalten ist.

Für die Geschichte der Gründung Alexanders bezeichnet dies Jahr der Könige die entscheidende Katastrophe. Freilich die Zeit seit seinem Tode hat restlos daran gearbeitet, den Riesenbau des Reiches zu zertrümmern und die für einen Augenblick zusammengeballten Völker unter der neuen Potenz des hellenistischen Lebens nach ihren Verschiedenheiten zu emanzipieren; es ist bemerkenswert, daß gerade in dem Augenblick, da nur noch der letzte Schritt zu einer vollständigen Wiederherstellung der früheren[303] Einheit zu tun ist, da eine mächtige Hand darnach greift, alles wieder zusammenzufassen und mit neuer Festigkeit zu halten, daß gerade da alles und für immer auseinanderbricht, gerade da jener Königsname aufkommt, an dem die nun geschiedenen Ländermassen sich wie von dem pulsierenden Keimpunkt aus zu neuen »Staatsindividualitäten« entwickeln werden. Jetzt in der Tat hat das einige Reich, das Alexander gegründet, ein Ende. Lag es im Wesen des Hellenismus, auf den er es hatte stellen wollen, des mit dem Barbarischen zu gegenseitiger Ausgleichung und Durchgärung verbundenen Griechentums, je nach dem Maß der Verbindung und den Unterschieden der asiatischen Elemente sich in sich zu differenzieren, so konnte dieser Hellenismus, je weiter er sich entwickelte, desto weniger als politisch einiger Körper bestehen; er mußte zerfallen nach den neu werdenden ethnographischen Typen, deren Unterschiede die barbarischen Substrate der Mischung bestimmten. Die Feststellung der gesonderten Königreiche war der erste entscheidende Schritt auf dem Wege dieser Entwicklung, und die soeben begonnene Herstellung der hellenischen Staatenfreiheit ein Dokument dafür, daß sie auch rückwirkend in vollem Zuge sei.

Es liegt auf der Hand, daß der Königstitel nicht bloß den Namen oder den äußeren Pomp jener Machthaber vermehrte, es wird überliefert, »daß sie hinfort stolzer und gegen ihre Untertanen despotischer, ihrer endlich ertrotzten Majestät entsprechend sich zu äußern begannen, etwa wie die Schauspieler auf der Bühne mit dem anderen Kostüm anders in Gang, Stimme und Benehmen erscheinen«51. Jedenfalls änderten sich mit ihnen die anderen Figuren auf der Schaubühne der Politik, und es datiert von dieser Zeit an jene neue, aus asiatischen und europäischen Elementen gemischte Form des Königtums, wie sie dem großen Alexander vorgeschwebt hatte und wie sie ihm einheitlich und auf die Dauer für das Ganze zu gründen mißlungen war.

Und nun zurück zu den Begebenheiten, die im Anfang dieser neuen Entwicklungen stehen; mögen wir uns die Lage des Antigonos vergegenwärtigen, wie er endlich, die Hand nach dem Diadem des Reiches ausstreckend, man möchte sagen, ins Leere greift, wie er in dem stolzen Wahn, als einziger König und Herr dazustehen, plötzlich zur Rechten und Linken Doppelgänger der Majestät sieht. Er hat gemeint, den besiegten Satrapen Ägyptens bald zu den Füßen seines Thrones zu sehen, und Ptolemaios nimmt in gleicher Weise das Diadem an, als wäre das des »Reiches« nicht das einzig berechtigte und allein mögliche; die Antigonos mit Ptolemaios' Sturz vernichtet geglaubt, erheben sich plötzlich, als Könige mit jenem[304] König vereinigt gegen ihn den Kampf zu wagen; und Seleukos, den er demnächst mit der ganzen Macht der Reichsgewalt zu erdrücken gehofft hat, steht nun, ein König des Ostens, mit den Heeren der Satrapen bis zum Indus und Jaxartes bereit, seine Herrschaft zu vertreten und den Königen, die seine natürlichen Bundesgenossen sind, Beistand zu leisten. Es sind unermeßliche Schwierigkeiten, in die sich der greise Antigonos plötzlich verstrickt sieht, und er hat kein Mittel und keinen Rechtstitel, sie zu lösen, als die Macht seiner Waffen, deren Erfolge bei der größeren Macht seiner Gegner, wenn sie zusammenstehen, nichts weniger als sicher sind. Soll er, die Einheit dieses Reiches aufgebend, die Usurpation dieser anderen Könige anerkennen? Er hätte es vor zehn Jahren mit gleichem Nutzen und geringerer Gefahr tun können; es jetzt tun, wäre nicht bloß ein gefährliches Bekenntnis von Schwäche, es wäre das Preisgeben des Prinzips, kraft dessen er sich über jene erhoben und dem er schon Werteres als Schätze, Heere, Jahre geopfert hatte. War denn in dem Wesen dieser Könige an allen Enden, dieser Orts-Könige und Lokal-Majestäten nicht alles im Widerspruch mit dem Königtum des Reiches, auf dessen Dienst und Botmäßigkeit allein ihre Berechtigung stand? Mit welcher Stirn konnten sie sich Nachfolger Alexanders, seine Diadochen nennen, wenn sie die Fetzen seines Diadems unter sich teilten? Und wo war denn ihre Macht? War Ptolemaios nicht auf Kypros vernichtet? Stand nicht Seleukos zu fern im Osten, um schnell helfen zu können? Waren nicht Kassandros und Lysimachos durch die Länder und Meere, die Demetrios mit der Reichsflotte beherrschte, von Ägypten getrennt? Es mußten die Feinde als Usurpatoren des königlichen Namens niedergeworfen werden, sie mußten es schnell werden, ehe sie sich vereinigten; es mußte vor allem der schon mattgesetzte Löwe Ptolemaios in seiner Höhle überfallen und vernichtet werden, ehe die Elefanten des Seleukos von Indien her kamen, ihn zu erretten; war Ptolemaios gedemütigt, was konnte dann noch Thrakien, Makedonien? Sie fielen trotz des Diadems ihrer Könige, und Antigonos war frei und mächtig, dem letzten der Usurpatoren das gleiche Schicksal zu bereiten. Es galt, Ptolemaios in seinem Lande anzugreifen, ihn schnell und völlig zu überwältigen.

Antigonos war in seiner neuen Residenz am Orontes; sofort sollten die Rüstungen beginnen. Eben jetzt starb ihm sein zweiter Sohn Philippos; dem greisen König blieb nur der reichbegabte, hocherprobte Demetrios; auf ihn und dessen dreizehnjährigen Knaben52 übertrug er alle Liebe,[305] deren sonst Philippos einen großen Teil gehabt; er bestattete des Sohnes Leichnam mit königlicher Pracht. Er berief Demetrios aus Kypros, mit ihm den Feldzug zu beraten: er beginne seine achtzig Jahre zu fühlen, es sei nicht mehr die sonstige Rüstigkeit in seinen Gliedern und seinen Gedanken; Großes sei dem Sohne geglückt, er möge kommen, ihm mit seinem Rat, seiner Kraft beizustehen. Fast hatte Demetrios, in den Armen der schönen Lamia schwelgend und unter den Freudenfesten des ihm gewordenen Diadems, auf der glücklichen Insel der Welt draußen und der drohenden Gefahren vergessen; als er des Vaters Brief erhielt, war plötzlich aller Taumel und Rausch hinweg; er eilte nach Antigoneia, zum Vater, den er so lange entbehrt hatte; als er ihn beim Empfang herzlich küßte, sprach der Vater: »Du meinst doch nicht, o Sohn, daß du die Lamia küssest!« Schon lagerten viele Truppen an den Ufern des Orontes, täglich kamen deren neue; unter Rüstungen und Übungen wurden die Tage zugebracht, die Nächte durchjubelte Demetrios beim Wein oder schwelgte in heimlichem Genüsse; oft dann matt noch am Morgen, fehlte er dem Vater oder ließ sich mit Unwohlsein entschuldigen. So eines Morgens, der Vater kam, den Sohn zu besuchen; da schlüpfte ein schönes Mädchen an ihm vorüber, eintretend setzte er sich an des Sohnes Lager und nahm dessen Hand; vom Fieber war nichts mehr zu spüren; es habe ihn soeben verlassen, sagte dann Demetrios; und der Vater: »Ja, ich sah es eben hinwegeilen«53.

Die Rüstungen waren beendet, mit dem Spätsommer brach das Heer und die Flotte, zu der Demetrios zurückgekehrt war, auf; eine ungeheure Macht, mehr denn 80000 Mann Fußvolk, 8000 Reiter, 83 Kriegselefanten, 150 Kriegsschiffe, 100 Transportschiffe, auf ihnen Geschütze und Geschosse in großer Zahl. Die Flotte sollte unter Demetrios' Befehl, während das Heer durch Koilesyrien hinabzog, an der Küste entlangfahren, in Gaza beide sich treffen, von da aus gleichzeitig zu Wasser und zu Lande Ägypten angegriffen werden. In den ersten Tagen des November war Gaza erreicht. Um desto schneller und überraschender in Ägypten zu sein, ließ Antigonos, da der Marsch durch die Wüste am Meer hinführte, seine Truppen sich mit Lebensmitteln auf zehn Tage versehen, ließ eine möglichst große Zahl Kamele von den arabischen Stämmen zusammenbringen und diese mit Getreide, 130000 Medimnen, beladen; das übrige Zugvieh wurde zum Transport der Fourage, der Geschosse und Geschütze, der vielfachen Maschinen, die auf Wagen geladen wurden, benutzt. So begann das Landheer seinen beschwerlichen und gefahrvollen Zug durch die Wüste. Auch die Flotte brach auf; umsonst machten die Steuerleute[306] darauf aufmerksam, daß in acht Tagen der Untergang der Pleiaden sei, daß dann das Meerstürme und unbefahrbar sei, daß man jedenfalls noch acht Tage im sicheren Hafen bleiben müsse. Demetrios schalt sie, daß sie das Meer und die Luft fürchteten: ein rechter Seemann fürchte nicht Wind noch Wellen. Er durfte nicht zaudern, da des Heeres Operationen auf seine Mitwirkung von der Seeseite her berechnet waren; um Mitternacht verließen seine Geschwader den Hafen von Gaza. Sie hatten die nächsten Tage gute See; die schweren Transportschiffe am Schlepptau, ging es mit gutem Winde westwärts. Schon war man in der Höhe des Sirbonitischen Sees, da Team der Tag der Pleiaden. Es erhob sich ein heftiger Sturm aus Norden, er wütete furchtbar, in kurzem waren die Geschwader zerstreut. Von den mit Geschossen und Menschen schwerbelasteten Transportschiffen sanken viele, wenige retteten sich in den Hafen von Gaza zurück; auch die Kriegsschiffe vermochten nicht gegen die See zu halten; die Vierruderer, die sich retteten, wurden nach Raphia verschlagen, wo ihnen ein seichter und dem Nordwind offener Hafen wenig Schutz gewährte. Den tüchtigsten und größten der Schiffe gelang es, sich westwärts bis in die Höhe der Kasios-Dünen vorzuarbeiten; der hafenlose Strand, das entsetzliche Wetter zwang sie, vor Anker zu gehen. Zwei Stadien vom Ufer entfernt, waren sie der wilden Gewalt der brechenden Wogen preisgegeben, der Nordsturm trieb sie vor Anker in die Brandung; es war Gefahr, daß die Schiffe scheiternd mit Mann und Maus untergingen; wenn sie strandeten, wenn sich die Mannschaft an das Ufer zu retten versuchte, so war sie auf feindlichem Boden und des Untergangs gleich gewiß. Sie arbeiteten Tag und Nacht mit der größten Anstrengung, um nur die Schiffe flott zu erhalten; schon waren drei Fünfruderer vor ihren Augen untergegangen; auch Trinkwasser begann zu fehlen. Erschöpft und mutlos sahen die Leute ihrem Untergang entgegen, nicht einen Tag länger hätten sie es vor Durst, Kälte und Erschöpfung ausgehalten. Da legte sich der Sturm, die Luft wurde heller, sie sahen auf dem Strand das Heer der Ihrigen heranmarschieren und sich lagern. Nun eilten sie ans Land und erquickten sich mit Speise und Trank; allmählich sammelten sich auch die verschlagenen Schiffe; nach kurzem Aufenthalt ging die Flotte, durch die großen Verluste freilich sehr geschwächt, wieder in See, und das Landheer zog die letzten drei Tagemärsche durch die Wüste bis an den östlichen Nilarm, von dem es zwei Stadien entfernt lagerte.

Indes hatte Ptolemaios, vom Anmarsch der feindlichen Streitmacht unterrichtet, seine Truppen im Deltaland zusammengezogen; es war seine Absicht nicht, dem Gegner zur offenen Feldschlacht entgegenzuziehen; er hatte die Hauptpunkte der Küste und des östlichen Nilarmes mit starken Posten besetzt, bereit, jeden Versuch zur Landung oder zum[307] Stromübergang zurückzuschlagen. Als er jenseits des Pelusischen Nilarmes das Heer des Antigonos lagern sah, sandte er einige seiner Getreuen auf Kähnen aus, am Ufer drüben hinzufahren und zu verkünden, daß der König Ptolemaios jedem, der zu ihm übertrete, 200 Drachmen, jedem Offizier 10000 verspreche. Besonders auf die Mietstruppen des Antigonos wirkte der Aufruf; das Ausreißen nahm überhand, selbst von den Offizieren gingen viele, denen Antigonos' Regiment nicht gefiel, zu Ptolemaios über; Antigonos sah sich genötigt, Schleuderer, Bogenschützen und Geschütze am Rande des Ufers aufzustellen, um die herankommenden Kähne abzutreiben; mehrere von den Überläufern wurden eingefangen und mit den härtesten Martern gestraft, um von allen weiteren Versuchen der Art abzuschrecken.

Antigonos' Operationen mußten sich, wie einst die des Perdikkas, darauf wenden, vor allem das jenseitige Ufer zu gewinnen, um dort den Feind zum Treffen zu zwingen; um das Durchwaten des Stromes unter den Augen des Feindes, das einst dem Heere des Perdikkas den Untergang gebracht hatte, zu vermeiden, zog er die Schiffe, die sich jetzt aus den Häfen von Gaza und Raphia sammelten, an sich und ließ durch sie unter Demetrios' Befehl eine bedeutende Zahl Truppen zu der sogenannten Falschen Münde fahren54. Dort sollten sie landen und den Truppen des Feindes in den Rücken kommen, während er selbst, wenn Ptolemaios so beschäftigt wäre, mit dem übrigen Heer über den Strom gehen und angreifen wollte. Die Landungstruppen segelten zur Falschen Münde, aber da sie anlegen wollten, fanden sie den Posten an der Münde so stark besetzt und wurden von den Speeren, Steinen und Pfeilen der Geschütze und der Verteidiger so heftig empfangen, daß sie unter dem Schütze der Nacht sich zurückzogen. Demetrios befahl hierauf, es sollten die Schiffe dem Admiralsschiff und der Leuchte, die auf demselben ausgesteckt wurde, nachsteuern; er hielt nordwestwärts, mit Tagesanbruch lag er vor der Phagnetischen Münde55; aber ihm hatten die anderen Schiffe nicht alle schnell genug folgen können, diese mußten erst erwartet, Schnellschiffe ausgesandt werden, sie zu suchen; so verstrich die kostbarste Zeit. Den Feinden war die Bewegung der Flotte nicht entgangen; schleunigst wurde der Posten an der Phagnetischen Münde verstärkt, eine Truppenlinie[308] längs der Küste, wo möglicherweise die Landung versucht werden konnte, aufgestellt. Als Demetrios sein Geschwader beisammen hatte, war es zu spät, der Strand zu stark mit Verteidigern besetzt, als daß er die Landung hätte wagen dürfen; und weiterhin erfuhr er, sei die Küste durch Untiefen, durch Sumpf und Moor so gedeckt, daß da die Flotte nicht landen könne. Deshalb kehrte Demetrios zurück, das Lager des Vaters zu gewinnen; da erhob sich ein mächtiger Nordwind, hoch türmte sich die Flut, mit unsäglicher Mühe arbeiteten die Schiffe dagegen, drei von den Kriegsschiffen, mehrere Transportschiffe wurden auf den Strand geschleudert und fielen den Feinden in die Hände; die übrigen wurden durch die höchst angestrengte Arbeit des Schiffsvolkes gerettet und erreichten glücklich die frühere Station.

So scheiterten die Landungsversuche des Demetrios; die Einfahrt in die Pelusische Mündung zu gewinnen, war vollkommen unmöglich, da diese von Ptolemaios besetzt und von vielen starkbemannten und reichlichst mit Geschütz versehenen Strombarken verteidigt wurde; auch stromaufwärts waren nicht bloß die inneren Ufer mit Schanzen und starken Posten bedeckt, sondern es kreuzten dort auch zahllose Barken, teils mit Bewaffneten, teils mit Geschütz aller Art besetzt, welche jeden Versuch, über den Fluß zu gehen, ja jede weitere Bewegung auf dem rechten Ufer hinderten. So lag Antigonos' Flotte und Heer untätig; ein Tag nach dem anderen verging, ohne daß etwas geschah, schon begannen die Vorräte für Menschen und Tiere auszugehen; die Truppen wurden mißmutig, selbst die Tapfersten sahen kein Ende. Antigonos konnte sich nicht verhehlen, daß das Schicksal des Feldzugs entschieden sei. Es gab keine denkbare Operation, die einen für ihn günstigen Erfolg hätte herbeiführen können; selbst wenn er über den einen Nilarm zu dringen vermocht hätte, wäre noch nichts erreicht gewesen, da sich bei jedem der vielen Flußarme dieselben Schwierigkeiten nur gefährlicher erneuten. Er vermochte nichts, wenn sich Ptolemaios hartnäckig in der Defensive hielt; selbst aber, wenn er ihn zur offenen Schlacht herauszulocken vermocht hätte, jetzt wäre er ihm mit seinem geschwächten und entmutigten Heer nicht mehr gewachsen gewesen. Die Stimmung seiner Truppen, der Mangel an Lebensmitteln und die vorgerückte Jahreszeit zwangen ihn, an einen schleunigen Rückzug zu denken. Er berief das Heer und die Offiziere zu einer großen Versammlung und legte zur Beratung vor: ob es unter den jetzigen Umständen rätlich sei, den Krieg fortzusetzen oder nach Syrien zurückzukehren, um demnächst, den Eigentümlichkeiten der Kriegsführung hier entsprechender gerüstet, und in einer Jahreszeit, in der das Wasser des Nilstroms am seichtesten sei, den Kampf wieder aufzunehmen.

Laut und allgemein entschied die Versammlung für die Heimkehr;[309] sofort wurde der Befehl zum Aufbruch gegeben, und Heer und Flotte kehrten eiligst heim.

Je größer die Zurüstungen, je hochfahrender die Hoffnungen gewesen waren, mit denen Antigonos den Krieg begonnen hatte, desto beschämender war dieser Ausgang; er, der das Königtum Alexanders in seiner Einheit und Herrlichkeit wiederherzustellen verkündet hatte, mußte sich, ohne Schlacht besiegt, vor einem Feinde zurückziehen, den er verloren geglaubt hatte. Mit Recht feierte Ptolemaios Dankopfer und Freudenfeste, als ob er einen Sieg erkämpft habe, und sandte Boten an Kassandros, Lysimachos und Seleukos, ihnen zu verkünden, wie Antigonos gedemütigt sei. Ein Sieg in offener Schlacht hätte ihm nicht ersprießlicher sein können, da wäre, Kraft gegen Kraft, Antigonos erlegen; jetzt erlag er sich selber, und Ptolemaios sparte die eigene Kraft, wenn es not tat, den letzten Stoß hinzuzufügen.

Seltsam, daß Antigonos' Sache solchen Ausgang nahm; nicht die Stürme, die seine Flotte zerstreuten, nicht die Unmöglichkeit, über den Strom zu dringen, war der Grund jenes Mißlingens, selbst die Desertionen der Söldner nicht; wohl aber zeigte sich in diesen, daß nicht mehr der alte, feste Geist, der einst Eumenes bewältigt, der mit strenger und sicherer Kraft Tausende an sich gefesselt hatte, in Antigonos lebte; wohl noch die Routine früherer Zeit, nicht mehr die eiserne Willenskraft, die ihn sonst jeder Gefahr Trotz bieten, selbst nach der Niederlage ausdauern ließ, war ihm geblieben; die Routine war zur zögernden Umständlichkeit, jener feste Wille zur Launenhaftigkeit geworden. Nur Kühnheit hätte diesem gewagten Angriff auf Ägypten Erfolg schaffen können; warum versäumte Antigonos bei Pelusion kostbare Tage damit, erst das jenseitige Ufer zu gewinnen, ehe er Weiteres unternahm? Warum griff er nicht bei seiner Übermacht die beiden Hauptstädte des Landes, Memphis mit einem Seitenkorps, Alexandreia mit seiner noch immer mächtigen Flotte, an, während die Hauptmacht den am Pelusischen Nilarm lagernden Feind fesselte? Warum, wenn alles das zu gewagt war, operierte er nicht auf dem rechten Ufer des Pelusischen Nilarmes? Dort hätte er ebenso hartnäckig, wie Ptolemaios drüben, sich verschanzend stehen bleiben und ihn mit wiederholten Streifzügen am rechten Nilufer hinauf endlich zu irgendeiner offensiven Bewegung zwingen können, die demselben verhängnisvoll werden mußte; dort hätte er, während seine Flotte, die das Meer beherrschte, Vorräte nachführte, den Frühling und den seichteren Stand des Flusses abwarten, von den verschiedenen festen Punkten aus, in denen er sich bis dahin festgesetzt, und mit den neuen Truppen, die nachgesandt worden wären, den Krieg von neuem und mit besserem Erfolg beginnen können. Es war das Verkehrteste, was er tun konnte, daß er nicht einmal die[310] Position von Pelusion besetzt hielt, daß er alles aufgab und wie ein vollkommen Überwältigter nach Syrien zurückeilte. Es kostete ihn nicht bloß seine besten Hoffnungen; er hatte den Feind zum Kampf herausgefordert, er hatte ihm die Übermacht der öffentlichen Meinung in die Hand gegeben, er hatte die Ehre des eigenen Namens und den bisher überragenden Ruhm seiner Waffen verloren.

Die außerordentliche Lückenhaftigkeit unserer Nachrichten läßt den weiteren Zusammenhang der Begebenheiten dunkel; man sollte denken, daß von Ptolemaios nach jenem Rückzug des Antigonos irgend etwas geschah, daß er die Gunst der Verhältnisse benutzt, daß er, wenn er auch jetzt noch nicht mit Heeresmacht in Syrien einzubrechen wagte, mindestens durch Unterhandlungen Anerkenntnis für sein Diadem zu erhalten gesucht haben müßte; in den Überlieferungen finden wir von alledem keine Spur; erst bei einer neuen Expedition, der des Demetrios gegen Rhodos, beginnen wieder die Nachrichten.

Der rhodische Staat war56, durch seine überaus glückliche geographische Lage begünstigt, schon während Alexanders Lebzeiten und mehr noch während der Diadochenkämpfe ungemein emporgeblüht. Fast aller Handel zwischen Europa und Asien konzentrierte sich auf dieser Insel; die Rhodier waren ausgezeichnete Seeleute, als zuverlässig und gewandt geachtet; ihr stetiger und gesetzlicher Sinn, ihre Geschäftskunde, ihre trefflichen See- und Handelsgesetze machten in der Verkehrswelt des Mittelmeeres Rhodos zu einem rechten Musterplatz; durch fortgesetzte und glückliche Bekämpfung der Piraten, die damals häufig und in großen Scharen die offene See unsicher machten57, war Rhodos der eigentliche Schutz und Schirm der Kauffahrtei in den östlichen Gewässern. Es scheint, daß in den Jahren Alexanders eine makedonische Besatzung in der Stadt lag, wenigstens wird angegeben, daß die Rhodier sie bei der Nachricht von des Königs Tod vertrieben hätten. Von da an blieben sie frei; ihre bedeutende Seemacht, die steten Rivalitäten und Kämpfe der makedonischen Machthaber, das ruhige und wohlgeordnete Regiment der städtischen Aristokratie machte es ihnen möglich, ein System politischer[311] Neutralität zu entwickeln, das ihren Wohlstand und ihren Einfluß in gleichem Maße steigerte. Viele fremde Kaufleute und Kapitalisten wohnten in der Stadt; viele, die ihr Vermögen in Ruhe verzehren wollten oder, aus ihrer Heimat vertrieben, ein möglichst angenehmes Exil suchten, gingen nach Rhodos. Jeder der Machthaber suchte die Rhodier für sich zu gewinnen, beschenkte und begünstigte sie auf alle Weise; mit jedem derselben in freundlichster Verbindung, lehnten sie jede Art von Bundesgenossenschaft, die sie in Kriege verwickeln konnte, ab, und nur, als Antigonos 312 eine Flotte zur Befreiung Griechenlands aussandte, stellten sie zehn Schiffe. Hatte Antigonos deren in den Jahren vorher, als er Tyros erobern wollte, in Rhodos bauen und mit Karern bemannen lassen, so war es nur eine Privatsache der rhodischen Armateurs, denen der Staat ihren Verdienst nicht hinderte. Eine gelegentliche Notiz lehrt, daß Rhodos um 306 bereits auch mit Rom einen Handelsvertrag geschlossen hatte, in einer Zeit, da Karthago durch Agathokles' Einfall in Afrika gelähmt war und Tarent Roms Eroberung sich auch über Kampanien hatte ausdehnen lassen. Schon immer war der Verkehr mit dem getreidereichen Ägypten für Rhodos von besonderem Wert gewesen; noch wichtiger mußte es ihnen durch die Waren Arabiens und Indiens werden, denen, seit Seleukos und Antigonos widereinander im Kriege waren, der Weg nach der syrischen Küste nicht mehr offen stand; sie kamen ihnen fortan über Alexandrien zum weiteren Vertrieb nach Griechenland und dem Westen, und der Zoll aus dem ägyptischen Handel wurde die reichste Einnahme des Staates.

Antigonos hatte, als er den Bruch mit dem Lagiden suchte oder voraussah, die Rhodier aufgefordert, sich mit ihm zum Kampf gegen Ägypten zu vereinigen; daß sie ihm geantwortet, sie wünschten neutral zu bleiben, vergaß er ihnen nicht. Hatte ihn der Kyprische Krieg, dann die Expedition nach Ägypten völlig in Anspruch genommen, so schien jetzt nach dem unglücklichen Ausgang derselben vorgebeugt werden zu müssen, daß nicht der Ägypter mit dem Schein einer höchst notwendigen und gerechten Defensive alle diejenigen an sich zog, welche sich vor dem neuen Königtum und dessen Ansprüchen sichern zu müssen glaubten. Die Neutralität von Rhodos war so gut wie ein Anfang einer Allianz mit Ägypten, die, wenn sie sich vollzog, die Überlegenheit des Antigonos zur See ernstlich in Frage stellte. Er hatte mit dem mißlungenen Versuch gegen Ägypten keineswegs den Gedanken aufgegeben, ihn wirksamer zu wiederholen; wenn es mit Erfolg nur von der See her geschehen konnte, so waren Kypros und Rhodos die nächsten Etappen für diesen Angriff; Kypros hatte er; es galt, sich auch von Rhodos Meister zu machen und sich zugleich der maritimen Streitkräfte der Insel für die große Aktion der einzig[312] echten Königsmacht zu versichern. Die Handhabe gab, daß die Rhodier während des Reichskrieges gegen den unbotmäßigen Satrapen den Handel mit dessen Häfen fortgesetzt hatten, als sei das das Recht ihrer neutralen Flagge.

Es wurde ein Stratege mit einer Eskader ausgesandt, den Rhodiern allen weiteren Verkehr mit Ägypten zu untersagen, ihre nach Alexandrien bestimmten Schiffe aufzubringen und sich der Ladung zu bemächtigen. Die Rhodier brauchten Gewalt gegen Gewalt; sie beschwerten sich nachdrücklich, daß mit ihnen ohne alle Veranlassung Feindseligkeiten begonnen seien. Ihnen wurde geantwortet, daß, wenn sie nicht sofort sich fügten, mit aller Macht gegen sie verfahren werden würde. Nicht wenig besorgt, suchten sie den Zorn der Könige zu begütigen; sie dekretierten ihnen Statuen und Ehren, baten, man möge sie nicht wider die Verträge zur Feindschaft gegen Ägypten zwingen, es könne niemandem nützen, wenn ihr Handel und Wohlstand untergraben werde. Mit noch härterer Drohung wurde diese Gesandtschaft abgewiesen; zu gleicher Zeit ging Demetrios mit seiner gesamten See macht, den mächtigsten Maschinen, bedeutenden Truppen in See, den gedrohten Angriff ins Werk zu setzen; bald waren 200 Kriegsschiffe von aller Größe, mehr als 170 Transportschiffe, an 1000 Piraten- und Kauffahrteischiffe und andere leichte Fahrzeuge in dem Kanal, der Rhodos vom festen Lande trennt, versammelt; das Meer war bedeckt von Fahrzeugen, die dem Hafen von Loryma, auf dem Festlande der Insel gegenüber, zusegelten. Wohl mochte den Rhodiern der Mut sinken; sie erklärten sich bereit, sich in Demetrios' Willen zu fügen, ja ihm selbst mit ihrer gesamten Macht im Kriege gegen Ptolemaios Beistand zu leisten. Als aber Demetrios forderte, daß ihm dessen zum Zeugnis hundert der vornehmsten Bürger als Geiseln gegeben und seiner Flotte die Häfen der Stadt geöffnet werden sollten, meinten sie, daß es auf ihre gänzliche Unterwerfung abgesehen, daß es besser sei, sich aufs äußerste zu wehren und die Freiheit bis in den Tod zu verteidigen, als sich so schmachvollen Bedingungen zu fügen. Sie entschlossen sich, Widerstand zu leisten; mit der größten Hingebung und Entschlossenheit bereiteten sie sich zum Kampf gegen die Übermacht des Demetrios58.

Die Stadt Rhodos lag auf der Nordostecke der gleichnamigen Insel; sie war in Form eines halben Ovals gebaut, dessen Spitze durch den Felsen der Akropolis gebildet wurde, welcher die Stadt beherrscht; an diesem Berge lag das Theater, von dem aus man die ganze Stadt mit ihren[313] Häfen und das Meer übersah. Die Stadt selbst, in den Zeiten des Peloponnesischen Krieges erbaut, war schöner und regelmäßiger als die meisten altgriechischen Städte. Namentlich der Haupthafen der Stadt war vortrefflich angelegt; in den Meerbusen, um den die Stadt lag, reichten zwei Molen hinein, welche ein Bassin von fast 600 Schritt Durchmesser umschlossen; hinter diesem größeren Hafen befand sich ein kleinerer mit engerer Münde, ausschließlich für die rhodische Seemacht bestimmt. Am Hafenbollwerk entlang und rings um die Stadt hin zog sich eine starke, mit vielen Türmen versehene Mauer, außerhalb deren sich nordwärts und südwärts bedeutende Vorstädte befanden. Diese mußten preisgegeben werden; Hafen und Stadt zu behaupten, forderte schon alle Mittel des Staates. Um die Zahl der Verteidiger zu mehren, wurden die in der Stadt ansässigen oder eben anwesenden Fremden aufgefordert, zum Schirm der Stadt die Waffen mit zu ergreifen; alles unnütze und müßige Gesindel, dessen sich in der tätigen Seestadt genug finden mochte, wurde, damit es nicht den öffentlichen Vorräten zur Last fiele oder die schwierigen Zeitläufte, die man erwarten mußte, zu Unordnungen und Verrat benutzte, ausgewiesen. Hierauf wurde Zählung gehalten, man fand 6000 waffenfähige Bürger, 1000 Fremde, die die Waffen nahmen. Ferner wurde beschlossen, daß die Sklaven, die sich brav zeigen würden, von Staats wegen freigekauft und rhodische Bürger werden, daß diejenigen, welche bei der Verteidigung fielen, ehrenvoll bestattet, auf Kosten des Staates ihre Eltern und Kinder unterhalten, ihre Töchter ausgestattet, ihre Söhne, wenn sie herangewachsen, am Dionysosfeste im Theater mit einer ganzen Rüstung beschenkt werden sollten. Die Reichen brachten freiwillig Geld zusammen, die Handwerker bereiteten Waffen und Geschosse, andere arbeiteten an den Mauern und Türmen, andere an den Maschinen und Schiffen, selbst die Weiber halfen Steine herantragen oder gaben ihr langes Haar, um Bogensehnen daraus zu drehen.

Schon kam Demetrios mit seinen Geschwadern von Loryma in voller Schlachtordnung herangesegelt; so ungeheuer war seine Ausrüstung, daß die rhodische Macht von derselben erdrückt werden zu müssen schien; voran segelten 200 Kriegsschiffe von namhafter Größe, jedes auf dem Vorderdeck mit leichtem Geschütz versehen; dann folgten 170 Transportschiffe, von Ruderbooten bugsiert, mit nicht weniger als 40000 Mann Besatzung, eine nicht geringe Zahl Reiter mit eingerechnet; zuletzt die Kaperschiffe, die Vorrats- und Packschiffe; in ununterbrochenem Zuge bedeckte die anfahrende Armada bald den ganzen, zwei Meilen breiten Sund. In der Stadt gaben die Tag wachen von den Türmen Meldung, daß sie nahe; sofort war alles in Bewegung, die Männer eilten bewaffnet auf die Zinnen der Mauern, die Weiber und Greise stiegen auf die Dächer der[314] Häuser, mit der Neugier der Furcht hinauszuschauen, wie die Schiffe mit ihren metallenen Zieraten und bunten Segeln, die Waffen der Kriegsleute im hellen Sonnenlicht glänzend, heransteuerten.

Indes landete Demetrios mit seiner Flotte im Süden der Stadt, schiffte dort seine Truppen aus, ließ sie bis über Wurfweite von der Mauer vorrücken und ein Lager aufschlagen; dann sandte er Kaperschiffe zur See und leichtes Volk zu Lande aus, die Küsten und das Innere der Insel zu verwüsten. Um zur Befestigung des Lagers Holz und Steine zu erhalten, wurden die Gehölze, die Gärten und Gehöfte in der Nähe der Stadt verwüstet, mit dem so gewonnenen Material der dreifache Graben, mit dem man das Lager umzog, mit Palisaden und Verhauen versehen; während der nächsten Tage war das ganze Schiffsvolk und die Truppen beschäftigt, das Erdreich zwischen der Stadt und dem Landungsplatz zu ebnen und die Bucht, in der sie gelandet, zum Hafen zu machen.

Noch einmal gingen Gesandte der Rhodier an Demetrios, um Schonung ihrer Stadt zu bitten; da sie zurückgewiesen wurden, sandten sie an Ptolemaios, Kassandros, Lysimachos schleunigst Boten, der Stadt, die um ihretwillen in der größten Gefahr sei, Beistand zu senden. Sie begannen auch ihrerseits die Feindseligkeiten; sie schickten drei Schnellsegler aus gegen die Feinde und die feindlichen Vorratsschiffe; im plötzlichen Überfall gelang es ihnen, viele Fahrzeuge, die des Fouragierens oder Plünderns wegen gelandet waren, teils zu versenken, teils zu verbrennen, mehrere Gefangene einzubringen, welche nach einem gegenseitigen Vertrag mit Demetrios, mit 1000 Drachmen ein Freier, mit 500 ein Sklave, ausgelöst werden mußten.

Indes begann Demetrios die Belagerungsarbeiten; ihm ging der Ruf voraus, daß keine Festung, so stark sie auch sei, ihm widerstehen könne; unerschöpflich in immer neuen Erfindungen, riesenhaft in Entwürfen, die, so unausführbar sie schienen, ebenso schnell, sicher und ihrem Zweck entsprechend ins Werk gesetzt wurden, mit Werkmeistern und Architekten, mit Werkzeug und Material auf das reichlichste versehen, begann er eine Reihe von Belagerungsarbeiten, welche während des Altertums Muster der Kriegsbaukunst geblieben sind. Seine Absicht war, sich zunächst des Hafens von Rhodos zu bemächtigen, teils um die Verbindung der Stadt mit dem Meere zu sperren, teils weil die mächtigen Mauern von der Hafenseite her am leichtesten zu erstürmen schienen. Zuerst wurden zwei Schirmdächer, jedes von zwei gekoppelten Prahmen getragen, das eine gegen den horizontalen Wurf der Katapulte, das andere gegen den Bogenwurf der Schleudermaschinen errichtet; ingleichen zwei vierstöckige Türme, die höher waren als die der Hafenmauer, ebenfalls auf zwei Prahmen, die aneinandergekettet und so wohlgebaut waren, daß sie die hohen[315] Gebäude mit vollem Gleichgewicht trugen; ein schwimmendes Pfahlwerk mit vier Fuß langen Palisaden sollte in einiger Entfernung vor den Maschinen treibend dazu dienen, die Boote, die sie heranbugsierten, vor dem Angriff der Feinde zu schützen. Als diese Arbeiten fast vollendet waren, wurde eine große Zahl Seeboote versammelt, mit Verdecken geschützt, die Seiten mit Luken verwahrt, leichte Katapulte bis zu tausend Schritt Wurfweite mit ihrer Mannschaft und kretische Bogenschützen auf dieselben gebracht und nun gegen die Molen herangefahren. Die Katapulte begannen gegen die Rhodier, die die Hafenmauer höher zu bauen beschäftigt waren, mit bestem Erfolg zu arbeiten; es war Gefahr, daß der Hafen in Demetrios' Hände fiel; schleunigst brachten die Rhodier zwei Maschinen auf den Hafendamm und postierten drei andere auf Lastschiffen nebst vielen Katapulten und Wurfgeschützen im Eingang des kleinen Hafens, um jeder Möglichkeit der Landung auf den Molen oder des Eindringens in den Hafen zu begegnen; zugleich wurden auf verschiedenen Schiffen im Hafen Geschützstände eingerichtet, um auch von ihnen ausschleudern und schießen zu können. So arbeiteten die Geschütze hier und dort aus der Ferne gegeneinander; heftiger Wellenschlag hinderte Demetrios, mit den großen Maschinen auszulaufen; als endlich stille See wurde, landete er über Nacht unbemerkt an der Spitze des äußeren Hafendammes, warf dort schnell eine Schanze auf, die mit Felsstücken und Holzwerk möglichst gedeckt wurde, und gab ihr 400 Mann Besatzung nebst einem großen Vorrat von Geschossen aller Art; er hatte damit 250 Schritt von der Mauer entfernt einen festen Punkt, der ihm zugleich die Einfahrt in den Hafen möglich machte. Mit dem nächsten Morgen fuhren die großen Maschinen, mit dem schwimmenden Bollwerk umgeben, unter dem Schmettern der Trompeten ungehindert in den Hafen, die Seeboote vorauf, die mit ihren leichten Katapulten die auf der Hafenmauer Arbeitenden arg mitnahmen, während die großen Wurfgeschütze der Türme auf die feindlichen Maschinen und die Mauer, die den Hafendamm schloß und niedrig und schwach war, mit bestem Erfolge gerichtet wurden. Die Rhodier arbeiteten mit nicht geringerer Anstrengung dagegen; der Tag verging unter dem heftigsten Schleudern herüber und hinüber, mit Einbruch der Nacht endlich ließ Demetrios seine Maschinen außer Schußweite zurückbugsieren. Die Rhodier aber folgten mit vielen Booten, die als Brander eingerichtet waren, und zündeten sie an, sobald sie den Maschinen nahe genug zu sein glaubten; aber das schwimmende Pfahlwerk deckte diese, ein Hagel von Geschossen zwang zum Rückzug; das Feuer griff um sich, die meisten Boote verbrannten, wenige kamen in den kleinen Hafen unversehrt zurück; die Mannschaft hatte Mühe, sich schwimmend zu retten.[316]

In den nächsten Tagen setzte Demetrios seine Angriffe fort; er ließ zugleich, um die Belagerten desto mehr in Atem zu halten, von der Landseite her stürmen. Endlich, am dreizehnten Tage, gelang es, mit Wurfmaschinen von größter Mächtigkeit – sie warfen Steine von einem halben Zentner –, die gegen die Mauer am Hafen gerichtet wurden, die Türme und die dazwischenliegende Mauer zu brechen; schleunigst landeten einige Boote mit Truppen, die Bresche zu stürmen. Hier entspann sich ein furchtbarer Kampf; von allen Seiten stürzen die Rhodier herbei, die Bresche zu verteidigen; ihrer augenblicklichen Übermacht gelingt es, die Stürmenden teils zu töten, teils hinabzustürzen, die Menge Felsstücke, die vor der Mauer hinaufgerollt sind, verdoppelnden Feinden die Arbeit und die Gefahr; die Belagerten, sobald sie die Bresche wiedergewonnen, verfolgen zum Strand hinab, nehmen die Landungsboote, reißen die Zierate ab, verbrennen die Gefäße. Während sie hiermit beschäftigt sind, rudern von allen Seiten neue Boote der Belagerer an das Hafenbollwerk, landen neue, zahlreichere Truppen; kaum haben sie Zeit, sich zurückzuziehen. Rasch folgen jene; mit Sturmleitern geht es gegen die Bresche, gegen die Mauern, zugleich stürmen die Truppen von der Landseite gegen die Mauern. Lange, mit größter Anstrengung wird von beiden Seiten gekämpft; in allen Vorteilen der Verteidigung, zwingen die Rhodier endlich die Belagerer, mit Verlust vieler Toten, selbst unter den höheren Offizieren, sich zurückzuziehen. Der erste furchtbare Sturm ist abgeschlagen; Demetrios' Schiffe und Maschinen, durch die Geschosse der Feinde hart mitgenommen, bedürfen der Ausbesserung, sie werden in den neuen Südhafen zurückgebracht. Die Rhodier weihen den Göttern die Schiffsbeute, stellen die beschädigten Mauern wieder her.

Nach sieben Tagen sind Demetrios' Schiffe und Maschinen zu neuem Angriff fertig; von neuem gilt es dem Hafen. Bis auf Schußweite segelt Demetrios innerhalb des größeren Hafens auf den kleineren zu, in dem die rhodischen Schiffe liegen; er schleudert Feuerbrände auf diese Schiffe, während die Wurfmaschinen gegen die Mauern spielen, die Katapulte Türme, Zinnen und Hafenbollwerk von Verteidigern säubern; das alles geschieht schnell, mit voller Anstrengung, mit furchtbarer Wirkung. In kurzem steht ein Teil der rhodischen Schiffe in Flammen, die Schiffsherren eilen zu löschen, schon nahen die feindlichen Maschinen zum Sturm auf den inneren Hafen; da verkünden die Prytanen: der Hafen sei in höchster Gefahr, wer sein Leben daran setzen wolle, die Stadt durch ein verzweifeltes Wagnis zu retten, der möge sich freiwillig melden. Wetteifernd stellen sich viele der Besten; drei starke Schiffe werden von ihnen besetzt, sie sollen einen Ausfall wagen, die feindlichen Maschinen schiffe in den Grund zu bohren. Unter einem Hagel von Geschossen rudern sie mit solcher[317] Gewalt, daß sie die Ketten des schwimmenden Pfahlwerks sprengen; dann eiligst, wiederholt, unter höchster Gefahr, treiben, sie die Eisenschnäbel in den Bauch der Fahrzeuge, welche die Maschinen tragen; bald sind diese leck, beginnen zu sinken; zwei Maschinen stürzen in die Tiefe, die dritte wird rückwärtsbugsiert. Durch den Erfolg kühner gemacht, folgen die Rhodier, unvorsichtig, zu weit; von einer Menge großer Schiffe umringt, unterliegen sie dem übermächtigen Ansturz der feindlichen Schiffe, die das führende Fahrzeug zu Wrack arbeiten; verwundet fällt der Nauarch Exekestos und mehrere andere mit dem Wrack in Feindeshand; die beiden anderen Schiffe retten sich. Der zweite schwere Angriff ist glücklich abgeschlagen; die Rhodier haben für einige Zeit Ruhe, ihre Werke, Schiffe, Maschinen auszubessern.

Demetrios rüstet sich zu einem dritten Angriff; er läßt an der Stelle der gesunkenen Maschinen eine neue, um das Dreifache größere bauen; wie sie in See gebracht ist, nach dem großen Hafen geführt zu werden, erhebt sich ein Sturm; die Fahrzeuge, die sie tragen, schöpfen Wasser, versinken. Diese günstige Zeit, während Demetrios' Schiffe genug zu tun haben, sich vor dem Sturm zu bergen, benutzen die Rhodier, machen aus ihren Toren einen Ausfall gegen die Schanze auf der Mole; hier beginnt ein mächtiger Kampf, Demetrios vermag den Seinigen nicht zu Hilfe zu kommen, endlich müssen sie sich, fast noch 400 Mann, ergeben. So verliert Demetrios die mühsam erkämpfte Position auf dem Hafendamm, damit die Einfahrt in den größeren Hafen, die Aussicht, von der Hafenseite der Stadt beizukommen. Eben jetzt kommen den Rhodiern Verstärkungen, 150 Mann aus Knossos, über 500 Mann von Ptolemaios, unter diesen mehrere Rhodier, die im ägyptischen Heere gedient hatten.

Mehr als der Verlust der Schanze und die große Gefahr, mit der das Stürmen von der Wasserseite her verbunden war, mochte die beginnende winterliche Jahreszeit Demetrios dazu bestimmen, seine Angriffe vom Meere hereinzustellen; es galt, die Belagerung zu Lande fortzusetzen. Noch furchtbarer und riesenhafter waren die Arbeiten, die er jetzt vollbrachte; er hatte fast 30000 Werkleute und Aufseher über die Arbeit zusammengebracht; »weil daher alles, was begonnen ward, schneller als man denken konnte, vollendet war, so war Demetrios den Rhodiern äußerst furchtbar; nicht bloß die Größe der Maschinen und die Menge der zusammengebrachten Werkleute, sondern ganz besonders des jungen Königs unternehmender Geist und seine Geschicklichkeit in den Künsten der Belagerung schreckte sie; denn er selbst war in Erfindung neuer Werke ausgezeichnet und machte zu dem, was von seinen Kriegsbaumeistern angegeben wurde, vielfache Verbesserungen und neue Erfindungen«. Zu der weiteren Belagerung der Stadt war es besonders eine neue Helepolis,[318] die der vor Salamis gebrauchten ähnlich, nur in noch größeren Dimensionen erbaut wurde. Auf einer vierseitigen Basis von je 50 Ellen erhob sich dies turmartige Gebäude von fast 100 Ellen Höhe, auf drei Seiten war es, um gegen Feuer geschützt zu sein, mit starkem Eisenblech überzogen, die Front mit Öffnungen für die verschiedenen Arten Geschütze versehen, welche von ledernen, mit Wolle ausgefütterten Vorhängen zum Auffangen der Geschosse verdeckt waren; die neun Geschosse des Turmes waren mit zwei breiten Treppen verbunden, deren die eine hinauf-, die andere hinabführte; das ganze Gebäude ruhte auf acht Rädern, deren Speichen von zwei Ellen Dicke und stark mit Eisen beschlagen waren; es war so eingerichtet, daß es nach jeder Richtung hin bewegt werden konnte; 3400 starke Leute wurden ausgesucht, die Maschine, teils in ihr, teils hinter ihr aufgestellt, in Bewegung zu setzen. Außer der Helepolis wurden bedeckte Gänge, Schildkrötendächer, die einen zur Anbringung der Sturmböcke, die anderen zum Schutz der Erdarbeiten, errichtet; durch das Schiffsvolk wurde das Terrain für diese Maschinen in der Breite von 1200 Schritten geebnet, so daß sich der eigentliche Angriff gegen sieben Mauertürme und die dazwischenliegenden Mauern richten konnte.

Mit Entsetzen sahen die Rhodier diese Riesenbauten emporsteigen. Sie begannen auf den Fall, daß so ungeheuren Werken ihre Mauer erliegen würde, den Bau einer zweiten hinter der ersten; das Theater, die nächstliegenden Häuser, selbst einige Tempel wurden eingerissen, um die nötigen Werkstücke zu liefern. Sie sandten neun Schiffe als Kaper aus, die Schiffe, die dem Feinde Material, Proviant, Handwerker zuführten, aufzubringen. Von diesen gingen die drei sogenannten Wachtschiffe unter Demophilos südwärts nach der Insel Karpathos, fingen mehrere feindliche Schiffe auf, bohrten sie in den Grund oder verbrannten sie, brachten viele Gefangene, viele Lebensmittel, die für Demetrios bestimmt waren, mit sich heim. Drei andere Schiffe gingen unter Menedemos nach Patara in Lykien, überfielen ein feindliches Schiff, das dort vor Anker lag, und verbrannten es; andere Schiffe mit Vorräten für Demetrios' Lager nahmen sie; auch eine Tetrere aus Kilikien, die an Demetrios von seiner Gemahlin Phila königlichen Parpur, kostbaren Hausrat und Briefe bringen sollte; sie wurde als Geschenk an Ptolemaios gesandt, die Mannschaft dieses und der anderen Schiffe verkauft. Die übrigen drei rhodischen Schiffe unter Amyntas kreuzten in den Gewässern der Inseln, brachten mehrere Schiffe auf, die Baumaterial, Kriegsvorräte, Techniker zum Maschinenbau ins feindliche Lager bringen sollten. Von neuem bewährten die Rhodier ihren alten Ruf, zur See kühn und geschickt zu sein. Nicht minder waren sie in ihrer Politik besonnen und gemäßigt; als in der Ekklesie der Antrag[319] gemacht wurde, die Statuen des Antigonos und Demetrios umzustürzen, verwarfen sie ihn; sie wußten wohl, daß sie auch nach überstandener Belagerung sich mit dem Feinde würden verhalten müssen, und bei einem unglücklichen Ausgang war es doppelt nötig, die Könige nicht mit nutzlosen Beleidigungen erbittert zu haben59.

Mit dem beginnenden Frühjahr nahten sich die Belagerungsarbeiten des Demetrios ihrer Vollendung; während die Rhodier ihn mit dem, was sie sahen, beschäftigt glaubten, hatte er einen Minengang graben lassen, der bereits bis unter die Mauer vorgerückt war; ein Überläufer verriet es den Rhodiern. Sie bauten neben dem Teil der Mauer, welchen die feindliche Mine zu stürzen bestimmt war, einen tiefen Graben und von dort einen Minengang, dem der Belagernden entgegen; die Minen begegneten einander, man machte halt und beobachtete sich gegenseitig mit starken Posten. Die Belagernden versuchten den Kommandierenden des feindlichen Postens, Athenagoras von Milet (unter seinem Befehl waren die ägyptischen Hilfstruppen gekommen), durch bedeutende Geldsummen zum Verrat zu gewinnen; er erklärte sich bereit; Tag und Stunde wurde verabredet, wann Demetrios einen seiner Generale in den Gang senden, Athenagoras ihn nachts in die Stadt führen und ihm den Platz zeigen sollte, wo er einen Haufen Soldaten verdeckt aufstellen könne. Erfreut, mit so leichter Mühe zum Eindringen in die Stadt zu kommen, sandte Demetrios zur verabredeten Stunde den Makedonen Alexandros, einen der Freunde, in die Mine; wie er hinausstieg, ward er von den Rhodiern, denen Athenagoras seine Verabredungen angezeigt hatte, ergriffen und in Haft geführt; Athenagoras aber wurde gekränzt und erhielt fünf Talente zum Geschenk. Die Rhodier waren nach diesem mißglückten Trugstück[320] des Feindes von doppeltem Mut für die weiteren Gefahren, die sich furchtbarer, als sie ahnten, über sie entladen sollten.

Der Bau der großen Maschinen und die Ebnung des Terrains war beendet; in der Mitte des geebneten Feldes erhob sich der Turm der Helepolis, zu ihren beiden Seiten je vier Schildkrötendächer, an die sich ebenso viele bedeckte Gänge, die die Verbindung zwischen den Maschinen und dem Lager sicherten, anschlössen; ferner waren zwei ungeheure Sturmböcke errichtet, von 125 Ellen Länge, mit Eisen beschlagen, gleich Schiffsschnäbeln gestaltet, für jeden tausend Menschen, ihn zu schwingen, die Gebäude selbst auf Rädern ruhend und verhältnismäßig leicht zu bewegen. Die Maschinen standen fertig, die Helepolis war mit Katapulten und Wurfgeschützen in allen Stockwerken besetzt, Tausende an den Tauen, die Riesengebäude zu bewegen; zu gleicher Zeit gingen die Schiffe in See, den Hafen anzugreifen, Kriegsscharen umzingelten die Stadt, um zu stürmen, wo nur irgend zugängliches Terrain war. Auf ein Zeichen schmetterten von der See, von den Maschinen, von jenseits der Stadt her die Trompeten, und die Truppen erhoben das Kriegsgeschrei. Ohne Wanken rückten die Maschinen gegen die Mauern, sie begannen ihre furchtbare Arbeit, von allen Seiten zugleich wurde gestürmt; schon brachen unter den Sturmböcken Mauerstücke herab. Da erschienen Gesandte der Knidier bei Demetrios, sie beschworen ihn. Einhalt zu tun, sie übernähmen es, die Rhodier zu überreden, daß sie sich den Befehlen des Königs nach Möglichkeit fügten. Demetrios befahl, überall mit Stürmen innezuhalten; die Gesandten eilten hin und wider, eine Übereinkunft zu vermitteln; man einigte sich nicht. Sofort begann der Sturm, die Arbeit der Wurfgeschosse, der Sturmböcke von neuem, endlich stürzte der stärkste der Türme, der aus mächtigen Quaderstücken erbaut war, es stürzte die nächstliegende Mauer, es lag eine mächtige Bresche, – aber hinter ihr stand schon die neue Mauer, durch den vorliegenden Schutt der Bresche unangreifbar. Demetrius mußte sich den weiteren Sturm versagen.

In diesen Tagen zeigte sich eine ägyptische Flotte von Frachtschiffen, bestimmt. Getreidevorräte nach Rhodos zu bringen; sie steuerte geraden Laufes auf den Hafen zu. Eiligst sandte Demetrios Kriegsschiffe gegen sie, sie suchten ihr den Wind abzugewinnen, aber die Ägypter kamen voraus und fuhren mit vollen Segeln in den Hafen ein. Ähnliche große Getreidesendungen kamen von Lysimachos und Kassandros, auch ihnen gelang es, den Hafen zu gewinnen60; und die Rhodier, denen bereits die Vorräte[321] zu mangeln begonnen hatten, waren nun wieder auf lange Zeit geborgen, wenn es ihnen nur gelang, sich der Maschinen des Gegners zu erwehren. Sie beschlossen, einen Angriff mit der Gewalt der Flammen gegen sie zu wagen; sie bereiteten eine Menge Feuerpfeile, sie brachten eine große Zahl Katapulte und Wurfgeschütze auf die Zinnen. Es war eine mondlose und finstere Nacht, im Lager war tiefe Ruhe, bei den Maschinen standen Wachtposten, nichts ahnend; plötzlich, um die zweite Nachtwache, begann ein heftiges Schleudern der Wurfgeschütze, die Feuerpfeile dazwischen, die das Feld und die Maschinen beleuchteten. Schnell wurde alarmiert; die Wachttruppen eilten herbei, zu retten; schon stürzten Blechstücke von dem Turm und den Dächern, immer dichter fielen Feuerpfeile; Stein und Geschoß wirkten um so furchtbarer, da man ihr Heranfliegen nicht sehen konnte; es war nicht möglich, standzuhalten; Feuerpfeile hafteten in dem schon entblößten Holzwerk, die Flammen begannen emporzulecken; es war Gefahr, daß der Turm, die Maschinen zugrunde gingen. Demetrios eilte mit Truppen herbei, mit größter Anstrengung wurde gegen das Feuer gearbeitet; mit dem Wasser, das in den Gebäuden vorrätig war, gelang es, der Flamme Einhalt zu tun, während neue Feuerpfeile die Gefahr stets erneuten, die Arbeit erschwerten; die Lärmtrompete rief die zum Ziehen der Maschinen bestimmte Mannschaft auf ihren Posten; mit dem Morgen waren sie außer Wurfweite, sie waren gerettet. Demetrios ließ, um sich von den Kriegsmitteln der Belagerten in Kenntnis zu setzen, die verschossenen Pfeile zählen; man fand deren 1500 Katapult- und 800 Feuerpfeile, andere Geschosse ungerechnet; in der Tat ungeheures für eine Stadt.

Während er die zurückgezogenen Maschinen ausbessern, die in jener Nacht Gefallenen bestatten ließ, errichteten die Rhodier, die sehr wohl sahen, daß der Sturm bald erneut werden würde, auf der Seite der Stadt, gegen welche die Maschinen gerichtet waren, eine dritte Mauer, gruben auch vor der Bresche einen tiefen Graben, damit den Belagerern hier zu stürmen möglichst erschwert werde. Zu gleicher Zeit sandten sie ihre tüchtigsten Segler unter Amyntas nach der gegenüberliegenden Küste von Asien; drei Kaperschiffe des Demetrios, die besten seiner Flotte, wurden genommen; auch mehrere Kornschiffe, die für das feindliche Lager bestimmt waren, andere Kaperschiffe unter dem Archipiraten Timokles brachten sie auf und führten sie über Nacht, an den feindlichen Wachtschiffen glücklich vorübersteuernd, in den Hafen. Indes waren Demetrios' Maschinen wiederhergestellt und von neuem gegen die Mauer geschoben61;[322] es wurde ein neuer Sturm versucht; die Geschütze säuberten die Zinnen von Verteidigern, dann arbeiteten die Sturmböcke gegen die Mauern, in kurzem stürzte die Mauer zu beiden Seiten eines Turmes; dieser allein hielt sich, wurde mit höchster Anstrengung verteidigt, so daß der Sturm für jetzt aufgegeben werden mußte. Die Rhodier hatten bedeutende Verluste gehabt; nicht allein ihr Stratege Ameinias war gefallen, sondern auch viele ihrer Bewaffneten, deren Zahl den immer neuen und größeren Anstrengungen des jungen Königs gegenüber kaum noch die Werke gehörig zu besetzen hinreichte. Doppelt erwünscht kam es ihnen daher, daß Ptolemaios außer einen neuen Masse von Lebensmitteln und Vorräten aller Art ein Hilfskorps von 1500 Mann unter Führung des Makedonen Antigonos sandte. Durch die Gesandten der hellenischen Städte, deren sich mehr als fünfzig im königlichen Lager befanden, wurde ein neuer Versuch zur Vermittlung des Friedens gemacht; es wurde vielfach mit den Rhodiern, mit Demetrios unterhandelt, die Bemühungen mißlangen62.

Nun beschloß Demetrios einen neuen und, wie er hoffte, entscheidenden Angriff, zu dem ihm die Bresche des letzten Sturmes den Weg öffnen sollte; 1500 Mann der stärksten und bewährtesten Schwer- und Leichtbewaffneten wurden ausgewählt und angewiesen, unter Befehl des Mantias und des riesigen Alkimos von Epeiros63 um die zweite Nachtwache sich möglichst still der Mauerbresche zu nahen, die Posten zu erschlagen, sich in die Stadt zu werfen; zu gleicher Zeit wurden alle übrigen Truppen auf die Angriffspunkte verteilt mit dem Befehl, zum Sturm bereit zu sein; auch die Flotte legte sich bereit, gegen den Hafen zu manövrieren. Es war tief in der Nacht, die 1500 an der Bresche überfielen die Posten im Graben, erschlugen sie, waren in Augenblicken in der Bresche, über sie hin in der Stadt; sie zogen sich seitwärts hinauf nach dem Theater, das ihnen, hoch wie es lag und mit bedeutender Ummauerung, als Schanze dienen sollte. Schon war ihr Eindringen bemerkt; im ersten Schrecken wäre fast geschehen, was Demetrios gewünscht haben mag, daß von den Mauern und den Häfen her die Besatzungen gegen das Theater zusammenströmten, um die Eingedrungenen zu vernichten; dann hätte er beim[323] Sturm die Werke unbesetzt gefunden, sie leicht erstürmt. Aber gerade das fürchteten und mieden die Rhodier; es wurde befohlen, keiner auf den Türmen und Mauern oder im Hafen sollte seinen Posten verlassen, sondern ihn auf Leben und Tod verteidigen; nur eine Schar Auserwählter, sowie die kürzlich angekommenen Ägypter wurden gegen die Eingedrungenen kommandiert. Mit dem Morgengrauen ertönten draußen von allen Seiten her die Heertrompeten und das Kriegsgeschrei; gegen den Hafen, gegen die Türme und Mauern wurde gestürmt; mit stolzem Mut begannen die Tapferen vom Theater aus ihre Angriffe; mit Mühe, mit großem Verlust – auch der rhodische Prytan fiel – erwehrten sich die gegen sie Kommandierten ihres Vordringens; in der Stadt war die höchste Angst, Weiber und Kinder rannten jammernd und händeringend durch die Straßen, man glaubte alles verloren, die Stadt schon überwältigt. Indes mehrte sich die Schar der gegen das Theater kämpfenden Rhodier; wer nur konnte, drängte sich mit zum Kampf; es galt Freiheit und Leben. Ohne die feste und ruhige Haltung in den Maßregeln der Behörde wäre alles verloren gewesen; aber niemand verließ seinen Posten, auf keinem Punkte gewannen die draußen Stürmenden den geringsten Vorteil, während die im Theater, mehr und mehr gedrängt, vom Kampf endlich ermüdet, kaum sich zu verteidigen vermochten; Alkimos fiel, Mantias, viele der Tapferen wurden gefangen, der geringste Teil schlug sich durch und rettete sich zum König ins Lager. Auch dieser Sturm war mißlungen, und doch war die Stadt schon so gut wie gewonnen gewesen64.

Mag es wahr sein, daß sich keine Stadt bei einer sachgemäßen und mit hinreichenden Mitteln geführten Belagerung auf die Dauer halten kann, jedenfalls tat die Stadt Rhodos, was nur möglich war und, wenn irgend eine, hat sie sich mit Mut, Energie und ausgezeichneter Umsicht verteidigt. Gewiß hätte sie der Übermacht, den immer neuen Wagnissen des Demetrios, so wenig diese geordnet und mit fester Konsequenz geführt zu sein scheinen, endlich erliegen müssen; noch aber waren ihre Verteidigungsmittel und ihr Mut keineswegs zu Ende, während Demetrios mit unverhältnismäßigem und in der Tat staunenswürdigem Aufwand von Kräften im Grunde noch nichts erreicht hatte. Er rüstete sich zu neuen Angriffen, da kam der Befehl seines Vaters: wenn er es mit annehmbaren Bedingungen könne, mit den Rhodiern Friede zu schließen;[324] die Lage der Dinge in Griechenland fordere seine Gegenwart. Auch die Gesandten des Aitolischen Bundes und der Athener erklärten: Kassandros habe bereits solche Fortschritte in Griechenland gemacht, daß, wenn nicht schleunige Hilfe komme, man sich seiner nicht werde erwehren können. Die Rhodier selbst waren nicht minder zum Frieden geneigt; sie hatten durch das Stocken des Handels, durch die Belagerung und die wiederholten Kämpfe unglaublich gelitten; Ptolemaios hatte ihnen kürzlich neue Getreidesendungen und ein Hilfsheer von 3000 Mann versprochen, dann aber in späteren Zuschriften ihnen geraten, wenn sie annehmbare Bedingungen erhalten könnten, den Frieden anzunehmen. So kam durch Vermittlung der aitolischen Gesandten der Friede unter folgenden Bedingungen zustande: die Rhodier sollen frei und selbständig sein, keine Besatzung erhalten, ihre Einkünfte behalten, Bundesgenossen der Könige Antigonos und Demetrios sein außer gegen Ptolemaios, sie sollen dessen zum Zeugnis 100 Geiseln stellen, die Demetrios aus der Bürgerschaft mit Ausschluß der Beamten wählen wird. Dieser Vergleich wurde etwa im Sommer 304 abgeschlossen. Man beglückwünschte sich nach der ritterlichen Weise damaliger Kriegführung gegenseitig; Demetrios ließ den Rhodiern zum ewigen Gedächtnis seiner großartigen Belagerungsarbeiten und ihrer außerordentlichen Tapferkeit die Helepolis zurück65.

Mit gerechtem Selbstgefühl durften die Rhodier auf diesen glücklichen Kampf gegen die größte Macht, den größten Helden der damaligen Zeit zurücksehen; sie hatten während desselben eine Haltung und innere Kraftfülle entwickelt, die sie zum Gegenstand der allgemeinen Bewunderung machte. Nicht bloß erhoben sie sich schnell und weit über die frühere Blüte hinaus, stellten ihre Stadt, ihr Theater, ihre Mauern schöner als früher wieder her; sie standen von dieser Zeit an in der Reihe der maßgebenden Staaten, in der sie sich durch kluge und zurückhaltende Politik zu behaupten verstanden. In der vollen Freude des gewonnenen Friedens gewährten sie denen, die sich um sie verdient gemacht, Dank und Ehre; den Sklaven, die zur Verteidigung der Stadt zu den Waffen gegriffen, gaben sie die verheißene Freiheit; die Bürger, die sich im Dienst des Vaterlandes hervorgetan, wurden mit Geschenken und Ehrenrechten ausgezeichnet; den Königen Kassandros und Lysimachos, sowie anderen, die sich um die Stadt verdient gemacht hatten, wurden Statuen errichtet. Für den König von Ägypten, den Wohltäter der Stadt, suchte man Zeichen der höchsten Dankbarkeit; man schickte Theoren an das Orakel des Ammon und ließ anfragen, ob man den König Ptolemaios als Gott verehren[325] dürfe; es kam günstige Antwort, und die Rhodier nannten ihn mit einem Beinamen des Zeus den Rettenden (Soter)66, sangen Paiane auf seinen Namen, weihten ihm einen heiligen Hain, dessen vier Seiten Säulenhallen von 300 Schritt Länge umschlossen.

Für die Sache des Antigonos war dieser Ausgang der rhodischen Expedition eine nicht geringere Niederlage als zwei Jahre früher der Rückzug aus Ägypten; zum zweiten Male erwies es sich, daß der greise König, der nach der alleinigen Herrschaft über das ganze Reich Alexanders trachtete, sie geltend zu machen nicht imstande sei; in Ägypten war seine Landmacht gebrochen, Rhodos kostete ihn die Hoffnung auf die alleinige Herrschaft des Meeres; und schon war Gefahr, daß ihm auch Griechenland entrissen werde; Kassandros stand belagernd vor Athen.


Es ist nötig, an dieser Stelle einige Jahre zurückzugehen, um das zu berichten, was sich während des kyprischen, des ägyptischen, des rhodischen Krieges in Europa zugetragen.

Als Demetrios anfangs 306 Athen verließ, um nach Kypros zu segeln, war nicht bloß die Demokratie Athens hergestellt und die Herstellung der attischen Seemacht begonnen, sondern die Gegner des Kassandros aller Orten regten sich, die Epeiroten erneuten ihre Unabhängigkeit, indem sie den jungen Pyrrhos aus der Fremde zurückriefen und als König bestellten; und damit gewann die antimakedonische Bewegung von Leukas und Aitolien bis Apollonia jenseits der Akrokeraunen und landeinwärts bis zu den Illyriern des Glaukias einen Mittelpunkt. Kassandros wäre in ein schweres Gedränge gekommen, wenn, wie er erwarten mußte, Demetrios sich mit dem Frühling 306 gegen ihn erhob. Statt dessen ging dieser mit seiner Seemacht nach dem Osten, und die Bewegung in Hellas blieb sich selbst überlassen.

Die wiederhergestellte Demokratie in Athen, nun ihres zu mächtigen Gönners frei, begann, die ihr eigenen Fermente wirken zu lassen. Es gab dort Männer, die es für möglich hielten, das tiefgesunkene Volk noch einmal zu heben, die Politik und Macht besserer Zeiten wieder ins Leben zu rufen, dem wenn auch kleinen Freistaat Bedeutung und Achtung neben den Königreichen im Norden und Osten zu erwerben. An der Spitze dieser Partei stand Demochares, des Demosthenes Schwestersohn, ein Mann von herbem Charakter, von großem Talent, von heißer Vaterlandsliebe; er hatte während der Zeit des Phalereers jede öffentliche Stellung verschmäht;[326] so entschieden er sich damals gegen die Oligarchie erklärt hatte, ebenso bestimmt und rücksichtslos mißbilligte er jetzt das Verhältnis der neuen Demokratie zu König Demetrios: es gelte, gegen jede äußere Macht die Unabhängigkeit zu bewahren, die herrschsüchtige Liberalität des jungen Königs sei nicht minder gefahrvoll als die oligarchischen Tendenzen des makedonischen Einflusses. Ihm gegenüber stand nicht sowohl eine Partei von entgegengesetzten Prinzipien, als einzelne mehr oder minder talentvolle Männer, denen die Politik Athens nur als Handhabe galt, sich den königlichen Gönnern Athens dienstwillig zu zeigen, um Belohnungen, Geschenke, erweiterten Einfluß von ihrer Gnade zu ernten: wenn man will, die Servilen. Der bedeutendste unter ihnen war Stratokles, des Euthydemos Sohn, der sich bereits über vierzig Jahre in den öffentlichen Angelegenheiten bewegt hatte, ohne bisher zu besonderer Geltung gelangt zu sein; nur für einen Augenblick war er während der Harpalischen Prozesse in den Vordergrund getreten; seine überschwenglichen Erfindungen zu Ehren des Königs Demetrios hatten ihn bei dessen Anwesenheit zum Organ des Volkes gemacht; gewiß weder ein besonders honetter Charakter, noch von so bedeutender Begabung wie ehedem Aischines oder Demades; und glich, was von seinen Sitten überliefert wird, seiner Politik, so war er eben ein Athener von dem damals gewöhnlichen Schlage, habsüchtig, eitel auf seinen Einfluß, leichtsinnig, ein Großsprecher.

Es charakterisiert das Verhältnis, in dem Antigonos und Demetrios zum Gedächtnis Alexanders standen, daß Stratokles kurz nach der Herstellung der Freiheit ein Dekret zu Ehren des Redners Lykurgos einbrachte, in welchem ausdrücklich dessen Widerstand gegen Alexander gerühmt wurde; eine Ansicht, der auch die patriotische Partei des Demochares ihre Beistimmung gewiß nicht versagte. Von höherem Interesse ist ein zweites Dekret, das ungefähr um dieselbe Zeit von Sophokles, dem Sohn des Antikleides, eingebracht wurde und welches bestimmte, niemand solle eine philosophische Schule halten ohne Genehmigung des Rates und Volkes, die Übertretung des Verbotes mit dem Tode bestraft werden. So auffallend dies Gesetz für den ersten Anblick erscheint, es traf einen wesentlichen Punkt. Fast alle diese lehrenden Philosophen waren nicht Athener von Geburt; die bedeutendsten unter ihnen zeigten sich nicht bloß in ihrer Lehre und ihren Gewöhnungen antidemokratisch, sondern standen mit dem vertriebenen Demetrios von Phaleron und mit Kassandros in engen Beziehungen. Theophrastos, der entschiedenste Anhänger des Kassandros, hatte an 2000 Schüler, die wohl auch ihre politische Ansicht nach der des Lehrers bildeten; aus der Platonischen Schule war eine bedeutende Zahl von Männern hervorgegangen, welche eine Tyrannis[327] gewannen oder erstrebten67; offenbar galt es für philosophisch, in der Demokratie einen überwundenen Standpunkt, im Königtum das wahre Prinzip der Zeit zu finden. Um so mehr war es im Interesse der jetzigen Demokratie, die freie Lehre und die weitere Verbreitung von Ideen zu hindern, denen gegenüber das formelle Recht des »mehreren Teiles« sich nicht eben sicher fühlen konnte. Es scheint dafür gegolten zu haben, daß diese Beschränkung der Lehrfreiheit im Sinn des Königs Demetrios sei68; von Demochares wurde es gewiß, wahrscheinlich auch von Stratokles und seinem Anhang unterstützt, vom Volke angenommen; Theophrast mußte Athen verlassen, wohl noch andere Philosophen. Doch bestand das Gesetz nicht über ein Jahr; ein Peripatetiker Philon verklagte Sophokles »wegen gesetzwidrigen Gesetzesvorschlags«. Mochte er im Interesse der Schule, der er angehörte, und seines verbannten Lehrers sprechen, mochten sich andere überzeugt haben, daß sich Demetrios und Antigonos nicht viel darum kümmerten, welche Ansichten in den Gymnasien und Hallen Athens gelehrt würden, – Demochares mit seiner Verteidigung des Gesetzes drang nicht durch, Sophokles wurde zu einer Strafe von fünf Talenten verdammt, das Gesetz aufgehoben.

Eine noch höhere Rechtfertigung dürfte das Gesetz des Sophokles und dessen Verteidiger Demochares gewinnen, wenn man beachtet, daß Athen mit Kassandros in offenem Kriege war, als es gegeben wurde. Unsere Nachrichten von diesem Kriege sind durchaus lückenhaft; ein attisches Ehrendekret für den Karystier Timosthenes läßt erkennen, daß Kassandros bereits 306 gegen Athen im Felde war, daß Karystos auf Euboia den Athenern Beistand leistete; vielleicht darf man daraus schließen, daß die attische Seemacht mit in Aktion war und gegen die makedonische die See hielt. Jedenfalls kämpfte Kassandros zu Lande mit Erfolg; schon waren Panakton und Phyle, die beiden Festen, die die Nordpässe in das attische[328] Gebiet beherrschen, in seiner Gewalt; Athen selbst war bedroht; mit der höchsten Anstrengung arbeitete Demochares, die Stadt zu befestigen, die Mauern wiederherzustellen, Geschütz, Kriegsbedarf, Vorräte aller Art zu beschaffen. Kassandros rückte in die Ebene, vor die Stadt, Athen wurde eingeschlossen und belagert.

Es ist auffallend, daß seitens des Antigonos und Demetrios bisher nichts zur Beschirmung Athens geschehen war; 1200 Rüstungen, die Demetrios nach dem großen Siege bei Salamis (Sommer 306) nach Athen geschickt hatte, waren die einzige und letzte Unterstützung, die er gewährte. Allerdings mochte während des Jahres 306 der ägyptische Krieg, im Jahre darauf der rhodische die königliche Macht vollkommen beschäftigen, die Könige mochten hoffen, wenn sie Ptolemaios bewältigt, leicht auch Kassandros zurücktreiben und vernichten zu können; als aber der ägyptische Feldzug mißlungen war, als sich die Belagerung von Rhodos tief und tiefer in das Jahr 304 hineinzog, als nun die Nachricht kam, daß Athen selbst bedroht sei, da galt es, schnelle Hilfe zu bringen. Die Gesandten der Athener, der Aitoler erschienen in Demetrios' Lager auf Rhodos; auch vieler anderer Städte Gesandtschaften werden erwähnt; das waren gewiß besonders die Boioter, die seit 310 wieder in Kassandros' Gewalt gekommen waren, überdies Städte der Peloponnes, denn es heißt ausdrücklich, daß Kassandros und Polyperchon, der in der Peloponnes war, viele Städte verwüsteten. Jene Gesandtschaften in Rhodos waren es besonders, die sich bemühten, den Frieden zu vermitteln, und sobald er zustande gekommen war, eilte Demetrios nach Hellas.

Im Spätherbst etwa (304) landete Demetrios mit einer Flotte von 330 Segeln und einer bedeutenden Landmacht bei Aulis; er verkündete: er sei gekommen, Griechenlands Befreiung zu vollenden. Die ganze boiotische Landschaft, die Insel Euboia war in Kassandros' Gewalt, die in Chalkis ihren Mittelpunkt hatte; eine boiotische Besatzung lag in dieser Stadt, gewiß minder, um sie zu schützen, als um statt Geisel in Kassandros' Hand zu sein; denn offenbar hatte nur die Not der Zeit den Boiotischen Bund zur Vereinigung mit Kassandros, die wieder die Abhängigkeit von Theben in sich schloß, bewegen können. Sofort wandte sich Demetrios mit seiner ganzen Macht gegen Chalkis, das den Euripos und die Verbindung zwischen Euboia und dem Festland beherrschte; die Stadt wurde ohne weiteres übergeben und ihre Freiheit proklamiert. Diese schnellen und glücklichen Bewegungen im Rücken des Kassandros, der belagernd vor Athen stand, mochten diesen für seine eigene Sicherheit und seine Verbindung mit Makedonien besorgt machen, um so mehr, da er sich auf Boiotien nichts weniger als verlassen konnte. Er eilte, Attika zu verlassen; Besatzungen blieben in Phyle und Panakton, mit der Hauptmacht ging[329] er über Theben den Thermopylen zu. Demetrios eilte nach, und wenn schon Kassandros selbst ihm entkam, so traten doch an 6000 Makedonen freiwillig zu ihm über, Herakleia am Ausgang der Thermopylen unterwarf sich ihm. Im Siegeszug kehrte er zurück, proklamierte überall die Freiheit, schloß mit den Aitolern ein Waffenbündnis zur weiteren Bekämpfung des Kassandros und Polyperchon, mit den Boiotern Frieden und Bündnis; dann wurden die Festen Phyle und Panakton der feindlichen Besatzung entrissen und den Athenern zurückgegeben, ebenso aus Kenchreai, dem Osthafen von Korinth, die makedonische Besatzung vertrieben.

Mit dem Ende des Jahres 304 war aus dem eigentlichen Hellas Kassandros' Macht vertrieben, innerhalb der Thermopylen die Freiheit hergestellt; je härter Kassandros' wiederkehrende Herrschaft gewesen war, desto höher mochte der Sieg des jungen, freiheitbrin genden Königs gepriesen werden, alle griechischen Staaten seiner Ankunft, der Verwirklichung der Freiheit harren, die er verkündete. Indes beschloß Demetrios, den Winter in seiner geliebten Athenerstadt zuzubringen. Bedenkt man, in wie großer Gefahr die Stadt gewesen war, so mag man es begreiflich finden, daß sie ihren Befreier mit den höchsten Ehren empfing; nach der Weise der damaligen Athener wurden sie bis ins Maßlose gesteigert. Sie gaben ihm den Opisthodom des Parthenon zur Wohnung: die jungfräuliche Göttin, hieß es, wünsche selber den Befreier ihrer Stadt zu bewirten und lade ihn ein, in ihrem Tempel Wohnung zu nehmen. Und hier in dem Allerheiligsten der keuschen Göttin, »seiner ältesten Schwester«, wie er sie nannte, schwelgte er nun nach seiner Weise, den Becher jeder sinnlichen Lust bis auf die Hefe leerend; kein Knabe, kein Mädchen, keine Frau war vor seiner zügellosen Wollust sicher, und Plutarch versichert, die Scham verbiete ihm zu berichten, was alles dort in dem Tempel der Parthenos gefrevelt sei. Er bringt, gewiß aus Duris, einige Geschichten bei, die, wenn nicht zur Charakteristik des Poliorketen, so doch zu der des klatschsüchtigen attischen und hellenischen Publikums und der Richtung, in der der spätere Tyrann von Samos für dasselbe Geschichte schrieb, dienen können. Da heißt es: Demokles, den man den Schönen nannte, reizte vor allen des Königs Wollust, doch widerstand der Knabe allen Geschenken, allen Drohungen; er vermied die Palästren, die öffentlichen Orte, er badete in Privathäusern, um dem König zu entgehen; so badete er einst, Demetrios trat herein; nirgends war Hilfe, kein Ausgang zur Flucht; da riß der Knabe den Deckel von dem Kessel mit heißem Wasser hinweg, sprang in das siedende Wasser und rettete so mit dem Tode seine Tugend. Ein anderer Knabe war Kleainetos, des Kleomedes Sohn; er forderte zum Lohn, daß Demetrios seinem Vater die Geldstrafe[330] von 50 Talenten, die er dem Staate schuldete, erlassen solle; und Demetrios übergab dem Kleomedes einen Brief an das attische Volk, in dem er um Erlassung der Strafe bat. Mit Bestürzung hörte dies das Volk; es wurde dekretiert, für diesmal zu willfahren, doch sollte inskünftig kein athenischer Bürger mehr ein Empfehlungsschreiben des Demetrios vorzubringen befugt sein. Demetrios nahm diesen Beschluß mit so großem Unwillen auf, daß die Athener sich nicht bloß beeilten, ihn zurückzunehmen, sondern auch diejenigen, die ihn beantragt oder empfohlen hatten, teils hinrichteten, teils verbannten; ja es wurde ein neues Dekret auf Stratokles' Antrag gemacht, des Inhalts, daß alles, was König Demetrios befehlen werde, als heilig gegen die Götter und gerecht gegen die Menschen angesehen werden solle. Da soll denn gesagt worden sein, Stratokles müsse von Sinnen sein, daß er dergleichen vorschlage; worauf Demochares: er müßte es sein, wenn er's nicht wäre! Es heißt, daß diese Äußerung Anlaß zu einem Prozeß gegen Demochares gab, infolgedessen er verbannt sein soll. Dem König mußte daran liegen, einen Mann entfernt zu sehen, dessen Sein und Tun für die Athener eine stete Mahnung, für ihn eine stete Kritik zu sein schien.

Es kam das Frühjahr 303. Demetrios eilte, das begonnene Werk der Befreiung Griechenlands zu vollenden; es galt, zunächst die Macht der Gegner in der Peloponnes zu bewältigen, die Staaten zur Freiheit zu rufen, von der Gunst der allgemeinen Meinung unterstützt, sich zum entscheidenden Schlag auf Makedonien zu werfen. In der Peloponnes stand kein vereinigtes feindliches Heer, wohl aber in den wichtigeren Städten und Landschaften, Sparta ausgenommen, bedeutende Besatzungen; Sikyon war noch immer in Händen ägyptischer Truppen; in Korinth stand Prepelaos mit der makedonischen Hauptmacht; die Stadt war, es wird nicht überliefert, wann und weshalb, von Ägypten an Kassandros abgetreten. Kleinere Posten waren über Argos und Arkadien zerstreut, die westlichen Distrikte der Peloponnes waren in Polyperchons Gewalt' und namentlich die Achaierstadt Aigion mit einer starken Besatzung unter Strombichos gedeckt. Demetrios umging zunächst diese Hauptposten, die ihn weder hindern noch gefährden konnten; er wandte sich nach Argos; die Besatzung ergab sich, mit höchstem Jubel empfing ihn die Stadt. Ihrem Beispiel folgten Epidauros und Troizen; eben jetzt trat die Herafeier in Argos ein, ein penteterisches Fest, zu dem sich die Griechen von nah und fern zu versammeln pflegten; Demetrios übernahm die Sorge für die Kampfspiele, für die Bewirtung der Fremden. Das Fest war zugleich des Königs Hochzeitsfeier: er vermählte sich mit Deidameia, des jungen Epeirotenkönigs Pyrrhos Schwester, die früher dem Sohn der Roxane verlobt gewesen war; das Interesse des Demetrios und des epeirotischen[331] Königreichs schien miteinander Hand in Hand zu gehen, beide hatten gegen Kassandros zu kämpfen, jene Vermählung sollte das Bündnis befestigen; es schien dem jungen Pyrrhos desto gewisseren Besitz seines Landes zu garantieren.

Von Argos aus ging Demetrios nach Arkadien, bis auf Mantineia ergab sich die ganze Landschaft. Hierauf sollte Sikyon angegriffen werden, wo Philippos mit ägyptischer Besatzung stand; um ihn ganz sorglos zu machen, ging Demetrios nach Kenchreai und begann dort Festlichkeiten und Zerstreuungen aller Art, während seine Flotte die Peloponnes umfuhr und, wie es scheint, die Hauptorte der messenischen und elischen Küste besetzte. Sobald sie bei Rhion vorüber war, ließ Demetrios unerwartet die sämtlichen Söldnerscharen unter Diodoros von Westen her gegen das Pellener Tor von Sikyon anstürmen, während zugleich die Flotte sich auf den Hafen warf, Demetrios selbst mit dem übrigen Fußvolk von Osten her gegen die Stadt anrückte. Ohne Mühe wurde sie gewonnen, kaum hatte die ägyptische Besatzung Zeit, sich in die Burg zu werfen und dieselbe zu schließen. Die Unterstadt lag nicht wenig von der Burg entfernt, so daß Demetrios Raum hatte, sich zwischen beiden zu lagern und die Burg einzuschließen. Schon begann er, große Maschinen zu errichten und einen Sturm vorzubereiten; da erbot sich Philippos, unter der Bedingung freien Abzugs die Burg zu übergeben. Der Vertrag wurde angenommen, und Ptolemaios' Truppen kehrten, nachdem sie sich fünf Jahre in der Peloponnes gehalten, nach Ägypten zurück. Da die Anlage der Stadt in vieler Beziehung ungünstig war, da sie namentlich von der Burg aus nicht verteidigt werden konnte, wenn sie angegriffen wurde, so forderte Demetrios die Sikyonier auf, die Ebene zu verlassen und sich in der Akropolis anzusiedeln: sie hätten bisher neben der Stadt gewohnt, jetzt möchten sie in derselben wohnen. Natürlich wurde seinem Wunsche willfahren, in der Tat hätte der Stadt nichts Ersprießlicheres kommen können. Der wohlbefestigte Teil Sikyons, der dem Hafen nahe lag, wurde geschleift, durch die vereinten Bemühungen der Städter und der Truppen in kurzer Frist die neue Stadt vollendet auf dem breiten Plateau der früheren Akropolis, dessen steilere Südseite fortan zur Burg umgestaltet wurde; die zahlreichen Künstler der damals hochberühmten sikyonischen Schule arbeiteten zur Verschönerung der neuen Stadt, der Demetrios die volle Freiheit gab. Die Bürger eilten, ihren großen Wohltäter auf jede Weise zu ehren; sie nannten die neue Stadt nach seinem Namen Demetrias, sie ordneten ihm Tempeldienst, Festversammlungen, jährliche Festspiele, Heroenehren als dem Gründer an.

Die makedonische Macht in Korinth war durch die bisherigen Bewegungen des Demetrios vollkommen eingeschlossen. Es gab wie überall, so[332] in Korinth eine Partei, die auf das lebhafteste das Ende der makedonischen Herrschaft wünschte; sie war im geheimen Einverständnis mit Demetrios; sie versprach, ihm ein bestimmtes Tor zu öffnen. Um die Feinde desto sicherer zu täuschen, ließ Demetrios über Nacht einen Angriff gegen den Hafen Lechaion machen; sobald dort das Sturmgeschrei ertönte, eilte alles dem Hafen zu, ihn zu verteidigen, während die Verräter das Bergtor öffneten und den Feind einließen. Schnell wurden die Straßen besetzt, die Makedonen flüchteten teils auf Akrokorinth, teils auf das Sisypheion; am nächsten Morgen waren Stadt und Hafen in Demetrios' Gewalt. Sofort begann die Belagerung der beiden festen Punkte, die durch die eifrige und durch Prepelaos wohlgeleitete Verteidigung nicht wenig erschwert wurde. Endlich wurde das Sisypheion erstürmt, die Besatzung flüchtete in die festere Burg Akrokorinth; mit doppelter Anstrengung wurde sie belagert, Maschinen errichtet, mächtige Werke aufgeführt, alles mit der Kunst, Schnelligkeit und Zweckmäßigkeit, wie sie dem Ruhme des Städteeroberers entsprach. Prepelaos erkannte wohl, daß er weder von Kassandros Hilfe erwarten dürfe, noch auf die Dauer widerstehen könne; er scheint umsonst eine Kapitulation versucht zu haben; er rettete sich durch die Flucht. Akrokorinth wurde genommen, die Freiheit der Stadt proklamiert, doch blieb eine Besatzung auf der Burg; die Korinther selbst baten darum, bis der Krieg gegen Kassandros beendet sei.

Nun eilte Demetrios, sich der übrigen Gegenden der Peloponnes zu bemächtigen; er zog westwärts nach Achaia; die Stadt Bura wurde mit Gewalt genommen, ihre Freiheit proklamiert; dann rückte er gegen Skyros und nahm auch diese Stadt in wenigen Tagen. Hierauf ging er zurück zu den übrigen Städten Achaias. In Aigion stand Strombichos mit einer bedeutenden Truppenmacht des Polyperchon; Demetrios ließ ihn zur Übergabe auffordern; mit Schimpfreden von der Mauer herab antwortete Strombichos; nun ließ der König die Maschinen gegen die Mauer bringen, das Stürmen beginnen, in kurzer Frist war der Platz genommen; Strombichos und 80 andere mit ihm wurden vor den Toren der Stadt an das Kreuz geheftet, die übrige Besatzung von 2000 Mann erhielt ihren rückständigen Sold und wurde in das königliche Heer aufgenommen. Nachdem nun auch Aigion gefallen war, verzweifelten die kleineren Posten in der Umgegend, sich halten zu können gegen Demetrios, und Hilfe von Ägypten, von Makedonien her hatten sie nicht zu erwarten; sie eilten, sich der Gnade des Königs zu ergeben.

Mit diesen Begebenheiten mochte der größte Teil des Jahres 303 verstrichen sein. Demetrios war Herr in Hellas und der Peloponnes; den Staaten war die Freiheit wiedergegeben, die Ergebenheit gegen Demetrios Bedingung ihrer Existenz. Er lud zu einem Synhedrion nach Korinth;[333] Unzählige versammelten sich auf dem Isthmos; nicht leicht mochte irgend eine Stadt diesseits der Thermopylen ihre Gesandten fehlen lassen. Über die dort gepflogenen Verhandlungen sind wir nicht näher unterrichtet; unzweifelhaft scheint es, daß die Föderation der hellenischen Staaten, die seit dem Lamischen Kriege oder doch seit dem Herrentum des Kassandros über Hellas aufgehört haben muß, wieder erneut wurde, im wesentlichen vielleicht auf den Grundlagen des Philippischen Bundes von Korinth69, gewiß mit größerer Autonomie der einzelnen Staaten. Es wird überliefert, daß sich Demetrios zum Hegemon von Hellas habe bestellen lassen; natürlich konnte diese Hegemonie nur gemeint sein gegen die Anmaßung des Machthabers in Makedonien und der anderen Usurpatoren des königlichen Titels; als solche hat Demetrios sie dort in Korinth bezeichnet, »den Nauarchen« Ptolemaios, den »Elefantarchen« Seleukos, den »Schatzmeister« Lysimachos, den »Nesiarchen« Agathokles, ihnen gegenüber seinen Vater als den wahren König des Reiches preisend, und als den schönsten Beruf des Königtums, die Freiheit der Hellenen herzustellen und zu sichern. Es scheint nach Demetrios' Stellung den Usurpatoren gegenüber ebenso wie nach seiner persönlichen Art wahrscheinlich, daß er zu gleicher Zeit sich als Vertreter der Demokratie gegen das oligarchische Wesen bezeichnete, daß er als das Recht und den Vorzug des einheitlichen Reiches geltend machte, die Freiheit und Demokratie der hellenischen Städte zu sichern, während jene usurpatorischen Machthaber der Natur der Sache nach das stolze Freiheitsrecht der Hellenen nicht gelten lassen könnten. Von der weiteren Organisation des neuen Bundes, von der Tätigkeit und Kompetenz des Synhedrions fehlen alle weiteren Nachrichten. Nur soviel scheint gewiß, daß mit der Ernennung des Demetrios zum Bundesfeldherrn zugleich beschlossen worden ist, daß ihm zu dem im nächsten Jahre zu beginnenden Feldzug gegen Kassandros die Bundesstaaten ihre Kontingente stellen sollten.

Indes hatte sich der Küste von Epeiros gegenüber auf der Insel Korkyra, die im Jahre 312 sich von der makedonischen Herrschaft befreit hatte, ein Ereignis zugetragen, das nicht wenig störend in die hellenischen Verhältnisse einzugreifen drohte. Die reiche Republik Tarent hatte sich an dem schweren Krieg zwischen Rom und den Samniten nicht beteiligt, sich begnügt, ihren kleinen Krieg mit den Lukanern, den Bundesgenossen Roms, fortzusetzen; daß die Samniten endlich in Rom um Frieden bitten mußten (305), machte die Lukaner nur um so eifriger, ihren Krieg gegen Tarent fortzusetzen. Die Stadt wußte sich keine andere Hilfe, als, wie in früherer Zeit, einen Fürsten mit seinem Heer in Sold zu nehmen. Sie wandte sich an ihre Mutterstadt Sparta. Dort war Kleonymos, des Königs[334] Kleomenes Sohn, der seit seines älteren Bruders Akrotatos Sohn König geworden war, nicht aufgehört hatte, gegen ihn Ränke zu spinnen, als wenn ihm das Königtum gebühre. Ihn loszuwerden, gestatteten ihm die Ephoren gern, ein Heer zu werben, um es den Tarentinern zuzuführen. Tarentiner Schiffe kamen, ihn mit den 5000 Mann Söldnern, die er auf dem Tainaron geworben, nach Italien zu bringen. Mit den Tarentiner Milizen und weiter geworbenen Söldnern auf 20000 Mann verstärkt, nötigte er die Lukaner, mit Tarent Frieden zu schließen, veranlaßte sie, da die Metapontiner nicht beitraten, in deren Gebiet einzubrechen, warf sich dann selbst in diese hellenische Stadt, schaltete dort mit Erpressungen und Gewaltsamkeiten auf das freventlichste; statt weiter gegen die anderen Bundesgenossen Roms und gegen die Römer selbst zu kämpfen, plante er wüste Projekte aller Art, auch die Befreiung Siziliens soll er vorgehabt haben. Plötzlich warf er sich dann auf Korkyra, das zu Unternehmungen nach Hellas, Italien, in der Adria gleich günstig gelegen war; ohne Mühe nahm er die wehrlose Insel, brandschatzte sie, legte Besatzungen in ihre wichtigsten Plätze. Dies mag im Jahre 303 geschehen sein. Sowohl Demetrios wie Kassandros schickten an ihn Gesandte und forderten ihn zu einem Bündnis auf; er weigerte sich beiden. Er erfuhr jetzt, daß Tarent von ihm »abgefallen« sei; so verstand er den Vertrag, den die Stadt mit Rom geschlossen und in dem sich die Römer verpflichtet hatten, ihre Schiffe nicht über das Lakinische Vorgebirge hinaussegeln zu lassen; beiden mochte die Wiederkehr des wüsten und kriegsgewaltigen Abenteurers bedrohlich genug erscheinen, um künftigem Streit vorzubeugen. Kleonymos kam mit seiner Macht von Korkyra, warf sich auf Hyria im Salentiner Lande, ward dort von den Römern hinweggetrieben; er soll dann einen Zug gegen die reichen Lande an der Brentamündung unternommen haben, aber völlig damit gescheitert und mit Verlust seiner meisten Schiffe und Truppen abgezogen sein.

Seine Abwesenheit, so scheint es, benutzte Demetrios zu einem Seezug gegen die Insel, dessen Erfolg die Befreiung derselben und die Vertreibung des Kleonymos gewesen zu sein scheint. Auch Leukas, dem Lande der Akarnanen gegenüber und, wie es scheint, bisher noch in Kassandros' Händen, wurde auf diesem Zuge befreit70.

Zurückkehrend sandte Demetrios nach Athen die Botschaft, daß er im[335] Monat Munychion (etwa April) in der Stadt sein, daß er bald darauf zum Feldzug gegen Makedonien ausziehen werde; zuvor aber wünsche er noch in die Eleusinischen Mysterien eingeweiht zu werden und die verschiedenen Grade ohne weiteren Aufenthalt durchzumachen. Das Verlangen des Königs war gegen alle heiligen Gesetze, nach denen jeder erst in die kleinen Mysterien im Anthesterion (Februar) eingeweiht und erst im zweiten Jahre darnach zu den großen Weihen im Boëdromion (Oktober) geführt wurde. Nur einer von den Anwesenden, der Daduche Pythodoros, wagte zu widersprechen; aber Stratokles trat mit dem Antrag auf, den Munychion zunächst Anthesterion zu nennen und die kleinen Eleusinien zu feiern, dann seinen Namen zum zweiten Male zu ändern, ihn Boëdromion zu nennen, ein Jahr später zu datieren, die großen Mysterien zu feiern, den König zu weihen. Das alles wurde vom Volke gebilligt und in Ausführung gebracht. Als Demetrios kam, empfingen ihn die Athener auf das feierlichste, Spende gießend, Weihrauch opfernd, Kränze weihend, sangen in Prozessionen aller Art Chorlieder, oder umringten ihn mit ithyphallischen Chortänzen, singend: er sei der einzige wahrhaftige Gott, des Poseidon Sohn und der Aphrodite, schön und lächelnd von Antlitz; sie flehten zu ihm mit erhobenen Armen, beteten ihn an71. Er selbst aber bezog wieder den Tempel der Parthenos und schwelgte dort in wüster[336] Wollust mit seiner Flötenspielerin Lamia, mit Leaina, mit anderen Lustdirnen, mit dem Heer von Schmeichlern, das ihn umgab; und die Athener weihten der Lamia Aphrodite einen Tempel und den Lieblingen des Königs Altäre und Heroenopfer und Spenden. Ihm selber war es zum Ekel; diese Menschen, deren Beifall zu gewinnen sonst sein edelstes Streben gewesen war, erkannte er in ihrer tiefen Erbärmlichkeit, und er trieb Hohn damit, sie zu erniedrigen. »Demetrios«, so sagt der herbe Demochares, »sah, was man ihm tat, mit Unwillen, es erschien ihm vollkommen niedrig und schmachvoll; sie trieben es viel weiter, als er selbst wünschte; er war betroffen über das, was er sah, er sagte: kein Athener habe jetzt mehr Seelengröße und edlen Sinn.« Zweihundertfünfzig Talente mußte die Stadt beitreiben; als sie gebracht wurden, gab er sie in Gegenwart der Abgeordneten seiner Lamia: »Kauf dir Schminke dafür.« Diese Person, die nicht mehr jung, aber geistreich und liebenswürdig war, verstand, wenn nicht ihn ausschließlich zu fesseln, doch stets von neuem sich ihm anziehend und notwendig zu machen; sie erpreßte und verpraßte auf eigene Hand ungeheure Summen, und daß sie nicht eifersüchtig war, machte sie dem König um so bequemer72. Die rechtmäßigen Gemahlinnen,[337] die edle Phila, die Athenerin Eurydike, die schöne Deidameia, waren so gut wie vergessen. Es war nicht Athen allein, das, sich erniedrigend, um des Königs Gunst buhlte; Theben, das wegen Anhänglichkeit an Kassandros seinen Unwillen fürchten mochte, tat nichts Geringeres, auch dort wurde ein Tempel der Lamia Aphrodite geweiht. Die übrigen Städte werden je nach Vermögen ähnliches getan und sich bemüht haben, von gleichem Enthusiasmus beseelt zu scheinen.

Endlich mit dem Sommer 302 begann Demetrios den auf dem Bundestag von Korinth angekündigten Feldzug gegen Makedonien. Es war das Signal zu einem allgemeinen Krieg der makedonischen Machthaber.


Quelle:
Johann Gustav Droysen: Geschichte des Hellenismus. Tübingen 1952/1953, Band 2, S. 302-338.
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