Unterwerfung von Damaskus, Palästina, Babylonien. Das Reich Tiglatpilesers

[20] Kaum hatte Tiglatpileser sich 737 von Syrien abgewandt, so begannen die Kämpfe zwischen den Kleinstaaten aufs neue. Die alten Gegner Damaskus, unter Reṣôn29, und Samaria, unter dem Usurpator Peqach ben Remalja, verbündeten sich zum Angriff gegen Juda, wohl in der Absicht, dadurch ihre Stellung gegen Assyrien zu verstärken. Beide Heere umlagerten Jerusalem; auch die Hafenstadt Ailat am Roten Meer hat Reṣôn den Judäern entrissen und an die Edomiter zurückgegeben. Es ist begreiflich, daß die Verkündung des Propheten Jesaja, die Gefahr werde vorübergehen, auf den König Achaz30, der eben erst seinem Vater Jotam gefolgt war, nicht viel Eindruck machte und daß er das Anerbieten, sie durch Erbittung eines Vorzeichens zu bekräftigen, als Versuchung Jahwes ablehnte; dagegen mag hierher gehören, daß er seinen Sohn dem Jahwe als Opfer dargebracht hat, wie früher Meša' von Moab31. Bessere Hilfe gewährte, daß er sich an [20] den Assyrerkönig wandte und ihm aus den Schätzen des Tempels und Palastes einen reichen Tribut sandte. Tiglatpileser ist im J. 734 aufs neue nach Syrien gezogen, und zwar nach der Angabe der Eponymenchronik32 zunächst nach Philistäa, um von der Küste aus das Binnenland zu unterwerfen. Die beiden Könige mußten von Jerusalem abziehen. Tiglatpileser hat zunächst das gesamte Küstengebiet einschließlich der Grenzdistrikte Israels, das er in alter Weise »Haus 'Omri« nennt, unterworfen. Dann zog er gegen Damaskus, dessen früher so oft gescheiterte Einnahme ihm im J. 732 gelang. Reṣôn wurde hingerichtet, die Elite der Bevölkerung in die Ferne fortgeschleppt33, das Reich zur Provinz gemacht. Samaria ist dem gleichen Schicksal dadurch entgangen, daß Peqach durch Hosea ben Ela ermordet und dieser durch Tiglatpileser als tributpflichtiger Vasall anerkannt wurde; aber das Ostjordanland (Gil'ad) und der ganze Norden, die Ortschaften im Quellgebiet des Jordan, Naphtali, Galiläa, die Qišonebene mit Megiddo, wurden vom Reich abgeschnitten und assyrische Provinz, die Bevölkerung auch hier fortgeführt34.

[21] Durch diese in drei Jahren (734-732) streng methodisch durchgeführten Feldzüge wurde auch der ganze Süden des Kulturlandes Syrien bis an und in die Wüste hinein der assyrischen Herrschaft unterstellt. Alle noch bestehenden Dynasten mußten dem Großkönig huldigen und sich zu regelmäßiger Tributzahlung verpflichten; erhalten sind die Namen Šanipu von Ammon, Šalamanu (Salomon) von Moab, Kausmalak von Edom; Achaz von Juda kam selbst zur Huldigung nach Damaskus, und die übrigen Fürsten werden das gleiche getan haben. Hanno von Gaza, der Widerstand versuchte, mußte nach Ägypten fliehen, seine Stadt wurde ausgeplündert und tributär35; Mitinti von Askalon verfiel nach der Niederlage Reṣôns in Verzweiflung, sein Sohn unterwarf sich; Mitinna von Tyros kaufte sich, als ein assyrischer General gegen ihn zog, durch Zahlung von 150 Goldtalenten los. In Nordsyrien und Kilikien war die Oberherrschaft schon seit 738 fest begründet; als Uaššurmi von Tabal Selbständigkeitsgelüste zeigte und der Ladung des Königs nicht Folge leistete, genügte das Erscheinen des Generals, um ihn durch einen andern, »einen Sohn Niemands«, zu ersetzen und die Strafsummen (10 Talente Goldes, 100 Silbers, 200 Pferde u.a.) einzuziehen. Gegen die arabischen Stämme ist Tiglatpileser nach dem Falle von Damaskus selbst gezogen, die Königin Šamšie wurde besiegt, zahlreiche Stämme, bis zu den Sabäern hin, huldigten durch ihre Häuptlinge und lieferten Kamele, Gewürz und Edelmetall, um in ihren Handelsbeziehungen zu den syrischen Landen nicht gestört zu werden; dem Stamm Idiba'il36 wurde die Grenzwacht gegen Ägypten im Wüstengebiet südlich von Palästina übertragen.

[22] Nach dem Abschluß der Unterwerfung Syriens wandte sich Tiglatpileser der letzten ihm gebliebenen Aufgabe zu, der Einverleibung Babyloniens in sein Großreich. Hier war König Nabonassar im J. 734 gestorben; sein Sohn Nabunâdinzêr wurde nach zwei Jahren 732 von einem Beamten Nabušumukin beseitigt, dieser kurz darauf von dem chaldäischen Dynasten Ukinzêr von Bet-Amukani, der für die drei Jahre 731-729 offiziell als König von Babel gerechnet wird37. Indessen Tiglatpileser, der jetzt nach der Unterwerfung Palästinas die Hände frei hatte, hat sich sofort gegen ihn gewandt. Auch hier ist er ganz methodisch vorgegangen: der Reihe nach griff er, offenbar von dem schon 745 seinem Reich einverleibten Tigrisgebiet aus vorgehend, die einzelnen Chaldäerstaaten an, die sich südlich von Babel in dem von Flußarmen und Sumpfseen erfüllten Bereich des unteren Euphrat, ehemals dem Hauptsitz der sumerischen Kultur und ihrer zahlreichen Heiligtümer, gebildet hatten38. Der erste Stoß traf das Land Bet-Šilani; seine Hauptstadt Sarrabân39 verwüstete er wie eine Sturmflut und verwandelte sie wie die übrigen Ortschaften in Schutthügel; den König Nabu-ušabši ließ er vor dem Stadttor pfählen, die gesamte Bevölkerung, 55000 Seelen, wurde mit ihrer Habe fortgeführt. Das gleiche Schicksal erlitt Bit-Ša'alli, dessen Fürst Zaqir nebst seinen Magnaten in Ketten nach Assur geschleppt wurde. Auch hier wurden 50400 Einwohner deportiert, das Gebiet zur Provinz gemacht. Stärkeren Widerstand leistete Ukinzêr; das [23] Gebiet von Bet-Amukani wurde zwar gründlich verwüstet, alle Dattelbäume umgehauen, er selbst in der Stadt Sapia eingeschlossen; aber ihre Eroberung kann Tiglatpileser nicht berichten. Erst im J. 72940 wurde Ukinzêr gefangengenommen; Sapia scheint sich ergeben zu haben, da es nicht zerstört wurde, vielmehr nahm Tiglatpileser hier die Huldigung des Mardukbaliddin von Bet-Jakîn, des Königs des »Meerlandes« im damaligen Mündungsgebiet des Euphrat entgegen. Ebenso brachten die Dynasten Balasu von Bet-Dakuri (unterhalb Babylons) und Nâdin von Larak ihre Huldigungsgeschenke. So konnte Tiglatpileser jetzt nach Babel ziehen und hier am 1. Nisan 729 durch Ergreifen der Hände der Statue des Bel-Marduk offiziell das Königtum übernehmen. Fortan fügt er den assyrischen Titeln den eines Königs von Babel und von Sumer und Akkad hinzu. Den alten Kulturstaat aufzuheben und dem Assyrerreich einzuverleiben, wie es ehemals Tugultininurta frevelhaft gewagt hatte, hat er als klarblickender Staatsmann abgelehnt; vielmehr sollte das Reich von Babel oder Akkad in seiner geheiligten Würde weiterbestehen, wohl aber durch Personalunion dauernd mit dem Großreich Assurs verbunden sein.

Durch seine planmäßig geleitete Kriegspolitik hat Tiglatpileser eine neue Epoche der Geschichte des Orients eröffnet. Er hat die ganze bis auf ihn so bunt gestaltete Welt vom Mittelmeer bis in die Ketten des Taurus und Zagros und bis in die Wüste hinein nicht nur äußerlich der Herrschaft Assurs unterworfen, sondern zugleich begonnen, sie innerlich zu einer Einheit zu verschmelzen. Die im größten Maßstabe und mit brutaler Gewaltsamkeit durchgeführte Verpflanzung ganzer Völkerschaften an neue Wohnsitze hat überall das lokale Sonderleben zerbrochen; an Stelle der einzelnen Volkstümer tritt eine homogene Masse, die es nicht anders weiß, als daß sie fremden Herren zu gehorchen hat. Ihre sprachliche Färbung erhält sie durch das Aramäertum, das überall das Hauptelement dieser Mischbevölkerung bildet; das Aramäische wird die allgemeine Verkehrssprache, die allerorten die älteren Dialekte absorbiert; wie in Babylonien gewinnt es[24] immer mehr die Vorherrschaft, so sehr auch Regierung und Priesterschaft die alte und allein vornehme Schriftsprache weiter pflegen mögen. Hoch über diesen Massen steht als eine Welt für sich Land und Volk der Assyrer, oder mit anderen Worten das Reich des Gottes Assur mit seinen Beamten und seinem Heer; und hier gewährte sein von Tiglatpileser durchgeführter Ausbau die Mittel, es immer leistungsfähiger zu gestalten und zu ernähren. Die Spitze bildet der von den Göttern gesetzte König, scheinbar in voller Selbstherrlichkeit. Zu einem Gott auf Erden, wie ehemals in den altbabylonischen Reichen und in Ägypten und wie dann in den hellenistischen Staaten und im Sassanidenreich, ist er nicht erhoben, sondern er ist der demütige Diener und Priester der großen Götter und fühlt sich als solcher; aber mag er auch im Einzelfalle oft gewaltsam und willkürlich genug verfahren, so ist er doch, wenngleich nicht in dem Maße wie der Pharao, gebunden durch das Herkommen und die Religion und durch die Rücksicht auf seine Magnaten und Heerführer und auch auf die Stimmung seines Volkes. Es ist begreiflich genug, daß ein kühldenkender Praktiker wie Tiglatpileser sich darüber hinwegsetzte; so erfahren wir, daß er die Privilegien von Assur und Charrân aufhob41 und die Bewohner zu Fronden und Kriegsdienst heranzog42. Ähnlich mag er auch sonst vorgegangen sein; aber dadurch hat er den Sturz seiner Dynastie herbeigeführt.

Daß Tiglatpileser sich überall bemüht hat, die von ihm in so weitem [25] Umfang verwüsteten Gebiete wieder kulturfähig zu machen, zahlreiche niedergebrannte Städte neu aufbaute und in ihnen Paläste anlegte und Siegesstelen aufstellte, ist schon erwähnt; erhalten sind Reste dieser Bauten in Tell Barsip gegenüber von Karkemiš (vgl. Bd. II 2, 370) und in Arslantaš bei Serûg. Für sich selbst hat er, wie Assurnaṣirpal, in Kalach einen großen Palast aus wohlriechendem Zedernholz erbaut, mit Löwen- und Stierkolossen und Gestalten der schützenden Dämonen an den Eingängen und mit einem Portalbau (bet chilâni) nach chetitischem Vorbild. Dieser Bau ist später von Assarhaddon niedergerissen worden; aber die Reliefs, die seine Wände schmücken und die dieser für seinen eigenen Bau verwenden wollte, sind großenteils erhalten43. Sie stellen, wie bei Assurnaṣirpal, die Kriegstaten des Königs dar, die Belagerung und Eroberung der Festungen, wobei auch gepfählte Feinde nicht fehlen, die Vorführung der Beute, darunter auch der Kamele aus dem Wüstenfeldzug, die Truppen und den Kriegswagen des Königs. Künstlerisch ist ein Fortschritt über die Skulpturen Assurnaṣirpals unverkennbar; die Muskulatur ist nicht mehr so überladen, die Gestalten sind natürlicher, die Bewegung ist freier, die Komposition der einzelnen Szenen mannigfaltiger und reichhaltiger. Dem entspricht es, daß auch der Stil der Königsinschriften über die entsetzliche Monotonie und Barbarei der Inschriften Assurnaṣirpals hinausgeschritten ist; sie sind wesentlich inhaltreicher und kultivierter, und in den kürzeren Inschriften ist an Stelle der annalistischen Aufzählung in ganz geschickter Weise eine übersichtliche Zusammenfassung der Ergebnisse nach den Hauptgebieten (Babylonien, der Osten, Urarṭu und der Westen) getreten; der Palastbau bildet dann den Abschluß.


Quelle:
Eduard Meyer: Geschichte des Altertums. Darmstadt 41965, Bd. 3, S. 20-26.
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