21. Präzisierung der Zeit für die die Judäer betreffenden Vorgänge unter dem Kaiser Caligula.

[761] Bekanntlich herrscht eine chronologische Konfusion bezüglich des Faktums von Caligulas wahnwitzigem Befehle, seine Bildsäule im Tempel aufzustellen, und der darauffolgenden Verhandlungen zwischen dem Statthalter Petronius mit dem Volke und dem Kaiser. Die zwei Hauptquellen darüber, Philo (de legatione ad Cajum) und Josephus, differieren darüber unausgleichbar. Nach dem erstern fanden Petronius' Verhandlungen im Sommer statt. Er gibt nämlich als Motiv dafür an, daß der Statthalter das Aufstellen der Bildsäule gegen Caligulas Befehl aufgeschoben habe, weil die Getreidefrucht und alles Übrige in der Reife gewesen. Es sei daher zu befürchten gewesen, daß die Menschen (die Judäer) aus Verzweiflung wegen der zugemuteten Religionsverletzung, da sie ihr Leben geringschätzten, entweder die Äcker verwüsten oder die Ährenfrucht auf den Höhen und in den Ebenen verbrennen würden. Petronius habe es daher für ratsam gehalten, einen Aufschub zu gestatten, damit nicht bloß die Halmfrucht, sondern auch die Baumfrüchte ohne Vernachlässigung eingeheimst werden könnten165. Es ist nicht überflüssig, sich diese ganze Auseinandersetzung [761] in dieser Quelle zu vergegenwärtigen, um den historischen Wert derselben richtiger beurteilen zu können. Es folgt also daraus unzweideutig, daß sie, wenn nicht Caligulas Befehl, so doch jedenfalls die darauf erfolgten Schritte Petronius' in den Sommer gesetzt hat.

Josephus setzt aber eben so unzweideutig Petronius' Verhandlung in den Spätherbst. Er erzählt, daß die Menge, verzweifelt wegen des beabsichtigten Attentats auf das Heiligtum, in Tiberias vor Petronius versammelt, erklärt habe, lieber zu sterben, als diese Schändung zu erleben. Vierzig Tage hintereinander habe sie diese Drohung der Verzweiflung kund gegeben und habe tatsächlich den Landbau vernachlässigt, obwohl die Zeit zur Aussaat herangekommen gewesen166. Noch deutlicher bestimmt Josephus die Zeit für dieses Faktum an einer anderen Stelle. Petronius habe dem Volke verkündet, daß er auf dessen Wunsch eingehe, dem Kaiser die Widersetzlichkeit und die Todesentschlossenheit des ganzen Volkes anzuzeigen und auf eigene Gefahr das Aufstellen der Bildsäule zu unterlassen. Er habe das Volk dabei aufgefordert, die Felder zu bestellen. Das Volk sei darauf hoffnungsvoll an die Feldarbeit gegangen, und es habe sich dabei ereignet, daß, nachdem das ganze Jahr hindurch Dürre geherrscht habe, plötzlich Regen eingetreten sei167.

Dazu kommt noch ein Scholion zu Megillat Ta'anit, welches ebenfalls diese Begebenheit in den Herbst setzt. Der Text der Megillat Ta'anit gibt nämlich nur unbestimmt an: »am 22. ist aufgehoben worden das Werk, welches der Feind in den Tempel zu bringen befohlen hatte, und Cajus Caligula ist getötet worden.« Daß unter סוגלקסג Cajus Caligula zu verstehen und das Wort korrumpiert ist (auch in סונלקסג), ist längst erkannt worden (o. S. 748). Das Scholion bezeichnet die Tatsache genauer und bestimmt das chronologische Moment mit außerordentlicher Präzision. Die Nachricht, die Bildsäule aufzustellen, sei in Jerusalem am Vorabend des Hüttenfestes (14. Tischri), und am 22. Schebat die Kunde vom Tode Caligulas eingetroffen. Die aufregende Begebenheit habe also nur im Ganzen vier Monate und acht Tage gedauert (14. Tischri bis 22. Schebat). Die Scholia zu den Gedenktagen der Megillat Ta'anit stammen zwar aus verschiedenen Zeiten, manche aus sehr später Zeit. Aber dieses Scholion muß aus einer alten und historischen Quelle stammen, denn es kennt viele Details, welche auch Philo und Josephus anführen. Es kennt den Statthalter Petronius, den es als Boten oder Gesandten bezeichnet; es führt ferner an, daß die Menge ihn angefleht hat, den Entweihungsversuch aufzugeben: חילשל םיננחתמו םיקעוצ ויה. Es gibt ferner an, daß die Menge in vielen Städten, welche der Gesandte berührte, in Trauer zubrachte: םיקושב ןילטומ ויהש םדא ינב האר (רפאה לעו) קשה לע. Endlich stimmt auch die von ihm angegebene Zeit aufs Genaueste, wie wir weiter sehen werden. Aus dieser, wenn nicht klassischen, doch beachtenswerten Quelle wird Josephus' Zeitangabe bestätigt, daß der Vorgang im Herbste stattgefunden hat. Der Widerspruch besteht also [762] in aller Schärfe und kann durchaus nicht ausgeglichen werden. Keims Ausgleichung, daß der Befehl Caligulas und Petronius' erste Verhandlung mit den Judäern in den Sommer des Jahres 39 zu setzen sei, die sich dann den ganzen Winter 40-39, den ganzen Sommer 40 bis zu Caligulas Tod Januar 41 hingezogen habe, dieser Ausgleich ist unhaltbar, und es ist unbegreiflich, wie sich dieser Forscher die Sache so leicht machen konnte, zu bemerken: »die gegenseitige Ergänzung (Philos und Josephus', eines aus dem andern) ist nicht schwer herzustellen« (Geschichte Jesu von Nazara I, 237 e).

Denn nach dieser Annahme hätte sich die Angelegenheit anderthalb Jahre, von Sommer 39 bis Caligulas Tod, Anfangs 41, hingezogen. Wir haben aber eben aus dem Scholion erfahren, daß sie kaum 5 Monate gedauert habe. Selbst aus Josephus' Relation geht hervor, daß die Spannung sich nicht so lange hingezogen hat. Er referiert hinter einander: Petronius habe den Befehl empfangen, die Bildsäule aufzustellen, sei mit Legionen von Antiochien nach Ptolemaïs ausgebrochen, um dort Winterquartiere zu nehmen, habe sich dann, durch den Jammer des Volkes bewegt, nach Tiberias begeben, um mit den judäischen Großen die gefahrvolle Sache in Beratung zu ziehen, und habe auf deren Rat an Caligula ein Schreiben über die Sachlage gerichtet und Rücknahme des Befehles empfohlen. Dieses Alles kann ja in kurzer Zeit aufeinander erfolgt sein, da, wie Josephus angibt, die Menge vierzig Tage flehend und jammernd in Tiberias zugebracht habe.

Die Unrichtigkeit dieser Ausgleichung durch die Prokrastinierung der Zeit bis ins Jahr 39 ergibt sich aus der Philonischen Schrift selbst. Diese läßt Petronius Caligula gegenüber als Grund zur Rücknahme des Befehles geltend machen, weil der Kaiser beabsichtige, eine Reise nach Alexandrien zu unternehmen, und für sein zahlreiches Gefolge zu Land der Ernte Palästinas nicht werde entbehren können (das. § 33, p. 583, Z 14 fg.): Διέγνωκε μὲν γὰρ, ὡς λόγος, πλεῖν εἰς Ἀλεξάνδρειαν ... οὐ χάριτι τῶν Ἰουδαίων, ἀλλ' ἕνεκα τῆς τῶν καρπῶν συγκομιδῆς. Philo läßt daraus Caligula erwidern: die Bedachtnahme auf hinreichende Lebensmittel für sein Gefolge sei ein leerer Vorwand; denn selbst wenn ganz Judäa nichts liefern könnte, würde es ihm, dem Kaiser und seinem Gefolge, an nichts mangeln (das. 34 p. 584, Z. 14 fg.). Nun hat Caligula allerdings beabsichtigt, eine Reise nach Alexandrien zu machen, aber erst im Jahre 40 nach seiner Rückkehr von der germanisch-gallischen Expedition, und zwar nach dem 31. August, wie aus Sueton hervorgeht (Caligula 49). Philo selbst dachte sich also diesen Vorgang im Jahre 40 und nicht ein Jahr vorher [vgl. hierzu die Ausführungen Schürers I2, S. 503, und seine chronologische Übersicht das. Anm. 187. Ferner Kohout a.a.O., S. 589 f.].

Dazu kommt noch ein anderer Umstand. Josephus knüpft in den Altertümern (XVIII, 8, 2) Caligulas wahnsinnigen Einfall bezüglich der Statue an die Geschichte von der Gesandtschaft der Alexandriner, als wenn der Streit der Alexandriner um das Bürgerrecht und die Anschuldigung der alexandrinischen Heiden, daß die Judäer dem Kaiser in ihren Proseuchen nicht göttliche Verehrung zollten, ihn darauf gebracht hätte, einen Coup auszuführen und die Verehrung seiner Bildsäule im jerusalemischen Tempel zu erzwingen. Ähnliches berichtet auch die Philonische Schrift an der angeführten Stelle, die, wenn man sie genauer als es bisher geschehen ist, betrachtet, ebenfalls an die Hand gibt, daß sich die Vorgänge in Judäa erst während der gesandtschaftlichen Verhandlungen der Alexandriner abgesponnen haben.

Ehe wir aber diesen Punkt, welcher entscheidend für diese chronologische [763] Frage ist, in Betracht ziehen, müssen wir uns in der Zeit orientieren. Im Jahre 39 machte Caligula seine kindischen Feldzüge nach Germanien, Gallien und Britannien; die Zeit seiner Abreise ist unbestimmt, nur so viel wissen wir, daß er im Januar 40 in Lyon weilte (Sueton Caligula 17: Tertium (consulatum) autem Luguduni iniit solus.) An seinem Geburtstage, 31. August 40, kehrte er nach Rom zurück, und 24. Januar 41 wurde er umgebracht. Der Befehl, seine Bildsäule aufzustellen, müßte also, wenn im Jahre 39 erlassen, noch vor dieser Expedition ergangen sein; auch der erste Depeschenwechsel zwischen Petronius und ihm müßte in diese Zeit gesetzt werden. Allein, sollte Caligula, welcher nicht mit sich spaßen ließ, Geduld gehabt haben, Petronius' Ungehorsam gegen seinen Befehl länger als ein Jahr zu ertragen? Diese chronologische Richtigstellung führt darauf, daß die ganze Bildsaulengeschichte erst nach Caligulas Rückkehr aus Gallien, nach August 40, anzusetzen ist, und so läßt auch Philo die Korrespondenz zwischen Petronius und Caligula nach und von Rom aus führen. Richtig setzt daher Clinton den ganzen Vorgang innerhalb des Jahres 40. (Fasti Rom. ad 40.) The transaction of Petronius, described by Josephus and Philo are fixed by these incidents to An. D. 40. Aber dabei muß die Einschränkung gemacht werden, im Jahre 40 nach dem 31. August, dem Tage der Rückkehr; dann wird aber die Angabe »z.Z. der Ernte«, d.h. vor August dieses Jahres, erst recht verdächtig. Und Keims Darstellung, als wenn die Audienz der alexandrinischen Gesandtschaft vor Caligula noch im Winter 39/40 stattgefunden hätte (a.a.O. S. 235), d.h. die Audienz in Italien, während der Kaiser in Gallien war, richtet sich selbst. Schürer, der in dieser Frage Keim folgt, nur daß er den chronologischen Widerspruch nicht so leichten Herzens wie jener nimmt, Schürer hat zwar diesen chronologischen Lapsus gerügt und auf den Passus hingewiesen, daß die Gesandtschaft nach dem sogenannten Siege des Kaisers stattgefunden hat (Lb. der neutest. Zeitgesch. 257e). Aber auch er hat übersehen, daß die Stelle bei Philo geradezu aussagt, die peinliche Spannung in Judäa wegen der Bildsäule sei erst während der Audienz der judäischen Gesandten diesen bekannt geworden, d.h. Winter 40 [Vgl. jetzt Schürers Erwägung der chronologischen Schwierigkeiten a.a.O. S. 501, Anm. 147].

Die Philonische Schrift erzählt nämlich mit dramatischer Lebhaftigkeit: als Philo mit seinen Mitgesandten dem Kaiser von Rom nach Dikäarchia (Puteoli) folgte, bekümmert um den Ausgang ihres Gleichstellungsgesuches und jeden Augenblick der Zulassung zur Audienz gewärtig, näherte sich ihnen jemand mit verwirrtem Blicke und beschwertem Atem, führte sie abseits und sprach, kaum des Wortes mächtig: »Habt ihr das neueste gehört?« (ἠκούσατε τὰ καινά;) Als dieser Ankömmling weiter sprechen wollte, wurde er daran durch einen Tränenstrom gehindert, und so ging es zwei und dreimal. Der Mann konnte sich vor Schmerz nicht fassen. Die Gesandten, über diesen Vorfall erschrocken, ermahnten ihn, ihnen doch endlich seine Unglückskunde zusammenhängend zu erzählen, sie nicht zu verschonen, da sie an Schmerz und Tränen gewöhnt seien: Darauf erwiderte der Trauerbote, von Schluchzen unterbrochen: »Unser Tempel ist hin. Eine kolossale Bildsäule in das Allerheiligste desselben zu bringen, hat Cajus (Caligula) befohlen, und ihr den Namen Zeus beizulegen« (Legatio § 29 M. 573): οἴχεται ἡμῶν τὸ ἱερόν. ἀνδριάντα κολοσσιαῖον ἐισωτάτω τῶν ἀδύτων ἀνατεϑῆναι Γάϊος προσέταξε, Διὸς ἐπίκλƞσιν αὐτοῠ.

Die Gesandten, welche, wie angegeben, im Winter 40 Caligula nachgezogen [764] waren, hatten also bis dahin gar keine Ahnung von dieser Sache, sie hatten sie erst von einem Ankömmling als etwas ganz neues, kurz vorher Eingetretenes erfahren. Die Betroffenheit derselben über diese für sie entsetzliche Neuigkeit schildert das folgende drastisch. »Als wir über das Vernommene erstaunt, entsetzt, kaum imstande, einen Schritt vorwärts zu setzen, und auch an Körperkraft gelähmt dastanden, kamen andere Boten, welche dieselbe Schreckenspost überbrachten. Darauf schlossen wir uns gemeinschaftlich ein und betrauerten unser besonderes und das gemeinsame Geschick.« Das Besondere betraf die Alexandriner, denen die Gleichheit entzogen wurde, und das Gemeinsame war die drohende Tempelentweihung. »Damit die unerträgliche Mißhandlung nicht für immer erlassen bleibe168, sind wir mitten im Winter hinübergeschifft, ohne zu ahnen, welcher Wintersturm zu Lande droht, viel heftiger als der zu Wasser. Wird es denn noch gestattet sein, wegen der (geschändeten) Proseuchen sich zu nähern und den Mund aufzutun bei dem, welcher das Allheilige (πανίερον) entweiht? Denn offenbar wird der sich wenig um die unscheinbaren und geringer Ehre würdigen Bethäuser kümmern, welcher gegen den hervorragenden und weitberühmten Tempel wütet, auf welchen Morgen- und Abendland hinblicken, welcher der Sonne gleich überallhin erglänzt.« Das Weiterfolgende stellt nun dar, wie die alexandrinischen Gesandten unschlüssig waren, ob sie noch Caligula um Erhaltung ihrer Gerechtsame anflehen sollten, aus Furcht, noch mehr Unglück für die Judäer dadurch herbeizuführen. »Denn mit der Entweihung des Tempels ist zu fürchten, daß der neuerungssüchtige und frevelhafte Mann (Caligula) befehlen werde, den Namen des Volkes aus dem Gedächtnisse zu löschen.«

Im weiteren Verlaufe erzählt die Schrift ferner, wie er und seine Mitgesandten sich von denen, welche die Unglücksbotschaft überbracht hatten, erzählen ließen, was Caligula bewogen hat, die Tempelschändung zu befehlen (das. § 30 p. 575, Z. 8: δέον προςεξƞγεῖσϑαι καὶ τὰ κεκινƞκότα τὸν Γάϊον). Darauf teilen diese mit, daß sein Zorn im allgemeinen dadurch rege geworden sei, weil die Judäer ganz allein ihm göttliche Ehren versagten, insbesondere aber, weil die Judäer in der Stadt Jamnia einen ihm zu Ehren erbauten Altar zerstört hätten, und diese Beleidigung von ihrem Feinde, dem Verwalter Capito, dem Kaiser in starker Übertreibung mitgeteilt worden sei. Darauf habe Cajus beschlossen, statt des von den Judäern in Jamnia zerstörten Altars eine Kolossalbildsäule für das Heiligtum der Hauptstadt errichten zu lassen. Alles dieses erfuhren Philo und seine Mitgesandten von Personen, welche diese Nachrichten mit Trauer und Entsetzen mitteilten. Sie erfuhren es erst, als sie Cajus von Rom nach Puteoli gefolgt waren, um zur Audienz zugelassen zu werden. Während sie noch in Ägypten waren, wußten sie gar nichts von diesem Vorfall, auch nicht als sie mitten im Winter die Reise von Alexandrien nach Italien gemacht hatten, ja nicht einmal während ihres längern oder kürzern Aufenthaltes in Rom, ehe sie nach Puteoli gekommen waren. Diejenigen, welche es den Gesandten voll Entsetzen mitteilten, hatten es selbst erst kurz vorher erfahren; denn sie überbrachten es diesen als etwas ganz neues mit: ἠκούσατε τὰ καινά? Ohne Zweifel waren diese Berichterstatter judäische Römer, welche [765] zuerst die Trauerpost aus Palästina vernommen hatten und sie den Gesandten, von deren Schritten sie Kunde hatten, zur Instruktion überbracht haben.

Was folgt nun mit voller Gewißheit aus allem diesen oder aus der eigenen Relation bei Philo? 1) Daß die Vorgänge in Judäa vom Aufstellen der Bildsäule unmöglich im Jahre 39 vorgefallen sein können, sonst hätten die Gesandten vor ihrer Abreise nach Italien, Winter 40, Kunde davon haben müssen. 2) Daß sie aus demselben Grunde auch nicht im Frühjahr 40 vorgefallen sein können, auch abgesehen davon, daß Caligula in dieser Zeit in Gallien oder Germanien geweilt hat. Es folgt aber auch 3) daraus, daß Caligulas die Bildsäule betreffender Befehl erst im Herbst erlassen worden sein muß. Die Gesandten waren mitten im Winter nach Italien zur Audienz gereist, d.h. September-November 40, und erhielten die Nachricht von der beabsichtigten Tempelentweihung erst, als sie bereits einige Zeit in Rom geweilt hatten. Bis die Nachricht darüber von Palästina nach Italien gelangen konnte, kann doch nicht eine gar zu lange Zeit verstrichen sein, oder nur so viel, als die Schiffahrt dauerte. Es folgt also entschieden daraus, daß die Peripetien dieses zu einer Tragödie angelegten Stückes nur innerhalb der Zeit von 5 Monaten spielten, vom 31. August 40, Caligulas Rückkehr von seiner Expediton, bis zum 24. Januar 41, Caligulas Ermordung. Josephus' Zeitbestimmung, daß die Bildsäulengeschichte in Judäa im Spätherbste, während der Saatzeit begonnen hat, wird also von dem Bericht in der Philonischen Schrift selbst bestätigt.

Es folgt indessen noch ein Viertes aus dieser letzten Darstellung von der Art, wie die Kunde Philo und seinen Mitgesandten zugekommen war. Es ergibt sich daraus, daß Philo nicht als klassischer Zeuge gelten kann. Er hatte die erste Nachricht von der beabsichtigten Tempelschändung nicht aus erster, sondern wohl aus zweiter oder dritter Hand erfahren. Er selbst erzählt sie uns so, daß zuerst ein Mann in großer Bestürzung ihnen die Vorfälle nur in allgemeinen Umrissen mitgeteilt habe: »Hin ist der Tempel!« Dann seien noch einige Personen hinzugekommen, und von diesen habe er einiges Detail über die Veranlassung erfahren. Die Berichterstatter selbst waren ohne Zweifel, wie oben angegeben, judäische Römer, welche die Schreckensnachricht nur aus Palästina erhalten haben können. Philo kannte also die Vorgänge nur von solchen, die nicht selbst Zeugen derselben waren. Von wem er den ausführlichen Bericht hatte, den er von § 31 bis 42 mit rhetorischer Ausschmückung wiedergibt, ist nicht bekannt. Er hat ihn erst viel später komponiert, während Claudius' Regierung, nachdem der Ägypter Helicon, der Caligula zur Feindseligkeit gegen die Judäer gereizt hatte, von dem erstern dem Tode geweiht war (§ 30 Ende Mangey II, p. 576, Z. 28 fg.). Philos Bericht, selbst wenn er authentisch von ihm stammen sollte, kann daher bezüglich des Details durchaus nicht als authentische Quelle gelten. Abgesehen davon, daß er mit rhetorischen Floskeln überladen ist, erscheint die Rolle, die er den König Agrippa in diesem Drama spielen läßt, durchaus charakter-und geschichtswidrig. Wir dürfen also auf Philos chronologische Angabe in dieser Geschichte wenig oder gar nichts geben. Er hat sie deswegen in die Erntezeit verlegt, um Raum für die verschiedenen Vorgänge zu haben. Petronius habe die Zeit, die ihm bis zur Anfertigung der Bildsäule geblieben sei, dazu benutzt, um dem Dilemma möglicherweise zu entgehen (§ 31): καιρὸν οὖν σχῶν εἰς τὴν τοῠ συμφέροντος διάσκεψιν ... προστάττει τὴν κατασκευὴν ἔν τινι τῶν ὁμόρων ποιεῖσϑαι. Hätte sich die Geschichte innerhalb eines Zeitraumes von 5 Monaten abgespielt, so hätte Philo das Moment zur [766] rhetorischen Ausschmückung gefehlt, daß Petronius durch die zaudernde Anfertigung der Bildsäule Zeit habe gewinnen wollen. Dieses Moment betont Philo daher wiederholentlich und fügt zuletzt noch ein Faktum hinzu, welches durchaus geschichtswidrig erscheint: Caligula habe in Rom eine Koloßbildsäule anfertigen lassen, um sie auf einem Schiffe nach Jerusalem zum Aufstellen transportieren zu lassen (§ 42, M. 595, Z. 14 fg.). Es widerspricht durchaus Caligulas Charakter, was Philo von dessen Antwortschreiben an Petronius berichtet, es sei scheinbar milde gehalten gewesen. Plausibler ist Josephus' Bericht, daß es außerordentlich streng und gereizt gehalten gewesen sei und den Befehl enthalten habe, Petronius möge sich das Leben nehmen.

Die Zeitangabe bei Philo »zur Zeit der Ernte«, hält demnach die Kritik nicht aus. Sie kann nicht richtig sein, weil – da doch darunter nur die des Jahres 40 verstanden sein kann – Caligula in dieser Zeit von Rom abwesend war. Dieses chronologische Moment hat Philo ebensowenig, wie die modernen Forscher beachtet. Philo läßt während dieser Zeit Agrippa in Rom weilen und sich täglich zu Caligula zur Begrüßung begeben, ohne Kunde davon zu haben, daß Petronius geschrieben hat, daß die Ausführung des Befehles wegen der bevorstehenden Ernte bedenklich sei169. Philo will damit sagen, daß Agrippa vorher im Sommer in Rom im Verkehr mit dem Kaiser gewesen sei. Allein das ist ja ganz unmöglich, da Caligula zur Zeit, als Petronius von der bevorstehenden Ernte geschrieben haben soll, also Mai-Juni 40, von Rom abwesend war und erst 31. August dahin zurückkehrte, also vom Einsammeln der Ernte nicht mehr die Rede sein konnte [Da Petronius nicht wissen konnte, ob und wann der Kaiser daheim war, so ist dieses Argument nicht durchschlagend]. Die ganze Darstellung bei Philo erweist sich demnach durchaus als unhistorisch.

Josephus' Zeitbestimmung, daß der Vorgang zur Zeit der Aussaat begonnen habe, hat also die chronologische Richtigkeit für sich und wird vom Scholion zu Megillat Ta'anit, wie schon angegeben, unterstützt. Diese Zeit koinzidiert so ziemlich mit der Zeit der Anwesenheit der Gesandten an Caligulas Hofe, wie denn beide Begebenheiten nicht ohne einen gewissen Kausalnexus zueinander stehen. Es ist aber schwer, die Zeit der verschiedenen Peripetien derselben genau zu fixieren, weil nur der Anfangs- und Endpunkt präzisiert sind, Caligulas Rückkehr nach Rom – 31. Aug. – und sein Tod – 24. Jan. 41. Alles übrige dagegen bewegt sich in Unbestimmtheiten. Die Gesandten reisen nach Italien mitten im Winter. Petronius erhielt den Befehl gegen Beginn der Saatzeit. Selbst die bestimmtere Zeitangabe bei Josephus, daß »fünfzig Tage« nach dem gewöhnlichen Beginne der Aussaat verstrichen waren, als Petronius in einem Schreiben Caligula Vorstellungen machte, gibt keinen rechten Anhaltspunkt, weil der Terminus a quo nur unsicher bestimmbar ist. Bestimmte Data geben lediglich Megillat Ta'anit und das Scholion. Die Nachricht von Caligulas Befehl sei am 14. Tischri eingetroffen und Caligulas Tod in Jerusalem am 22. Schebat bekannt geworden. Indessen bleibt die Frage zu erörtern, ob diese Data zuverlässig sind, und, [767] falls sie es sind, wie sie sich auf die Data des julianischen Kalenders reduzieren lassen. Gelingt das letztere, so wäre damit auch die erste Ungewißheit abgewiesen, und es ließen sich bestimmtere Zeitpunkte für die verschiedenen Phasen aufstellen.

Diese Phasen müssen wir uns ihrer Reihenfolge nach vergegenwärtigen:

1) Philo und seine Mitgesandten reisten mitten im Winter nach Rom, um Audienz beim Kaiser zu erlangen. Sie werden auf einen spätern Termin bestellt, reisen Caligula nach Puteoli nach, um zum Worte zu gelangen, und hier erfahren sie die sie erschütternde Nachricht von der beabsichtigten Tempelschändung.

2) Der Befehl zu diesem Attentat traf im Beginne der Saatzeit ein. Judäer begeben sich zuerst nach Ptolemaïs und dann nach Tiberias, um Petronius ihren Entschluß, lieber zu sterben, kund zu geben und ihn anzuflehen, die Sache einzustellen.

3) Petronius entschließt sich infolgedessen – nach 50 Tagen – an den Kaiser zu schreiben und ihm die Schwierigkeit der Vollstreckung des ihm zugegangenen Befehles auseinanderzusetzen.

4) Ehe dieser Brief in Caligulas Hand gelangt, interveniert Agrippa, und der Kaiser schreibt an Petronius, die Sache einzustellen.

5) Caligula empfängt Petronius' Bedenklichkeiten enthaltenden Brief, gerät in Wut darüber und erläßt ein Schreiben an ihn, sich selbst zu entleiben.

6) Caligula wird ermordet 24. Januar 41. Nach Josephus lag nur eine geringe Zwischenzeit zwischen Caligulas zweitem Schreiben an Petronius und seinem Tode (Altert. XVIII, 8, 9): καὶ τελευτ' μὲν οὐ μετὰ πολὺν χρόνον, ἤ γράψαι Πετρωνίῳ τὴν ... ἐπιοτολἠν. Das Faktum von Caligulas Todesbefehl an Petronius ist also auch innerhalb des Januar 41 anzusetzen und ebenso das diesem vorangegangene Schreiben Petronius' an Caligula.

7) Petronius erhält die Nachricht von Caligulas Tode, stellt den ihm gewordenen Auftrag ein, und die Freudennachricht gelangt nach Jerusalem.

Scheinbar ließen sich die beiden Fakta 5, 7 einigermaßen präzisieren. Denn Josephus referiert, Caligulas zweites Schreiben mit dem Selbstmordbefehl für Petronius sei drei Monate unterwegs gewesen, während die später abgegangene Anzeige von Caligulas Tode 27 Tage früher in dessen Hände gelangt sei170. Demnach wäre diese unterwegs geblieben 3 Monate – 27 Tage = 2 Monate 3 Tage. Abgegangen ist wohl diese Anzeige von Rom am 24. Januar oder dem darauffolgenden Tage. Folglich mußte sie Ende März in Palästina eingetroffen sein, während das Schreiben mit dem Selbstmordbefehl an Petronius erst gegen Ende April überreicht worden sei. Auf diese Angabe hat Schürer keine Rücksicht genommen, obwohl er dabei Josephus' Angabe zitiert. Er bestimmt die Zeitpunkte folgendermaßen: »Anfangs März: Petronius erhält die Nachricht vom Tode Caligulas. Anfangs April: Petronius [768] erhält den Brief mit dem Befehl des Selbstmordes« (L.-B. d. neutest. Zeitgeschichte S. 261 [jetzt I3, S. 506]. Danach bestimmt Schürer die voraufgehenden Fakta chronologisch. Er ging dabei von der Voraussetzung aus, »daß die Nachrichten von Rom resp. Gallien bis Jerusalem und umgekehrt im Durchschnitte etwa zwei Monate brauchten«.

Diese Voraussetzung ist aber entschieden falsch, und ebenso unrichtig ist Josephus' Angabe, daß die Nachricht von Caligulas Tode Petronius erst in 2 Monaten 3 Tagen erreicht habe. So lange kann die Schiffahrt von Italien nach der Küste Palästinas unmöglich gedauert haben, zumal wenn eine so hochwichtige Nachricht wie die von der Ermordung des wahnwitzigen Tyrannen, welche eine völlige Umwälzung in Aussicht stellte, den Statthaltern zu überbringen war. Ludwig Friedländer hat nach einigen bei Schriftstellern vorkommenden Notizen ausgerechnet, daß der Weg von der italienischen Küste, von Ostia, bis Alexandrien in 15 Tagen zurückgelegt wurde, daß die gewöhnliche Fahrt zwar länger dauerte, aber doch nicht mehr als 20-25 Tage zu dauern brauchte (Sittengeschichte Roms II, 2, S. 14). Nun, der Weg von Alexandrien bis nach Joppe oder einem andern palästinensischen Hafenplatze, welchen gegenwärtig ein Dampfer ununterbrochen in kaum 24 Stunden zurücklegen kann, und vom Hafen bis nach Jerusalem kann doch unmöglich mehr als einen Monat gedauert haben? Man darf im Gegenteil von vornherein annehmen, daß eine dringende Nachricht, welche von Rom nach Syrien und Palästina zu überbringen war und sicherlich auf dem kürzesten Wege befördert wurde, kaum länger als einen Monat brauchte. Diese Dauer läßt sich aber auch historisch belegen und dieser Beleg wird eine annähernde chronologische Präzisierung der betreffenden Fakta ermöglichen.

Kaiser Tiberius wurde am 16. März 37 ermordet, und die Nachricht davon traf in Jerusalem zur Zeit des Passafestes ein. Josephus erzählt nämlich, Vitellius, der von Tiberius den Auftrag erhalten hatte, im Interesse des Herodes Antipas den Nabatäerkönig Aretas mit Krieg zu überziehen, habe das Heer vorausmarschieren lassen, und er selbst habe sich zur Zeit des bevorstehenden Festes nach Jerusalem begeben. Am vierten Tage nach seiner Ankunft in Jerusalem sei ihm der Brief mit der Nachricht von Tiberius' Tode eingehändigt worden171. Das Fest, von dem hier die Rede ist, kann nur das Passafest gewesen sein. Ein Jahr vorher war Vitellius ebenfalls zur Zeit des Passa in Jerusalem anwesend (Jos. das. XVIII, 4, 3). Nach der von Schürer angenommenen Voraussetzung, daß eine Nachricht von Rom nach Jerusalem ungefähr zwei Monate gebraucht hätte, müßte das Passa im Jahre 37 tief im Monat Mai gefeiert worden sein, nämlich zwei Monate vom 16. März an gerechnet, – was kalendarisch ganz unmöglich ist. Wenn man dagegen diese Dauer auf einen Monat beschränkt, so wäre damals das Fest in die Mitte des April gefallen. In diesen Monat pflegte das Passa öfter zu fallen. Der Beginn des Passamonats Nissan kann nämlich koinzidieren vom 27. Februar bis zum 12. April, das Passafest also vom 12. März bis zum 26. April, niemals aber später172.

[769] Es handelt sich jedoch bei der vorliegenden Untersuchung zunächst um das, was drei Jahre später (40/41) geschehen ist. Die Nachricht von Caligulas Tode am 24. Januar 41 wurde ohne Zweifel so rasch als möglich von den Konsuln und dem Senat nach allen Richtungen der Windrose verbreitet. Für die römischen Gouverneure in Syrien und Palästina war der kürzeste Weg zur Benachrichtigung der zu Wasser über Alexandrien. Da die Schiffahrt zur Winterszeit mit Schwierigkeiten verbunden war, so darf man wohl annehmen, daß ein Monat vergangen ist, bis Petronius und die Bewohner von Jerusalem diese für beide frohe Botschaft erhielten. Sie ist also Ende Februar eingetroffen. Nach Megillat Ta'anit traf sie am 22. Schebat ein, wie bereits öfter angegeben. Der Monat Nissan und das Passafest koinzidierten also auch in diesem Jahre mit dem April.

Mit diesem Kalkul können wir besser operieren, um die chronologischen Data für die Begebenheiten zu präzisieren. Verfolgen wir diese rückwärts. Ende Februar = 22. Schebat traf die Nachricht von Caligulas Tode ein. Nicht lange vor seinem Tode, so bald ihm Petronius' abmahnendes Schreiben zugegangen war, hatte er das Drohschreiben an diesen Statthalter erlassen. Nehmen wir an, daß das erstere zwischen dem 15. und 20. Januar 41 erlassen war, so hatte in dieser Zeit Caligula Petronius' abmahnendes Schreiben bereits erhalten. Es war also etwa Mitte Dezember 40 von Petronius abgesandt worden. Zu dieser Zeit hatte Petronius längere Zeit mit den Judäern verhandelt, nach Josephus 50 Tage nach dem gewöhnlichen Beginn der Ernte. Die Verhandlung nach dem Eintreffen des Bildsäulenbefehles von seiten Caligulas begann also im Oktober. Nach dem Scholion zu Megillat T. traf die Nachricht am 14. Tischri ein, wogegen kalendarisch nichts einzuwenden ist. Die Judäer in Palästina können von dem ihnen auferlegten Zwang im Oktober nach Rom berichtet haben, vielleicht an den damals dort weilenden König Agrippa, damit er für sie bei dem ihm befreundeten Kaiser eine Fürbitte tun möge. Diese Nachricht kann im November in Rom eingetroffen sein, und die Judäer in Rom haben sich beeilt, den alexandrinischen Gesandten sofort Mitteilung davon zu machen. Diese waren mitten im Winter nach Rom gereist. Diese Reise darf aber nicht allzuspät angesetzt werden. Denn da die alexandrinische Gemeinde eine geraume Zeit hindurch von den alexandrinischen Heiden geplagt worden war, so haben sich die Gesandten unstreitig beeilt, sobald die Rückkehr Caligulas bekannt geworden war, sich zu ihm zu begeben, um Abhilfe von ihm zu erbitten. Sie sind also wohl im September [im Oktober!] nach Rom gereist. Im November oder anfangs Dezember können die Gesandten die erschütternde Nachricht erfahren haben, daß dem Tempel in Jerusalem Entweihung drohe, und diese Nachricht machte sie schwankend, welche Schritte sie weiter verfolgen sollten. Die ganze, die Judäer betreffende Angelegenheit, sowohl die Reise der Gesandtschaft an den Hof des Kaisers, wie dessen Befehl vom Aufstellen der Bildsäule, kann also innerhalb der Zeit seit Caligulas Rückkehr von seiner Expedition, von Ende August 40 bis zu [770] seinem Tode gegen Ende Januar 41, in fünf Monaten sich abgewickelt haben.

Nach diesen Resultaten können die Angaben Schürers bezüglich der Chronologie dieser Begebenheit berichtigt werden. Die Berichtigung dürfte dem Herrn Verfasser selbst lieb sein, da sein Streben dahin geht, in der neutestamentlichen Zeitgeschichte exakter als seine Vorgänger Keim und Hausrath die chronologischen Punkte zu präzisieren. S. 270 f. [jetzt I3, 334], gibt Schürer an, Petronius müsse seine syrische Statthalterschaft schon im Jahre 39 übernommen haben, da er nach Philo zur Erntezeit, also April 40, bereits in Palästina war. Wir haben aber die Überzeugung gewonnen, daß auf Philos Zeitbestimmung nichts zu geben ist, da er sich selbst widerspricht und selbst angibt, die Vorgänge in Judäa seien während der letzten Monate Caligulas vorgefallen. – S. 256 referiert Schürer: »Im Winter 39/40 schickten [jetzt vielmehr: »im Jahre 40, wahrscheinlich im Frühjahr«, vgl. Anm. 174, S. 502] die Alexandriner eine Gesandtschaft an den Kaiser.« Das ist unrichtig, da Caligula damals in Gallien oder Germanien weilte, und die Gesandten doch wohl nicht nach Rom gereist sein werden, während der Kaiser von Rom abwesend war. Die Gesandten können erst September 40 nach Rom gekommen sein. – Ebenso unrichtig ist die Darstellung S. 257 [jetzt I3, 507], daß Petronius Winter 39/40 dem knabenhaften Verlangen Caligulas schweren Herzens gehorchte. Der Befehl, die Bildsäule aufzustellen, traf nicht im Jahre 39 ein, sondern, wie wir gesehen, um Oktober 40. Schürers chronologische Fixierung ist um so auffallender, als er mit Recht gegen Keim hervorhebt, daß nicht bloß die Audienz der Gesandtschaft, sondern auch deren erste Begegnung mit dem Kaiser nach dem germanischen Feldzuge, also nach August 40 stattgefunden haben müsse, indem diese selbst die Γερμανικὴ νίκƞ des Kaisers erwähnt (Leg. § 45 [M II, 598]). Und doch behauptet er: die Gesandten müssen Anfang des Jahres 40 nach Rom gekommen sein (das.). Aber was sollten sie in Rom ausrichten, wenn Caligula zur selben Zeit in Gallien die Reichen ausplünderte und Todesdekrete erließ? Man muß daher das Eintreffen der Gesandtschaft während Caligulas Anwesenheit in Rom ansetzen – wie es ja Philo selbst darstellt – und zwar, wie wir gefunden haben, wohl in dem September 40.

Schürers Tafel der zeitlichen Aufeinanderfolge der berichteten Ereignisse (S. 261e [jetzt I3, S. 506, Anm. 187]) ist daher größtenteils unbrauchbar, da er von zwei falschen Voraussetzungen ausging: Die eine, daß Petronius Bildsäulenbefehl Winter 39/40 eingetroffen sei, und, was eine Konsequenz derselben ist, daß Petronius mit den Judäern deswegen Sommer 40, als die Ernte bevorstand, die Verhandlung geführt habe. Die andere, allerdings nur mutmaßlich aufgestellte Voraussetzung, daß die Nachrichten von Rom nach Palästina und vice versa unterwegs im Durchschnitt zwei Monate brauchten. Schürer fügt hinzu, daß zum Eintreffen der Korrespondenz von Petronius an den Kaiser und vice versa nach und von Gallien ebenso viel Zeit erforderlich gewesen sei. Er stellt daher auf, daß Petronius im April 40 an Caligula, d.h. nach Gallien, berichtet habe, und ebenso, daß Caligula das Schreiben im Juni 40 beantwortet habe, d.h. von Gallien aus. [Von Gallien spricht Schürer a.a.O. nicht.] Diese Annahme steht aber im grellen Widerspruch zu den beiden Hauptquellen, da Philo und Josephus den Depeschenwechsel zwischen Petronius und Caligula nach und von Italien stattfinden lassen. Kurz, Schürer ist ebenso wie Keim, um eine vergebliche Ausgleichung des chronologischen Punktes zwischen Philo und Josephus zu treffen, zu unrichtigen Voraussetzungen [771] und unrichtigen Folgerungen gelangt. Hausrath hat gar das durchaus falsche Datum zum Ausgangspunkt für den Pragmatismus in der Biographie des Apostels Paulus genommen. »Paulus konnte um so leichter seinen Besuch in der fanatischen Stadt (Jerusalem) in tiefes Dunkel hüllen, als im Jahre 39 Caligulas Attentat auf den Tempel die gesamte Bevölkerung in Aufregung setzte. ... So blieb Paulus unbehelligt.« So Hausrath, neutestamentl. Zeitgesch. III, S. 68 und auch S. 126. Es hat sich aber bis zur Gewißheit herausgestellt, daß diese Aufregung nur von Herbst 40 bis Februar 41 gedauert hat. Die Chronologie ist ohnehin die allerschwächste Seite in Hausraths Darstellung dieser Zeitgeschichte.


Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig 1906, Band 3.2, S. 761-772.
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