Die akkadische Kunst

[533] 404. Die älteren Denkmäler des Reichs von Akkad, die uns in Bruchstücken erhalten sind, das Siegesrelief Sargons (§ 398) und die Statue des Maništusu (§ 399), lassen die Anfänge einer semitischen Kunst erkennen, die sich von den sumerischen Vorbildern langsam zu emanzipieren beginnt. Einen bedeutenden Fortschritt auf dieser Bahn zeigt dann das vielleicht der Zeit des Šarganišarri angehörige Fragment einer Stele aus Tello, welche auf Vorder- und Rückseite in mehreren Reihen über einander Szenen aus einer Schlacht darstellt. Da die Feinde ebenso wie die Sieger Vollbart und kurzes Haupthaar tragen, läßt sich der Schauplatz des Kampfes nicht bestimmen; es mag ein Sieg über die Amoriter, aber auch die Besiegung der Elamiten oder vielleicht anderer Rebellen dargestellt sein. Den Abschluß bilden die Denkmäler Naramsins: das Relief von Diârbekr, das Fragment der Dioritstatue und vor allem die große Siegesstele aus Susa, welche den Kampf im Zagros darstellt (§ 400). Dazu kommen dann zahlreiche Siegelcylinder von Beamten des Šarganišarri und Naramsin. An Berührungen mit der archaischen sumerischen Kunst fehlt es auch hier keineswegs: wie diese bewahrt die akkadische Kunst, im Gegensatz zur aegyptischen, das hohe Relief, sie übernimmt manche konventionelle Traditionen, wie die symmetrische Anordnung der Figuren auf manchen Cylindern, die hohe Wölbung der Augenbrauen, die an der Nasenwurzel in scharfem Winkel [533] zusammenstoßen, und vor allem die seltsame Sitte, den Feind stets ganz nackt darzustellen-auf der Siegesstele Naramsins sind allerdings nur die Toten nackt, auf dem Schlachtrelief aus Tello dagegen wie auf der Geierstele auch die kämpfenden Feinde –; ferner teilt sie mit der sumerischen Kunst die Neigung zur Komposition großer Szenen. Aber die ganze Behandlung ist eine andere, viel freiere geworden; im Gegensatz zu den plumpen, unharmonischen Gestalten der Sumerer, denen auch noch die Statue Maništusus sehr nahe steht, ist in den jüngeren Denkmälern die menschliche Figur wohlproportioniert, ja geradezu schlank geworden, die Muskulatur ist nicht überladen, die Gesichter edel gebildet, und überhaupt spricht aus diesen Schöpfungen ein lebendiger künstlerischer Geist, nicht mehr ein unbeholfenes Stammeln. So beweisen diese Denkmäler, daß die semitischen Akkadier nicht nur militärisch die Sumerer überrannt haben, sondern daß sie ein ihnen überlegenes Kulturvolk geworden sind. Sie haben von den Sumerern vieles gelernt, aber sie sind nach allen Seiten über ihre Lehrmeister hinaus fortgeschritten. Die Kraft der Sumerer war erschöpft, sie konnten aus eigenem nicht mehr weiter kommen; so werden jetzt die Rollen vertauscht, und die Semiten bringen ihnen etwas Höheres. Das tritt augenfällig auch im kleinsten hervor, z.B. in der Gestalt der Schriftzeichen und in den imposanten Ziegeln der Bauwerke und Schrifttafeln der Akkadier im Gegensatz zu den sumerischen (§ 394).

Stele aus Tello: Sumerier und Semiten Taf. 9 und S. 115ff. (die älteren Publikationen Déc. pl. 5 bis, 3. Cat. no. 21 sind unzulänglich). Daß sie dem Reich von Akkad angehört, hat HEUZEY scharfsinnig erkannt; sie ist zweifellos älter als Naramsin, aber jünger als Maništusus Statue.


405. Im übrigen zeigt sich von den älteren Denkmälern zu Naramsin ein gewaltiger Fortschritt, wie er sich auf den Höhepunkten der Entwicklung-in Aegypten von der vierten zur fünften Dynastie, in Griechenland z.B. von der Zeit der Perserkriege bis auf Perikles-in raschem Aufstieg zu vollziehen [534] pflegt. In dem Relief Naramsins von Diârbekr ist allerdings die richtige Wiedergabe des Gesichts noch nicht gelungen, vielmehr ist es vor allem dadurch, daß das Auge in Vorderansicht in das im Profil gezeichnete Gesicht hineingestellt ist, gewissermaßen in zwei Teile zerrissen; und über die Rundplastik können wir nicht urteilen, da der Torso aus Susa völlig zerstört ist. Wenn aber die Kunst Naramsins in der Feinheit der Einzelausführung hinter den Schöpfungen der fünften Dynastie zurücksteht, so bildet seine Siegesstele doch einen der großen Marksteine der Weltgeschichte der Kunst. Auf dem Schlachtmonument von Tello sind die Einzelkämpfe, in die die Schlacht sich auflöst (§ 394), noch einfach neben einander gestellt, ähnlich wie bei den Kriegsszenen im Grabe von Dešâše aus der fünften Dynastie (§ 253), auf gerader Grundlinie, ohne jede Andeutung des Terrains; der Versuch, die Kämpfenden innerlich zu einheitlichen Gruppen zu verbinden, ist nicht gelungen, vor allem weil man alle Phasen des Hergangs, das Verzagen des Feindes, sein Flehen um Gnade, den tödlichen Schlag, das Zusammenbrechen des Getroffenen, in einem einzigen Bilde zusammenfassen will. Dazu kommt, abgesehen von der widersinnigen Nacktheit der Feinde, die Härte und Übertreibung in der Wiedergabe der Muskulatur und die Verzerrung, welche hier wie in Aegypten die Profilzeichnung mit sich bringt; man möchte lebendige Menschen darstellen, ist aber des Stoffs noch nicht Herr geworden. In der Siegesstele Naramsins dagegen ist eine volle innere Einheit der Gesamtkomposition geschaffen. Mächtig baut sich die Gebirgslandschaft auf, belebt durch mehrere Bäume; oben auf der Höhe des Passes, am Fuß eines hochragenden Bergkegels, steht die gewaltige Gestalt des göttlichen Königs, zu dessen Füßen die erschlagenen Feinde die Felsen hinabstürzen, während ein anderer von seinem Speer getroffen zusammenbricht, und die Rechte den Wurfspeer zurückhält, als die Feinde um Gnade flehen. Hinter ihm dringt sein Heer die Felsen hinan, dargestellt durch einige wenige Figuren, ebenso wie die Feinde. Alle Augen sind auf den König gerichtet, [535] der alle anderen Gestalten um das Doppelte überragt; von Perspektive und Beobachtung der Proportionen ist keine Rede, alles ist symbolisch im Gegensatz zu dem in dem Relief von Tello erstrebten, wenn auch nicht erreichten Naturalismus der Einzelszenen; aber eben dadurch ist es gelungen, den ganzen Hergang einer über mehrere Stunden sich ausdehnenden Aktion-das Eindringen ins Gebirge, den Sieg, die Verzweiflung der Feinde, ihre Unterwerfung und die Begnadigung-zu einem einheitlichen Gesamtbilde zusammenzufassen, das durch seine innere Wahrheit dem Beschauer unmittelbar, ohne erläuternde Worte, verständlich wird und so die gewaltigste Wirkung erzielt. Dazu kommt die Kühnheit der Zeichnung einzelner Gestalten, wie des Königs selber und der herabstürzenden Feinde, wie sie erst die griechische Kunst auf der Höhe der Entwicklung wieder gewagt hat. – Nicht minder großartig ist auf den Siegelcylindern die Gestalt des mächtig aus den Bergen hervorschreitenden Sonnengottes konzipiert, dem die Strahlen aus den Schultern hervorwachsen; auch hier ist ein altsumerisches konventionelles Symbol in eine große künstlerische Idee umgewandelt. Den gleichen Charakter tragen die mythologischen Darstellungen der Cylinder, vor allem aus der Gilgamešsage; sie alle sind durch das tiefe, kräftige Relief ausgezeichnet, das die altakkadische Kunst charakterisiert. Von besonderem Interesse ist ein Cylinder, der »Ubilištar, den Bruder des Königs« auf dem Marsche darstellt, hinter ihm seinen kahlköpfigen sumerischen Sekretär Kalki, dazu mehrere Diener und voran einen Krieger mit Bogen und Köcher. Eine richtige Profilzeichnung ist dem Künstler nicht gelungen; aber die Einheit der Gesamtdarstellung wird, wie auf der Stele Naramsins, auch hier dadurch erreicht, daß alle Augen auf die Hauptfigur gerichtet sind.


Siegelcylinder des Reichs von Akkad (vgl. § 403 A. über die Abdrücke auf den Urkunden aus Tello): MÉNANT, Rech. sur la glyptique orientale I. Ders., Collection DE CLERCQ I, und vor allem FURTWÄNGLER, Die antiken Gemmen III cap. I. – Cylinder des Ubilištar (TH.-D. S. 168): FURTWÄNGLER, Gemmen I pl. 1, 3 (falsch gedeutet); Sumerier und Semiten S. 72f.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 81965, Bd. 1/2, S. 533-537.
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